Die "Passt scho"-Koalition: Union und SPD einigen sich

Seehofer, Merkel und Schulz haben einen Weg gefunden
Union und SPD haben unter Druck einen Koalitionsvertrag gezimmert – mit Nachsicht für die Sozialdemokraten, aber keiner Vision für die CDU.

Mehr als 23 Stunden sind vergangen. Angela Merkel fährt durch die Tiefgarage aus der CDU-Zentrale, schnell den Blazer wechseln, bevor es vor die Presse geht. Die SPD-Spitze verkündet die Einigung mit einem Selfie: "Müde. Aber zufrieden! Der Vertrag steht!" Generalsekretär Lars Klingbeil grinst, flankiert von Olaf Scholz und Andrea Nahles – aus dem Eck lächelt Parteichef Martin Schulz. Was sofort Spekulationen zur Zukunft des angeschlagenen Schulz' auslöst. Doch dazu später.

So wenig in den letzten Tagen durchsickerte, so schnell überschlugen sich gestern die Meldungen zur Einigung des Koalitionsvertrags. Es ging aber nicht um Lösungen der großen Streitpunkte in der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik, sondern um Personalien. Schnell wird klar: Zum Ärger vieler CDUler hat die SPD die Schlüsselressorts Finanzen, Auswärtiges Amt sowie Arbeit bekommen. Es wirkte fast wie ein Ablenkungsmanöver für die rote Basis. Denn die drei Kernfragen, die die Delegierten den Verhandlern als Hausaufgabe mitgaben (Bürgerversicherung, sachgrundlose Befristung abschaffen und Familiennachzug) wurden minimal gelöst bzw. sind nach wie vor unklar. Arbeitsverträge sollen künftig bei Ausnahmen befristet werden. Und bevor die Arzthonorare für Privat- und Kassenpatienten angeglichen werden, wird zuerst einmal eine Kommission gegründet. So steht es im 177-seitigen Vertrag, der zwar viele Problemthemen aufgreift, aber Details auslässt. Zudem fehlen die Ideen, kommentierten Polit-Beobachter. Vor allem von Seiten der CDU sei keine Vision erkennbar, vielmehr war sie damit beschäftigt, rote Pläne wie die "Bürgerversicherung" abzuwehren.

Der Koalitionsvertrag

Merkels Kompromiss: Personalzugeständnisse

Zu den "schmerzhaften Kompromissen" der Kanzlerin gehören die Personalzugeständnisse. Merkel räumte gestern ein, dass es ihr schwer fiel, das Finanzressort abzutreten. Doch nun habe die CDU "seit Jahrzehnten mal wieder das Wirtschaftsministerium", versuchte sie die Zweifel zu zerstreuen. Ein Argument, das ihre internen Kritiker kaum besänftigt. Was sie neben der Ressortaufteilung ebenfalls vestört: dass ein Jens Spahn derzeit nicht auf der künftigen Kabinetts-Liste steht – die konservativen Kreise setzten auf Merkels Widersacher und sahen ihn schon als Nachfolger. Doch diese Debatte ist vorerst beendet.

Was Merkels Personalpläne offenbaren: Die GroKo ist aus ihrer Not entstanden. Um sich an der Macht zu halten, eine stabile Regierung zu bekommen, musste sie die Genossen aus der Schmollecke treiben. Genug Geld, um den Bürgern Gutes zu tun, gab es. Und eine Neuauflage der ungeliebten GroKo wurde von Teilen der SPD schnell auch als Chance gesehen, sich zu positionieren für die Ära nach Merkel. Womit wir bei Andrea Nahles und Olaf Scholz wären. Sie bilden künftig das neue Machtzentrum der SPD: Scholz wird als Finanzminister und Vizekanzler gehandelt. Nahles wird den Parteivorsitz übernehmen, wie sie gestern Abend bekannt gab. Der Wechsel gilt als Reaktion auf Schulz’ Schlingerkurs, die verlorene Wahl und soll für die Erneuerung der Partei stehen.

Mit müden Augen und heiserer Stimme trat Schulz am Nachmittag neben der Kanzlerin und Horst Seehofer vor die Reporter. Während Seehofer den Vertrag mit einem freudigen „Passt scho“ quittierte, wirkte Schulz angeschlagen. Er betonte die "sozialdemokratische Handschrift" und lobte die Entscheidungen in der Europapolitik. „Deutschland wird eine starke Rolle spielen.“ Kein Wunder, er wird künftig als Außenminister dazu beitragen können, auch das wurde gestern Abend publik.

Kanzlerin Merkel kommt es jedenfalls gelegen: Mit der Personalrochade könnte es beim künftigen Juniorpartner SPD ruhiger werden. Bevor es aber ans Regieren geht, steht noch die Befragung deren Mitglieder an, die über den Koalitionsvertrag und über Merkels Zukunft entscheiden. Und auch Merkel will am 26. Februar bei einem Parteitag abstimmen lassen. Gut möglich, dass nun plötzlich ein paar mehr CDUler sagen: „No GroKo“.

Noch ist die Große Koalition nicht angelobt, wird über die Besetzung schon spekuliert. Als Abräumer gilt die SPD: Sie bekommt das prestigeträchtige Finanzressort. Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz (59) wird es führen, er wird wohl auch Vizekanzler. Martin Schulz (62) wird das Außenressort von Sigmar Gabriel (58) übernehmen. Das Arbeitsministerium soll an die eher unbekannte SPD-Mandatarin Eva Högl (49) gehen, Familienministerin wird Katharina Barley (49) bleiben. Auch Justizminister Heiko Maas (51) gilt als gesetzt, und das Umweltministerium wird bei SPD-Urgestein Barbara Hendricks (65) bleiben.

CSU-Chef Horst Seehofer (68) wird als Innenminister gehandelt. Ein solches Amt hat er nötig, ist er doch König ohne Land in Bayern, so demnächst Ministerpräsident Markus Söder regiert. Das Ministerium wird um die Bereiche Bauen und Heimat aufgewertet werden – wohl ein Schritt für AfD-Sympathisanten. Auch Dorothee Bär (39) könnte aufsteigen, sie soll das CSU-Entwicklungsministerium übernehmen. Das Verkehrsressort bekommt ein Altbekannter: CSU–General Andreas Scheuer (43). Dass Kanzlerin Angela Merkel (63) wichtige Ressorts an die SPD abgegeben hat, wird in der Union kritisiert. „Immerhin stellen wir noch das Kanzleramt“, ätzte ein CDUler auf Twitter. Ob ihr Vorhaben aufgeht, mehr als 50 Prozent der Posten mit Frauen zu besetzen, ist unklar: Sicher ist, dass Ursula von der Leyen (59) Verteidigungsministerin bleibt. Merkel-Vize Julia Klöckner (45) hat gute Chancen auf das Landwirtschaftsressort; Gesundheitsminister Hermann Gröhe (56) wird sein Amt wohl an seine Staatssekretärin Anette Widmann-Mauz (51) abgeben, er übernimmt die Bildung. Als Wirtschaftsminister wird der Merkel-Vertraute Peter Altmaier (59) gehandelt. Sein Amt als Kanzleramtschef bekommt wohl Helge Braun (45), er gilt als Strippenzieher im Kanzleramt.

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