Die FDP verblüht mit ihrem Rösler
„Ab jetzt wird geliefert“, war der Kernsatz der Parteitagsrede, mit der Philipp Rösler, 37, im Mai 2011 antrat. Zuvor hatte Langzeit-Parteichef Guido Westerwelle die FDP mit dem 14,6-Prozent-Rekord in Merkels Koalition gehievt – und in den 18 Monaten danach auf das ebenso historische Tief von 3,5 Prozent. Der als Vietnam-Adoptivkind, Ex-Offizier, Arzt und Jungminister gestählte Rösler gelobte die Trendumkehr. Doch die selbstbewusste Ansage ist eineinhalb Jahre später so ferne Erinnerung wie die Aufbruchstimmung.
Gut acht Monate vor der Wahl erlebt die FDP ihre größte Existenzkrise: In einigen Ländern fiel sie aus den Landtagen, das droht nun erstmals auch im Bundestag. In den Umfragen liegt sie bei vier Prozent, nur eine sieht sie an der alles entscheidenden Fünf-Prozent-Hürde.
Die Partei macht dafür ihren zunehmend bockigen Chef verantwortlich. In dem Job holt er so wenig Umfragepunkte wie als Wirtschaftsminister in Merkels Kabinett.
Denn es gelang ihm nicht, die ratlose Partei zu fokussieren, Westerwelles Mono-Thema der Steuerreform durch ein Voll-Programm zu ersetzen und die mörderischen Personalspiele zu beenden. „Führungslos“, sieht die Presse die Liberalen.
Die Zeit für Selbstfindungen war aber auch nicht gut: Die Staatsschuldenkrise mit ihren Brüchen scheinbar eiserner Regeln und immer noch mehr Staatsinterventionen ungewissen Ausgangs brachte der FDP eine Zerreißprobe. Rösler war da nur Moderator zwischen liberalen Grundsatztreuen und Koalitionsopfern einer auch von Bundesbank und Wissenschaft kritisierten Staatsraison. Keine Partei plagten mehr Abweichler von Merkels „Euro-Rettung“.
Verblüht und verblasst
Aber auch Einfacheres gelang Rösler nicht: FDP-Reformversprechen in Wirtschaft und Sozialem blockte der Koalitionspartner ab: Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble spielten lustvoll Gummiwand mit Rösler. Erst recht, nachdem er seinen einzigen taktischen Erfolg, den Merkel aufgezwungenen Bundespräsidenten Joachim Gauck, im TV mit dem kruden Vergleich eines überlisteten Froschs auskostete. Das Vertrauen in der Koalition und ihr Image beim Wähler sind seither auf dem Tiefpunkt.
Die wenigen Erfolge liberaler Politik wie die Abschaffung der von Rot-Grün eingeführten Extra-Steuer für Patienten, der „Praxisgebühr“, verblassen im Schatten unpopulärer Prinzipienreiterei. So bringt auch Rösler die alt-linksliberale FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht zu der von 80 Prozent der Bürger geteilten Einsicht, dass mehr Videoüberwachung öffentlicher Orte Gewalt und Terrorversuche abschrecken hilft.
Rösler aber reklamiert weiteren Kredit der Partei. Bei ihrem traditionellen Propaganda-Auftritt des „Dreikönigstreffens“ in Stuttgart morgen, Sonntag, will er sie, wie immer frei redend, davon überzeugen.
Doch die Schonfrist scheint abgelaufen. Fliegt am 20. Jänner in seiner Heimat Niedersachsen die FDP aus dem Landtag, ist seine Ablösung unausweichlich.
Keine drei Wochen davor klebt die Partei auch da noch bei vier Prozent. Und Röslers Nachfolger warten trotz aller Pflicht-Dementis schon. Vor allem der joviale Fraktionschef Rainer Brüderle, 63, der als ältester Spitzenmann der Partei für ihr altes Image beim Stammwähler steht: Pragmatisch und ergebnisorientiert. 80 Prozent der FDP-Wähler hätten ihn gerne als Retter.
Im Hintergrund agiert schon Röslers Kumpan beim Sturz Westerwelles und erster Generalsekretär Wolfgang Lindner, 34. Der Jungstar der FDP rettete sie 2011 spektakulär in Nordrhein-Westfalen – und sich aus der Berliner Schlangengrube. In die will er bald zurückehren, aber nur an der Spitze.
Vorerst wird aber wohl Brüderle liefern müssen. Ganz, ganz dringend.
Am Dauerdesaster der FDP ist Merkels Union mitverantwortlich. Anfangs war es CSU-Chef Horst Seehofer, der den Partner mit unfairsten Methoden klein machte: Er will in Bayern den Regierungsanspruch seiner CSU nicht nochmals mit der FDP teilen. CDU-Chefin Merkel ließ Seehofer gerne gewähren: Liberale Grundsätze von Selbstverantwortung und Staatsbeschränkung auf das Nötige laufen ihrem wahltaktischen Grundkurs Richtung linke Mitte entgegen. Beide genossen lange den oft hämischen Beifall linksliberaler und öffentlich-rechtlicher Medien für ihr Entzaubern der Sozialstaats-Bremser.
Dazu kam die persönliche Entfremdung an der Spitze, die mit Rösler noch größer wurde als bei Westerwelle.
Erst im Spätherbst kehrte Merkel zur 2009 erfolgreichen Taktik zurück: Zur Wahl getrennt marschieren für die Wähler von rechts und halblinks – danach eine Mehrheit bilden, um wieder weitgehend allein zu regieren. Deshalb ließ Merkel nun erstmals der FDP relativ mehr Spielraum. Den konnte diese aber nur sehr bedingt nutzen.
Doch auch mit den inzwischen wieder 40 Prozent der Union wird es für ein neues Schwarz-Gelb im September 2013 kaum reichen. Schon gar nicht, wenn sich die SPD und ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit der wahrscheinlichen Machtübernahme in Niedersachsen am 20. Jänner fangen sollten. Die damit höchst wahrscheinliche Variante einer Großen Koalition wäre, so signalisiert Merkel, ihr genauso recht wie die jetzige Kleine: Hauptsache, sie bleibt Kanzlerin. Ein Wunsch, den die große Mehrheit der Deutschen laut Umfragen teilt.
Sie war länger in Regierungen als jede andere deutsche Partei nach dem Krieg. Sie hat zwei Bundespräsidenten und Persönlichkeiten wie Hans-Dietrich Genscher hervorgebracht. Sie feierte bei der Wahl 2009 mit knapp 15 Prozent ihr historisches Hoch. – Heute liegt die FDP unter fünf. Und Parteichef Philipp Rösler ist de facto Geschichte.
Die Partei hat neben dem Zug zur Macht auch eine Tradition im Obmann-Meucheln – woran erinnert das nur in Österreich? Immer wenn vollmundige Wahlversprechen nicht umgesetzt werden können (Stichwort diesfalls: Steuersenkung), laufen dem kleinen Junior-Partner einer Regierung die Wähler davon – auch das kennt man aus Österreich. Und wenn der Erfolg ausbleibt, ist wie im Fußball der Trainer schuld.
Am Niedergang der FDP ist auch die deutsche Spielmacherin schuld: Angela Merkel lässt ihre Gegner blass aussehen und erdrückt ihre Partner, gnadenlos. Sie müsste bei allem Umfrage-Hoch, auf dem sie schwebt, eigentlich aufpassen, dass ihr der liberale Koalitionspartner nicht unter den Fingern wegstirbt. Er ist der „leichtere“ als einer, der dann SPD heißt.
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