"Die EU ist ja nicht der Wilde Westen"

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
Der Kommissionschef will ein soziales Europa und legt neuen Investitionsplan vor.

Es war eine Rede mit erstaunlich kämpferischen Tönen gegen Populisten, Nationalisten und EU-Bremser sowie voller neuer Projektpläne. "Die EU muss liefern, und das schnell", forderte Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Mittwoch in seiner Rede im EU-Parlament.

Und nicht nur das: "Die EU muss in vielen Bereichen sozialer werden. Die EU ist ja nicht der Wilde Westen."

Juncker zündete ein Feuerwerk von Vorschlägen, nicht nur um die Menschen zu beruhigen, sondern um die Schere zwischen Arm und Reich etwas zu schließen. Dafür will er sein 2014 beschlossenes Investitionsprogramm von 315 Milliarden auf 620 Milliarden Euro verdoppeln. Die Konjunktur soll damit angekurbelt und neue Jobs geschaffen werden. Mehr Mittel verlangte zuletzt auch Bundeskanzler Christian Kern.

Der Kommissionspräsident will das digitale Netz europaweit ausbauen, in allen Stadtzentren sollte es bis 2020 einen superschnellen Gratis-WLAN-Zugang geben.

CETA ist Jobmotor

Freihandel sieht Luxemburgs Christdemokrat als Jobmotor. Ausdrücklich wies er darauf hin, dass CETA, das Abkommen mit Kanada, die höchsten Standards erfülle und keinesfalls mehr nachverhandelt werden könne. Es läge nun an den Regierungen, den Bürgern CETA zu erklären.

Der Austrittswunsch der Briten ist ihm nur wenige Worte wert: "Es wird keinen Binnenmarkt à la carte geben können. Die Freiheit des Warenverkehrs ist an die Freizügigkeit gebunden."

Juncker gestand aber, dass das Brexit-Votum die EU tiefer in die Krise stürzte. "Die Europäische Union ist derzeit nicht in Topform."

Wegen der Verunsicherung vieler Bürger nach der Flüchtlingskrise mahnte er rasch einen EU-Außengrenzschutz ein. Bulgarien werde schon bald 200 Grenzsoldaten zusätzlich von der EU bekommen. Zudem sollen mittels eines Investitionsplanes für Afrika von 44 Milliarden Euro die Fluchtursachen bekämpft werden. Außerdem verlangt der Kommissionschef die Errichtung des seit Langem diskutierten Ein- und Ausreiseregisters in der EU, ähnlich dem der USA.

Geht es nach Juncker, werden die Heere der Mitgliedsländer zusammenrücken und militärische und zivile Missionen über ein EU-Hauptquartier steuern.

Populisten im Visier

Mit Blick auf den bevorstehenden EU-Sondergipfel am Freitag in Bratislava rief der Kommissionspräsident die Staaten zu einer Allianz gegen Populisten und Nationalisten auf. Eine Gefahr für den gemeinsamen europäischen Zusammenhalt wittert Juncker nicht nur in dem rechtsextremen Front National, sondern auch in Parteien Osteuropas (siehe Artikel links).

Im Visier hat Juncker Polen und Ungarn, denen er gleich einmal heftig widersprach. "Wir sind keine Nihilisten, auch keine Anti-Christen, keine Zertrümmerer und keine Zerstörer." Aber genau das, nämlich Kulturlosigkeit und Identitätsdefizite, wirft Ungarns Premier Viktor Orbán den EU-Spitzen in Brüssel vor.

Grüne, Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberale quittierten die Rede Junckers mit langem Applaus und intensiver Debatte. "Eine Sternstunde des Parlaments", sagte ein deutscher Abgeordneter.

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