Die "Eiserne Lady" ist tot

Mit ihrer Rosskur für die Marktwirtschaft hat sie Großbritannien verändert wie niemand zuvor. Margaret Thatcher ist am Montag verstorben.

Parteigenosse oder Gegner, wer in der britischen Politik ins Rampenlicht tritt, auf den fällt fürs erste gleich ihr langer Schatten. „Thatcherite“ oder nicht, das ist Gretchenfrage, die die britischen Medien bei jeder Reform im Land stellen. Für die Linke ist es immer noch das härteste Urteil, das man über eine politische Entscheidung fällen kann, für die Konservativen der Maßstab für politische Konsequenz und Durchschlagskraft. Denn genau die besaß Englands „Eiserne Lady“, die am Montag im Alter von 87 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben ist. Margaret Thatcher hatte bereits mehrere Schlaganfälle erlitten. Nach Angaben ihrer Tochter war sie seit Jahren dement. Thatcher wird kein Staatsbegräbnis, aber eine Trauerfeier mit großem militärischen Zeremoniell in der St. Paul's Cathedral erhalten, hieß es aus der Downing Street.

Plan gegen die Krise

Als die Tochter eines Fleischhauers im Jahr 1979 zur Premierministerin gewählt wurde, zerschlug sie den ebenso bürokratischen wie überschuldeten britischen Sozialstaat und die mächtigen Gewerkschaften mit ungeahnter politischer Brutalität. Wie so oft in ihrer politischen Laufbahn, erkannte sie die politische Stimmung im Land und die Chance, die sich ihr bot und handelte, ohne wenn und aber. Nach dem quälenden „Winter des Missvergnügens“, in dem die Gewerkschaften das Land über Monate lahm gelegt hatten, hatten die Menschen genug von der Sozialdemokratie, die keinen Plan gegen die Krise hatte.

Thatcher hatte einen – und er hieß: Marktwirtschaft, ohne Kompromisse. Die Steuern wurden gesenkt, die Staatsausgaben ebenfalls, der Sozialstaat verstümmelt, defizitäre Staatsbetriebe von den Kohlebergwerken bis zur Stahlindustrie einfach zugesperrt. Kein Streik, keine Massenproteste konnten sie abhalten.

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Prime Minister Margaret Thatcher
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File photo of British Prime Minister Thatcher and
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FRANCE ABBAS VISITS
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Artist Lambert paints a commissioned artwork of Br
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File photo of British Prime Minister Margaret That
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File photo of Margaret Thatcher giving the final a
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BRITAIN MINERS STRIKE
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Prime Minister Margaret Thatcher
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Prime Minister Margaret Thatcher
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File photo of Britain's Baroness Thatcher reading
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BRITAIN OBIT MARGARET THATCHER

"Es gibt keine Alternative"

Die Folge war ein eindrucksvoller Wirtschaftsaufschwung innerhalb weniger Monate – in einem Land, das in weiten Teilen zur wirtschaftlichen und sozialen Wüste verkam. Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut, Obdachlosigkeit, der man nur mehr Herr werden konnte, indem man etwa großflächige Räumungen der Londoner U-Bahn-Stationen durchführte.

Doch Thatcher hielt unbeirrbar Kurs. „Es gibt keine Alternative“, ihr stets verfügbares Motto, war der Spruch, mit dem sie alle Zweifel, alle Warnungen, aber auch alle Meinungsumfragen vom Tisch. Denn die zeigten bald, dass sich die Stimmung gegen sie drehte.

Doch dann gab ihr die Weltpolitik Rückenwind. Die Invasion der winzigen britischen Falkland-Inseln im Südatlantik durch Argentinien war eigentlich kaum mehr als eine außenpolitische Anekdote. Thatcher machte daraus einen großen vaterländischen Krieg – und gewann das Ganze auch noch mit perfekt zelebriertem Glanz und Gloria.

Es folgte ein Erdrutschsieg bei den Wahlen und dann die zweite, noch entscheidendere Phase ihrer kapitalistischen Revolution: Die völlige Liberalisierung des britischen Finanzmarktes. Spielregeln, die ihr großer Verehrer und enger Freund Ronald Reagan kurz darauf auch in den USA einführen sollte.

Startschuss für Aufstieg Londons

Die "Eiserne Lady" ist tot
Then British Prime Minister Margaret Thatcher (L) and then U.S. President Ronald Reagan share a laugh during a meeting of the Allied leaders in New York in this October 24, 1985 file photo. Thatcher has died following a stroke, a spokesman for the family said. REUTERS/Chas Cancellare/Files (UNITED STATES - Tags: POLITICS OBITUARY)
Es war der Startschuss für den Aufstieg Londons zur Weltmetropole des Geldes. Ein neuer Wirtschaftszweig entstand und mit ihm eine ganze Kaste von neuen Reichen. Thatcher hatte ihre Vision vom postindustriellen Staat in die Tat umgesetzt. Stahl, Autos, Maschinen: Die englische Industrie, die über ein Jahrhundert ganzen Landstrichen ihren Charakter gegeben hatte, war verschwunden oder bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt. Sie hat bis heute nicht mehr zu ihrer einstigen Größe, nicht zu einer eigenen Identität zurückgefunden.

Dieser Umbruch war unumkehrbar. Mehr als zwei Jahrzehnte nach ihrem politischen Ende trägt Großbritanniens Wirtschaft, Großbritanniens Gesellschaft das Gesicht, das Thatcher ihr gegeben hat.

Die soziale Kluft, die sie einst in den britischen Mittelstand riss, hat sich nicht mehr geschlossen. Der Finanzplatz London aber produziert immer noch in atemberaubendem Tempo Reichtum.

Doch als die Welt 2008 in die Finanzkrise schlitterte, traf es kaum ein Land so hart wie Großbritannien. Ohne industrielles Rückgrat war die überschuldete Dienstleistungsgesellschaft Großbritanniens wehrlos. Eine Bank nach der anderen krachte, musste von einer linken Labour-Regierung mit Milliarden aufgefangen werden.

Verstaatlichung als einzige Rettung

Verstaatlichung als einzige Rettung für ein System, das sie, die eiserne Privatisiererin, aufgebaut hatte. Was wie ein Paradoxon wirkt, ist für Experten nur die letzte Konsequenz aus Thatchers Wirtschaftspolitik. Denn wenn jetzt der Staat eingreift, dann nicht, um Thatchers Modell der reinen postindustriellen Marktwirtschaft zu beenden, sondern viel mehr, um ihm das Überleben zu sichern. Noch einmal wurde so demonstriert, wie endgültig ihre Revolution für Großbritannien war – und natürlich auch, wie sehr ihr altes Motto noch immer stimmte: „Es gibt keine Alternative.“
Es mag ja über 30 Jahre her sein, aber die politischen und vor allem wirtschaftspolitischen Entscheidungen Margaret Thatchers haben Europas Entwicklung so nachhaltig geprägt, dass sich von ihrer Amtszeit bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2008 eine rote Linie ziehen lässt - eine erschreckend gerade rote Linie.
Thatcher verfolgte vom Zeitpunkt ihrer Machtübernahme 1979 drei Hauptziele: Kompromissloser Monetarismus, also die Bekämpfung der Inflation um jeden Preis, die Verdrängung des Staates aus der Politik und die Liberalisierung des Finanzmarktes.

Sie war die europäische Achse der Reagonomics, also der Wirtschaftspolitik ihres Du-Freundes Ronald Reagan, der exakt die gleichen Ziele verfolgte. An Großbritannien lassen sich daher exemplarisch die Stärken und die fatalen Schwächen ihrer Politik ablesen. Jener Politik, die nach der Wende in Osteuropa 1989 auch die gesamte europäische Entwicklung bestimmen sollte. Die Inflationsbekämpfung als Dogma ist Europa seither nicht mehr losgeworden, die globale Raserei des Geldes ebenfalls nicht.
Sie prügelte ihr Land und dessen verschlampte Wirtschaft in die Entindustrialisierung. Dass heute annähernd 20 Prozent des britischen BIP vom Finanzzentrum London erwirtschaftet werden, dass also das ganze Land am Tropf der City und ihrer Bankriesen hängt, ist die Konsequenz daraus.
Die Politik, die sie ins Rollen brachte, ließen London zur Welthauptstadt des Geldes werden und die daran beteiligten Banken so groß werden, dass sie irgendwann dem Staat über den Kopf wuchsen. Dass diese Institute früher oder später die Spieregeln für die Weltwirtschaft mitschreiben würden, war somit unvermeidlich. Zuletzt, als die Blasen, die man rückhaltlos aufgepumpt hatte, platzten, schaffte man es sogar, die Staaten für das eigene Versagen aufkommen zu lassen.
Der beispiellose Aufschwung, den Großbritannien unter Thatchers Nachfolger Tony Blair erlebte, ist ihr anzurechnen. Dass dieser Aufschwung nicht nachhaltig war, allerdings ebenfalls. Thatchers Traum von der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft, in der wir uns alle gegenseitig die Haare schneiden, ist heute für viele Briten zum Albtraum geworden - und ein einst führender Autokonzern wie Rover versucht heute mit chinesischem Geld wieder auf die Beine zu kommen.

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso würdigte die Rolle von Margaret Thatcher für die EU-Erweiterung. "Sie war ein führender Akteur dabei, die mittel- und osteuropäischen Länder zur europäischen Familie zu bringen, die damals hinter dem Eisernen Vorhang waren", erklärte Barroso in einem Statement in Brüssel. Thatcher sei "zweifelsohne eine große Staatsfrau" gewesen. Sie werde sowohl für ihren Beitrag zum als auch für ihre Vorbehalte gegenüber dem europäischen Projekt in Erinnerung bleiben, betonte Barroso.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz erinnerte daran, dass Thatcher zu Beginn ihrer Amtszeit eine überzeugte Europäerin gewesen sei, die sich für die Unterzeichnung der einheitlichen Europäischen Akte eingesetzt habe, welche den Binnenmarkt verändert habe. "Ganz egal, ob man ihrer Politik zustimmt oder nicht, Margaret Thatcher hat gezeigt, dass die Politik noch immer eine Kraft des Wandels sein kann." Thatcher sei "eine Figur von historischer Bedeutung" gewesen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete Thatcher als "eine der überragenden Führungspersönlichkeiten der Weltpolitik ihrer Zeit". Sie habe früh die Kraft der Freiheitsbewegungen Osteuropas erkannt und sich für sie eingesetzt, sagte Merkel, die in der DDR aufwuchs. "Ihren Anteil an der Überwindung der Teilung Europas und am Ende des Kalten Krieges werde ich nicht vergessen." Weiter betonte Merkel: "Indem sie sich zu Zeiten, als dies noch nicht selbstverständlich war, als Frau im höchsten demokratischen Amt behauptete, hat sie vielen nach ihr ein Beispiel gegeben."

"Mit Margaret Thatcher verliert die bürgerliche Parteienfamilie eine der herausragendsten politischen Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts", erklärte Vizekanzler und ÖVP-Obmann Michael Spindelegger am Montag in einer Aussendung. "Obwohl Thatchers Politik zum Teil polarisierte, wurde vor allem ihr Wirtschaftskurs, der zu mehr Wohlstand für Großbritannien führte, immer hervorgehoben", so der Vizekanzler und Außenminister.

Für den früheren sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow war Thatcher eine "große politische Persönlichkeit".

Auch der frühere polnische Präsident Lech Walesa würdigte sie als Persönlichkeit, "die zum Fall des Kommunismus beigetragen hat". Er bete für sie, sagte der Friedensnobelpreis-Träger und ehemalige Chef der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc, deren Proteste in den 80er Jahren die politische Wende in Polen mit bewirkten.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle charakterisierte Thatcher als eine große Politikerin, die Großbritannien, Europa und die ganze Welt geprägt habe. Thatcher zähle zu den wenigen Menschen, bei denen man schon zu Lebzeiten gewusst habe, dass sie große Geschichte geschrieben habe. "Für die Geschichte Europas und der Welt hinterlässt sie ein großes Erbe", sagte Westerwelle am Montag in Berlin. "Wir schauen voller Bewunderung auf ihr Lebenswerk."

Der deutsche Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (1982-98) zeigte sich über Thatchers Tod erschüttert. "Ich habe Margaret Thatcher wegen ihrer Freiheitsliebe, ihrer unvergleichlichen Offenheit, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit sehr geschätzt", teilte Kohl am Montag mit. Thatcher sei "eine aufrechte Kämpferin und Vertreterin der Interessen ihres Landes" gewesen. Der CDU-Politiker bezeichnete sie als "großartige" Frau und Premierministerin. In Kohls Amtszeit war es zu etlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Politikern gekommen, unter anderem über den Kurs der EU und die Wiedervereinigung Deutschlands 1989/90, der Thatcher zunächst skeptisch gegenüberstand. Der Alt-Kanzler räumte ein, dass sein Verhältnis zu Thatcher immer auch ein "Wechselbad der Gefühle" gewesen sei. "Trotz allen unterschiedlichen Auffassungen in manchen Sachfragen war es bis zuletzt aber vor allem ein respektvoller Umgang miteinander. Und so verneige ich mich mit stillem Gruß und in tiefem Respekt."

Der französische Präsident François Hollande nannte Margaret Thatcher eine "große Persönlichkeit", die die Geschichte ihres Landes nachhaltig geprägt habe. "Ihr gesamtes öffentliches Leben lang war sie mit ihren konservativen Überzeugungen, zu denen sie voll stand, auf den Einfluss Großbritanniens und auf die Verteidigung seiner Interessen bedacht", hob der Sozialist in einer Erklärung in Paris hervor. Thatchers Beziehungen zu Frankreich seien stets "offen und loyal" gewesen, fügte Hollande hinzu. Gemeinsam mit dem damaligen französischen Staatschef François Mitterrand, ebenfalls Sozialist, habe sie die Verbindungen zwischen beiden Ländern gestärkt. So habe sie einen entscheidenden Impuls zum Bau des Tunnels unter dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien gegeben.

US-Präsident Barack Obama hat mit Bedauern auf den Tod der ehemaligen britischen Premierministerin reagiert. "Mit dem Tod von Baroness Margaret Thatcher hat die Welt eine der großen Verfechterinnen der Freiheit verloren und Amerika eine wahre Freundin", sagte der Präsident. Als erste britische Regierungschefin sei sie Vorbild für viele Frauen.

Auch George Bush senior, der während seiner Amtszeit als US-Präsident Ende der 1980er Jahre eng mit Thatcher zusammengearbeitet hatte, äußerte sich zum Tod der "Eisernen Lady": "Margaret war mit Sicherheit eine der stärksten Befürworterinnen von Freiheit und freien Märkten im gesamten 20. Jahrhundert."

Doch nicht alle in Großbritannien hat die Nachricht vom Tod Thatchers betrübt - der Funktionär David Hopper von der Bergarbeitergewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) machte aus seiner Freude am Montag keinen Hehl. "Darauf werde ich jetzt anstoßen", sagte Hopper, der bei sich zuhause im nordostenglischen Durham zugleich Geburtstag feierte. "Das ist ein wunderbarer Tag, ich bin absolut erfreut. Heute ist mein 70. Geburtstag, und es ist einer der besten, die ich je hatte."

Thatchers erste Amtszeit war geprägt von heftigen Auseinandersetzungen mit den britischen Gewerkschaften. Die konservative Premierministerin verfolgte einen rigiden Kurs der Privatisierung von Staatsbetrieben und der Senkung der Staatsausgaben.

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