Die Bretagne setzt Hollande unter Druck

Die Bretagne setzt Hollande unter Druck
Eine Demo gegen Steuern in Westfrankreich mündete in Zusammenstöße mit der Polizei.

Der Aufmarsch von über zehntausend Bauern, Fischern, Frächtern, Kaufleuten, Fabrikanten und Arbeitern am Samstag in der Stadt Quimper, in der westfranzösischen Region Bretagne, mündete in Zusammenstöße mit der Polizei, als ein Teil der Demonstranten den Amtssitz des Präfekten (der höchste Staatsbeamte vor Ort) zu stürmen versuchte. Bereits in der Vorwoche war es bei Demonstrationen in dieser westfranzösischen Gegend zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Sondereinheiten der Polizei gekommen, wobei ein Demonstrant durch einen Sprengsatz die Hand abgerissen worden war. Die Proteste richten sich sowohl gegen die Einführung einer LKW-Maut und als auch gegen die zahlreichen Betriebsschließungen, die in den letzten Wochen die Bretagne erschüttert hatten.

Bei diesen Ereignissen handelt es sich um die erste wirklich bedrohliche Protestbewegung für die linke Staatsführung um den sozialistischen Präsident Francois Hollande. Das ist insofern überraschend, als in der Bretagne eine breite Mehrheit bei den Präsidentenwahlen 2012 für Hollande gestimmt hatte, und die Minister bretonischer Provenienz eine einflussreiche Phalanx in der rotgrünen Regierung bilden. Außerdem war die LKW-Maut, die jetzt die Unruhen auslöste, als sogenannte „Öko-Abgabe“ bereits unter dem bürgerlichen Vorgänger von Hollande, dem konservativen Staatschef Nicolas Sarkozy, von allen politischen Parteien einhellig beschlossen worden. Sie sollte der Finanzierung alternativer und sauberer Verkehrsmittel dienen und jetzt, am ersten Jänner 2014, in Kraft treten.

Anti-Steuer-Proteste in Frankreich

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Protesters wearing red caps, the symbol of protest
Die Bretagne setzt Hollande unter Druck

Hooded protesters take part in a demonstration to
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A protester holds a potted chrysanthemum near Fre
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Protesters wearing red caps, the symbol of protest
Die Bretagne setzt Hollande unter Druck

Police use a water canon to push back protesters
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Protesters wearing red caps, the symbol of protest
Die Bretagne setzt Hollande unter Druck

Protesters wearing red caps, the symbol of protest

Die Regierung hatte aber schon in der Vorwoche, angesichts der ersten Anzeichen für die Revolte in der Bretagne, die Einführung dieser Abgabe auf unbestimmte Zeit vertagt. Eine Reihe bretonischer Organisationen pochen aber auf der definitiven Annullierung dieser Abgabe.

In der Bretagne, und namentlich in ihrem westlichstem Zipfel, dem Departement des Finistere (wörtlich: das Land-Ende), war diese neue Steuer der Tropfen, der das Fass der Ängste zum Überlaufen brachte. Die bereits schwer angeschlagene Agrar- und Fischerei-Industrie und ihrer bäuerlichen Zulieferer sind dort alternativlos vom LKW-Verkehr abhängig. In den letzten Wochen hatten im Finistere, Schlag auf Schlag, ein dutzend Unternehmen, darunter führende Geflügel-Exportfirmen, Schweinefleisch-Produzenten, Fischerei-Verarbeitungsfabriken und Schlachthöfe ihre Schließung angekündigt.

Ärger über deutsche Konkurrenz und EU

Das gesamte in den 1970er entstandene Entwicklungsmodell in dieser abseitigen Region scheint zu zerbrechen. Zehntausende Arbeitsplätze in der Agrarverarbeitungsindustrie aber auch beim örtlichen Handel, den Bauern und Viehzüchtern, den Fischern und Frächtern wanken. Die Ursachen sind vielfältig: Fehlinvestitionen örtlicher Firmen und Rationalisierungspläne von Konzernen. Vor allem leidet die bretonische Agrarverarbeitungs-Wirtschaft unter der verschärften Konkurrenz der ausländischen Billiganbieter. Dabei geriet namentlich die deutsche Schweinefleisch-Industrie mit ihren hyperintensiven Zuchtstätten und ihrem brutalen Lohn-Dumping auf die Anklagebank – und damit auch die EU. Dieser wird vorgeworfen, sie habe den europäischen Binnenmarkt ohne sozialer Regulierung zu einer „Industrie-Vernichtungsmaschine entarten lassen“.

Diese Kritik der EU ist auch der einzige gemeinsame Nenner der Protestbewegung, die ansonsten in unterschiedliche und zum Teil gegenläufige Kräfte zerfällt: der Unternehmerverband und die Frächter, die vor allem die Steuerpolitik der Linksregierung im Visier haben, die Bauern und Viehzüchter, die um den Beibehalt von EU-Subventionen ringen und vielfach einen verzweifelten Kampf gegen die Preisdrückerei der großen Handelsketten führen, die Gewerkschaften der Arbeitnehmer, die den Unternehmern und Konzernen eine allzu profitorientierte Standortpolitik vorwerfen, bretonische Autonomisten, die den Pariser Zentralismus für die Krise verantwortlich machen, linke aber auch rechtsrechte Separatisten.

Dieses Durcheinander macht es der Regierung besonders schwer, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Deswegen fand auch die Suspendierung der „Öko-Abgabe“ vor Ort bisher wenig Widerhall. Ebenso verpuffte die Einberufung einer Krisenkonferenz mit den diversen Vertretern der Bretagne, auf der die Regierung neue Subventionsversprechen machte.

Geschwächte Staatsführung

Die örtliche Panik über die Fabrikschließungen aber auch die Aggressivität der diversen Protestgruppen nährt sich freilich auch aus der aktuellen Schwäche der Staatsführung um Francois Hollande. Der sozialistische Präsident grundelt 18 Monate nach seiner Amtsübernahme in allen Umfragen in Popularitäts-Tiefen ungeahnten Ausmaßes. Hinter diesem Vertrauensverlust für Hollande stecken zwei Faktoren: der ungebrochene Anstieg der Arbeitslosenrate auf elf Prozent und die Versuche der Regierung, durch Sparmaßnahmen und Massensteuern, die Staatsverschuldung (vorrausichtlich 95 Prozent des BIP im kommenden Jahr) in den Griff zu bekommen. In der EU-Kommission in Brüssel und beim wichtigsten EU-Partner in Berlin, gelten die diesbezüglichen Anstrengungen der Pariser Linksregierung als halbherzig und ungenügend, in Frankreich aber sorgen diese Maßnahmen bereits für enormen Frust und Enttäuschung unter den Wählern, die für Hollande gestimmt hatten.

Hollande versucht diese Gegensätze durch vorsichtiges Herumlavieren zu umschiffen, aber die Öffentlichkeit sieht in dieser Taktik der kleinen Schritte vor allem einen Mangel an Autorität und Zielstrebigkeit. Auch in der Regierung, in der es immer wieder zu Entscheidungspannen und widersprüchlichen Ankündigungen kommt, lästern Minister hinter vorgehaltener Hand über die „Führungsschwäche“ und den „verworrenen Kurs“ von Hollande und seines Premierministers, Jean-Marc Ayrault.

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