Die bedächtige Stimme hinter den Mächtigen in Brüssel
Kaum nimmt Christian Wigand Platz, da läutet sein Telefon. Eine britische Journalistin will wissen, wie das nun genau ist, mit den neuen Bestimmungen der EU-Richtlinie für Pauschalreisen. So ist es fast immer: Wer für den Sprecher-Dienst der Europäischen Kommission arbeitet, der wird pausenlos von Journalisten gelöchert.
Wigand bleibt vollkommen gelassen. Der 38-jährige Österreicher hat längst gelernt, mit dem Ansturm der Anfragen umzugehen – schon früher in
Wien, als Pressesprecher von Justizminister Wolfgang Brandstetter. Und nun, seit fast vier Jahren als einer der 18 Sprecher im Team von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Zum Job des gebürtigen Grazers gehört es, der Welt draußen zu erklären, was innerhalb der Mauern der Europäischen Kommission geschieht. Welche Richtlinien für ganz Europa gültig werden und überhaupt, was die „Hüterin der Gesetze“ Neues beschlossen hat.
Eine persönliche Meinung zu den präsentierten Regelungen haben die Sprecher in der Öffentlichkeit nicht zu äußern. Aber Vorurteile wie „das Bürokratiemonster Brüssel“ ärgern den politik-begeisterten Kommissionsmitarbeiter. „Ich finde es schade, wenn Leute solch einen Eindruck von der EU und der Kommission im Besonderen haben“ sagt Wigand. „Hier arbeiten sehr viele motivierte und sehr engagierte Menschen.“
Unbekannte Kommissare
Dass die Kritik an der EU so unfair ausfalle, gibt der Kommunikationsexperte zu bedenken, „hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Menschen beim Thema
Brüssel kein Gesicht vor sich haben.“ Kommissionschef Juncker – ihn kennen wohl die meisten EU-Bürger. Aber die Namen der 28 Kommissare? Oder auch nur zwei, drei davon?
Christian Wigand zuckt fast entschuldigend mit den Schultern. „Deshalb gehen die Kommissare jetzt viel öfter an die Öffentlichkeit.“ Was Wigand allerdings nicht dazu sagt: Einige dieser Kommissare haben Strahlkraft, andere sorgen mangels rhethorischem Feuers bei ihren Zuhörern sofort für bleiartige Müdigkeit.
Umso hitziger geht es dagegen meist bei den Mittags-Briefings her. Punkt zwölf Uhr beginnt im untergeschossig liegenden Pressesaal des Berlaymont-Gebäudes das tägliche Zeremoniell: Aufmarsch der Kommissions-Sprecher und jede Menge wartender Journalisten aus 28 EU-Staaten. Zu diesem Zeitpunkt hat Christian Wigand bereits die europäische Medienlandschaft durchforstet, die medialen Themen des Tages aufbereitet und Rücksprachen mit den jeweiligen Fachressorts hinter sich.
In der Löwengrube
Doch so gut vorbereitet die Sprecher auch in die „Löwengrube“ gehen: „Man muss immer mit allem rechnen“, weiß Wigand. Fragen können kommen, die nicht zu erwarten waren, Krisen können über Nacht aufgepoppt sein, und der eine oder andere Journalist kann wild entschlossen sein, die Kommissionssprecher „zu grillen“.
Nicht alles, was ein Kommissionssprecher weiß, darf er auch sagen. Das treibt die Journalisten beim Midday mitunter zur Weißglut, sei aber im Interesse der Sache manchmal nötig, sagt Wigand. „Dafür gibt es ja“, und da muss der sonst so kooperative Kommissionssprecher doch grinsen, „an die 50 Arten, „kein Kommentar“ zu sagen“. Dass das Ganze in fehlerfreiem Englisch und Französisch zu geschehen hat, ist für einen Sprecher in
Brüssel selbstverständlich.
Vierzig-Stunden Wochen kennt der Vater dreier kleiner Töchter hier nicht. Sind es fünfzig Stunden oder mehr? Wigand lächelt. Sicher ist nur: Dem begeisterten Jazz-Rockgitarristen, der immerhin ein Jahr lang Musik studiert hat, bleibt kaum Zeit für sein Hobby. Auch das Komponieren, das Spielen in einer Band – alles hat vorerst Pause.
Was jetzt seine Zeit beansprucht, sind die großen Arbeitsbereiche Justiz, Verbraucherschutz und Grundrechte. Beim Thema Arbeit und Soziales kamen zuletzt viele Anfragen direkt aus Österreich: Entsenderichtlinie oder Familiengeld-Indexierung. Wer wissen will, ob die EU-Kommission das Vorgehen der Regierung in Wien für EU-kompatibel ansieht, muss bei
Christian Wigand nachfragen.
Der Bereich, der ihn derzeit aber am meisten beschäftigt, ist die Rechtsstaatlichkeit in der EU, wie etwa in Polen, Ungarn oder Rumänien. Dieses Thema sieht der Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien als eine „als gefährlich für ganz Europa. Denn das gefährdet eine Gemeinschaft, die auf Regeln beruht.“
Die europäische Politik, ihre Herausforderungen und ihre Risiken, das hat Wigand schon immer interessiert. Auch, als der groß gewachsene, ernsthafte junge Mann noch im deutschen Gießen evangelische Theologie studierte. Es waren die theologischen Grundsatzfragen, die ihn fesselten. Pfarrer zu werden war nie sein Ziel. Zwei Jahre lang leistete Wigand Sozialarbeit mit Jugendlichen im oberösterreichischen Steyr und ahnte doch immer: Auf ihn warten noch mehr Herausforderungen. Einmal im Umfeld der Politik angekommen – nämlich als parlamentarischer Mitarbeiter von Ex-Außenministerin Ursula Plassnik – war sein Karriereweg nicht mehr zu bremsen.
Die großen europäischen Themen
Danach Pressesprecher von Justizministerin Beatrix Karl und auch von ihrem Nachfolger Wolfgang Brandstetter. Zusammen reisten sie oft nach Brüssel – und Christian Wigand fand Geschmack: an den großem europäische Themen, den größeren Zusammenhängen, der größere Herausforderung. Bewarb sich, schlug bei den anspruchsvollen Hearings eine Reihe von Bewerbern aus dem Rennen und zog mit Frau und Kindern nach Brüssel. „Wir hatten grad unser Haus fertiggebaut. Im Februar sind wir eingezogen, und im Dezember sind wir nach Brüssel gegangen“, lacht Wigand.
Irgendwann wird es wieder von ihm und seiner Familie bezogen werden, dieses Haus im Umland von Wien. Was er aber jetzt schon bedauert: „In diesem Haus habe ich einen eigenen Musikraum, fürs Spielen mit der E-Gitarre.“ Der, so meint Christian Wigand bedauernd, „der steht jetzt leer.“
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