Deutschlands Wehrdienst-Reform: Etwas Pflicht und weiterhin viel Freiwilligkeit

Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einer Grundausbildung.
Die deutsche Regierung hat sich nach Monaten der Diskussionen auf eine Reform des Wehrdienstes geeinigt. Die wichtigste Frage bleibt aber unbeantwortet.

"In keinem Land werden die eigenen Streitkräfte so schlechtgeredet wie in Deutschland. Wir sind viel besser als der Ruf.“ SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius nutzte die 70-Jahr-Feier der Bundeswehr am Mittwoch vor dem Reichstag in Berlin nochmals, um die Werbetrommel für Deutschlands Streitkräfte zu rühren, bevor die Regierung am Donnerstag nach monatelangen Diskussionen ihre Reform zum Wehrdienst vorlegte.

Betont harmonisch gaben sich Union und SPD vor den Journalisten; der öffentliche Streit um das von der CDU in den Raum gestellte Losverfahren, das Pistorius vehement abgelehnt hatte, dürfte für Kompromissbereitschaft gesorgt haben. Die Verhandler hätten einen Streitpunkt nach dem anderen "aus dem Weg geräumt", die CSU schwärmte von einem "positiven Beispiel für die Koalition insgesamt".

Was kommt? Der Wehrdienst bleibt freiwillig – Deutschland hat die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt –, künftig müssen aber alle deutschen Staatsbürger gemustert werden. Mit 1. Jänner 2026 erhalten alle jungen deutschen Männer ab Jahrgang 2008 einen Onlinefragebogen, der Infos zu Gesundheitszustand, Fitnesslevel und Ausbildung abfragt. Auch Frauen erhalten diesen, die Antwort ist nur für Männer verpflichtend. Künftig sollen die Befragten auch tatsächlich physisch gemustert werden – allerdings erst, wenn die Infrastruktur das hergibt, gerechnet wird mit Mitte 2027. Bis dahin muss die Bundesrepublik entsprechend investieren, pro Jahrgang ist von rund 300.000 zur Musterung berufenen Männern die Rede. Kasernen wurden in der Vergangenheit wegen Nichtnutzung aufgelöst und umfunktioniert, etwa zu Flüchtlingsunterkünften. Die Sanierungskosten betragen teilweise dreistellige Millionen-Beträge.

Noch nicht genügend Kapazitäten

Im April zitierte die Tagesschau eine Bundeswehrsprecherin, mit ihren derzeitigen Kapazitäten könne die Bundeswehr jährlich zusätzlich 5.000 Wehrdienstleistende aufnehmen. Das Verteidigungsministerium will nächstes Jahr aber bereits 20.000 Freiwillige mehr haben (zum Vergleich: In Österreich leisteten 2024 rund 16.100 junge Menschen ihren Grundwehrdienst). Pistorius muss auf Drängen der Union alle sechs Monate Bericht erstatten zur Anzahl der Freiwilligen. 

Auch attraktiver soll der Wehrdienst werden: Die Entschädigung soll steigen (die Rede ist von 2.600 Euro brutto), bei einer längeren Verpflichtung für ein Jahr soll es Zuschüsse für Ausbildungen oder Führerscheine geben. 

Was, wenn keiner will?

Schafft es die Bundeswehr so, bis 2035 über 260.000 Soldaten – seit Jahren stagniert die Zahl bei 180.000 – sowie rund 200.000 Reservisten aufzustellen, wie sie es sich vorgenommen hat? Das ist unklar, denn die heikelste Frage bleibt unbeantwortet – was passiert, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden. Ob dann auf eine Wehrpflicht für einzelne Jahrgänge oder doch das Losverfahren zurückgegriffen wird, entscheidet dann der Bundestag. Die Union wollte in dem Fall eine automatische Reaktivierung der Wehrpflicht, die SPD hatte sich dagegen gewehrt.

Einige junge Männer scheinen jedoch genau das zu befürchten: Die Zahl jener, die von ihrem im Grundgesetz verankerten Recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch machen, ist gering, aber steigt stark. Waren es 2021 noch 201 und 2022, als Russland die Ukraine überfiel, 951 Anträge, gingen bis Ende August 2025 bereits 3.257 Anträge bei der Bundeswehr ein. Gerechnet wird mit 5.000 bis Jahresende.

Im historischen Vergleich sind die Zahlen allerdings nichtig: Zwischen 1991 und 2010 waren es jeweils mehr als 100.000 Kriegsdienstverweigerer pro Jahr, die meisten waren es 2002: knapp 190.000.

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