Deutschland verbietet erstmals Reichsbürger-Gruppe

Deutschland verbietet erstmals Reichsbürger-Gruppe
Razzien in zehn Bundesländern: Gruppen durch Antisemitismus, Rassismus und Drohungen aufgefallen.

Sie wollten das Rathaus in Berlin-Zehlendorf übernehmen und forderten mit Drohungen die Freilassung des verurteilten Holocaust-Leugners Horst Mahler (vormals Anwalt der RAF): Mehr als 400 Polizeibeamte durchsuchten am Donnerstag in den frühen Morgenstunden die Wohnungen führender Mitglieder des Vereins "Geeinte deutsche Völker und Stämme" und seiner Teilorganisation "Osnabrücker Landmark" in zehn Bundesländern. Dabei wurden laut Innenministerium Schusswaffen, Baseballschläger, Propagandamaterialien und geringe Mengen Betäubungsmittel sichergestellt.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) ging nun erstmals mit einem landesweiten Verbot gegen eine Reichsbürger-Gruppierung vor. "Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus werden auch in Krisenzeiten unerbittlich bekämpft", schrieb der Sprecher des Ministeriums, Steve Alter, im Kurznachrichtendienst Twitter.

Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus

Die Mitglieder des Vereins "bringen durch Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus ihre Intoleranz gegenüber der Demokratie deutlich zum Ausdruck", hieß es aus dem Innenministerium. In den vergangenen Jahren sei die Gruppierung unter anderem durch "verbalaggressive Schreiben" aufgefallen. Darin sei den Adressaten "Inhaftierung" und "Sippenhaft" angedroht worden.

Sogenannte "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland an. Einige dieser Gruppierungen berufen sich auf ein selbst definiertes "Naturrecht", andere auf das historische Deutsche Reich. Viele unter ihnen behaupten, die Bundesrepublik sei in Wirklichkeit kein Staat, sondern ein Unternehmen. Sie erkennen Gesetze und Behörden nicht an und wehren sich teilweise gewaltsam gegen staatliche Maßnahmen, Steuern, Sozialabgaben und Bußgelder zu zahlen.

Deutschlandweit soll es nach Angaben des Verfassungsschutzes rund 19.000 Mitglieder dieser Szene geben - davon 950 bekannte Rechtsextremisten. Rund 530 Angehörige der Szene sind demnach Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse. Zum Vergleich: Im Juni 2019 waren noch 490 zum Waffenbesitz berechtigt. Der Verfasschungsschutz, der die Szene seit 2016 beobachtet, entzog bisher mindestens 790 Personen die waffenrechtliche Erlaubnis.

Mehr als 33.000 Schusswaffen nicht mehr auffindbar

Abgesehen davon beschäftigt Sicherheitsexperten noch eine andere Zahl: Laut Bundesregierung bleiben immer mehr Schusswaffen verschwunden. Ende Januar 2020 waren laut dem nationalem Waffenregister 33.191 Schusswaffen nicht mehr auffindbar, wie der Tagesspiegel berichtete. Das bedeute einen Anstieg um knapp 15 Prozent innerhalb von zwölf Monaten. 2016 seien lediglich rund 17.500 private Schusswaffen als unauffindbar registriert gewesen.

"Es muss davon ausgegangen werden, dass potentiell jede dieser als abhanden gemeldeten Schusswaffen jetzt einer Person zur Verfügung steht, die sie legal nicht hätte erwerben wollen oder können", sagte die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic, die eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte.

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