Geschlecht wechseln? Wo das in Europa einfach geht

Geschlecht wechseln? Wo das in Europa einfach geht
Das deutsche Kabinett brachte Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg. Die hitzige Trans-Debatte endet damit aber nicht - auch wenn vielen anderen EU-Ländern ähnliche Gesetze gelten.

Berlin. „Tollhausgesetz“, sagen die einen. „Ein historischer Moment“, die anderen. Das Selbstbestimmungsgesetz, das die deutsche Koalition am Mittwoch auf den Weg gebracht hat, scheidet die Geister – auch nach monatelangen Debatten.

Laut dem Entwurf, der demnächst im Bundestag verabschiedet werden soll, soll jede Person ab 14 Jahren per Gang zum Standesamt das Geschlecht wechseln können, eine einfache Erklärung und eine Eigenversicherung reichen aus. Nicht mehr nötig sind ein psychologisches Gutachten und eine gerichtlichen Entscheidung, die im derzeit geltenden Transsexuellengesetz noch vorgeschrieben waren. Bei Betroffenen hatte das für massiv Kritik gesorgt, denn sie mussten Ehelosigkeit, eine operative Geschlechtsumwandlung und die dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit, sprich Sterilisation, nachweisen.

All das – vor allem die medizinische Geschlechtsanpassung – fällt nun weg. Kritiker befürchten darum nun aber eine Entwicklung in die andere Richtung: Was, wenn schnell das Geschlecht gewechselt wird, um den Behörden – etwa im Kriegsfall oder nach einer Straftat – zu entgehen? Und was, wenn Jugendliche nur einem Trend folgen wollen, wie vor allem Frauenrechtlerin Alice Schwarzer immer wieder bemängelt: „Trans zu sein, ist Mode – und gleichzeitig die größte Provokation“, sagte sie jetzt im Spiegel. Die Zahlen jener, die ihr Geschlecht ändern wollten, würden massiv steigen, und etwa 80 Prozent davon seien Mädchen.

Für ersteren Fall – den Geschlechtswechsel aus unlauteren Motiven – hat die Ampel mit diversen Klauseln im Gesetz vorgesorgt. So darf etwa keine Änderung vorgenommen werden, wenn ein „Spannungs- oder Verteidigungsfall“ eintritt, bei Sicherheitsbedenken kann der Antrag abgelehnt werden. Will sich jemand mit dem Eintrag einen Vorteil in Sportbewerben sichern, so entscheidet der jeweilige Verband: Sportvereinigungen entscheiden weiterhin selbst, wer zugelassen wird. Ähnlich ist die Regelung bei Frauenhäusern und -saunen: Damit sich niemand Zugang zu geschützten Räumen erschleichen kann, können diese Institutionen auf ihr Hausrecht verweisen und Zugänge verwehren.

Ein-Jahres-Sperrfrist

Die Debatte rund um Jugendliche ist allerdings komplexer. Die Koalition will da mit einer Sperrfrist dafür sorgen, dass ein Geschlechtswechsel nicht aus einer Laune heraus vorgenommen werden kann – wer den Schritt macht, kann ihn ein Jahr lang nicht rückgängig machen. Bei Jugendlichen unter 14 Jahren entscheiden ohnehin die Obsorgeberechtigten.

Schwierig ist die Diskussion über Trans-Jugendliche auch deshalb, weil es kaum valide Daten gibt. Laut Befragungen aus den USA ist davon auszugehen, dass sich etwa 0,6 Prozent der Bevölkerung als trans sieht. Ob das Gesetz, das die Änderung massiv erleichtert, Menschen zu diesem Schritt ermutigt, muss sich also erst weisen. In jenen neun Ländern in Europa, die ähnliche Gesetze bereits gelten (Dänemark, die Schweiz, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Spanien, Finnland, Island und Norwegen) gibt es laut einer Studie von Transgender Europa jedenfalls kaum Berichte über Missbrauch – und auch die Zahl jener, die von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, ist eher gering.

In Norwegen, wo ein Wechsel schon lange ab einem Alter 16 Jahren möglich ist, war die Zahl am höchsten. Im Vorjahr nahmen 2675 Personen die Möglichkeit in Anspruch – das ist ein halbes Promille der Bevölkerung.

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