Merkel offen für Ehe für alle

Damit rückt die deutsche Kanzlerin von der bisherigen CDU-Linie ab. Sie strebt eine Gewissensentscheidung im Bundestag an. Bei einer Veranstaltung sprach sie von einem "einschneidenden Erlebnis".

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel ist sehr überraschend von dem klaren Nein ihrer CDU zur Ehe für alle abgerückt. In einer Veranstaltung mit der Zeitschrift Brigitte sagte Merkel am Montagabend in Berlin, sie wünsche sich eine Diskussion, die "eher in Richtung einer Gewissenentscheidung geht".

Bei einer Abstimmung im Bundestag ohne Fraktionszwang gilt eine Mehrheit für die gleichgeschlechtliche Ehe als sicher. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat Merkel die Linie mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen.

Nach dem Schwenk Merkels wird es noch in dieser Woche eine Parlamentsabstimmung dazu geben. Dies kündigte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Dienstag in Berlin an. Parteichef Martin Schulz hatte zuvor angedeutet, dass die SPD in dieser Frage zu einem Koalitionsbruch bereit wäre. Das Votum "wird diese Woche passieren", sagte Oppermann. Grüne und FDP begrüßten den Schwenk.

Koalitionsbedingung für Grüne, SPD und FDP

SPD, Grüne und FDP haben die völlige Gleichstellung von Homosexuellen bei der Ehe zur Bedingung für eine Koalition gemacht. Auch die Linke fordert die Ehe für alle. Merkel sagte, sie habe natürlich zur Kenntnis genommen, wie jetzt alle Parteien außer der Union zu dem Thema stünden. Und die rechtspopulistische Alternative für Deutschland komme als Koalitionspartner nicht in Frage.

Sie sei "bekümmert", sagte die Kanzlerin, dass diese sehr individuelle Frage Gegenstand von "Parteitagsbeschlüssen und plakativen Dingen" sei. Sie wolle mit der CDU und der CSU "anders darauf reagieren". Sie selbst und viele Mitglieder in der Union beschäftigten sich intensiv mit dem Thema.

Merkel betonte: "Ich wünsche mir, dass trotz Wahlkampfs die Diskussion mit Respekt und Achtung geführt wird." Sie wünsche sich Respekt vor Menschen, die sich schwer mit der Frage tun und kirchlich gebunden seien.

Sie wolle gern eine Diskussion "eher in Richtung einer Gewissenentscheidung" und keine Mehrheitsbeschlüsse "durchpauken". Gleichgeschlechtliche Paare hätten dieselben Werte.

Sie finde es aber seltsam, dass in der Koalition mit der SPD in vier Jahren darüber nicht richtig gesprochen worden sei und es "plötzlich holterdiepolter" gehen solle.

Merkel berichtet von "einschneidendem Erlebnis" im Wahlkreis

Merkel, die im vorigen Bundestagswahlkampf Adoptionen von gleichgeschlechtlichen Paaren noch mit dem Argument des Kindeswohls ablehnte, berichtete nun von einem "einschneidenden Erlebnis" in ihrem Wahlkreis. Dort sei sie von eine lesbischen Frau eingeladen worden, zuhause bei ihr und ihrer Partnerin vorbeizuschauen und zu sehen, dass es ihren acht Pflegekindern gut gehe.

Merkel sagte, wenn das Jugendamt einem lesbischen Paar acht Pflegekindern anvertraue, könne der Staat nicht mit dem Kindeswohl gegen Adoptionen argumentieren.

Deutsche Abgeordnete fordern sofortige Abstimmung

Nach den überraschenden Äußerungen der deutschen Kanzlerin fordern mehrere Abgeordnete, eine von Angela Merkel ins Gespräch gebrachte "Gewissensentscheidung" im Bundestag noch vor der Wahl zu ermöglichen. Politiker von SPD und Grünen pochten auf eine Abstimmung in dieser Woche, ähnlich äußerten sich ein CDU-Parlamentarier und zahlreiche Twitter-Nutzer.

In sozialen Netzwerken war die #Ehefueralle in der Nacht zum Dienstag ein vieldiskutiertes Thema. "Merkel will erst in nächster Wahlperiode frei über die Ehe für alle entscheiden lassen? Warum? Wir können diese Woche abstimmen. Auf geht's!", twitterte der gleichstellungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sönke Rix. Gleiches forderten mehrere Grünen-Politiker, die Parteivorsitzende Simone Peter schrieb in dem Kurznachrichtendienst: "Wir warten auf die politische Initiative, nachdem die Ehe für alle letzte Woche im Bundestag zum 30. Mal vertagt wurde!"

Auch in Teilen der CDU gibt es Zustimmung: So schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann kurz nach Merkels Äußerungen auf Twitter:

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