Deutschland kein "EU-Sozialamt"

Drei Viertel aller Zuwanderer in Deutschland kommen aus den EU-Ländern.
Luxemburger Generalanwalt billigt Missbrauchs-Prävention bei Sozialtourismus.

Deutschlands Regierung und Sozialbehörden sind erleichtert über ein sich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) abzeichnendes restriktives Urteil zum "Sozialtourismus": Der EuGH-Generalanwalt hat in seiner Stellungnahme zu einem konkreten Fall dafür plädiert, dass Deutschland dauerhaft arbeitslosen, integrationsunwilligen EU-Zuwanderern "Hartz IV" verweigern kann.

Deutsche Gerichte hatten in bisher rund 250 Fällen ganz unterschiedlich entschieden. Daher war die Befürchtung in Berlin groß, dass die Europa-Richter allen EU-Einwanderern grundsätzlich Hilfe von deutschen Sozialämtern zusprechen könnten.

Konkret geht es um den Fall einer Rumänin, die seit Jahren in Leipzig bei und nur von der Unterstützung ihrer Schwester lebt. Sie hatte weder in Deutschland noch in ihrer Heimat je Arbeit gesucht, klagte nun aber auf Hartz IV. Dies, obwohl ihr Daueraufenthalt als Mittellose eigentlich illegal ist und sie für ihren Sohn seit dessen Geburt ohnehin schon 186 Euro Kindergeld und 133 Euro Unterhaltsvorschuss monatlich kassiert.

Das Leipziger Sozialgericht wollte die Klage der Rumänin aber nicht ablehnen, weil es divergierende deutsche und EU-Regeln sah. Es legte sie dem EuGH in Luxemburg vor. Dieser folgt in solchen Fällen meist dem Gutachten seines Generalanwaltes.

Der Gutachter wiederum folgte der Argumentation des Berliner Sozialministeriums: Die Ablehnung sei "konform mit dem Willen des EU-Gesetzgebers, der verhindern will, dass Menschen, ohne sich integrieren zu wollen, eine Belastung für die Sozialsysteme werden".

Abschreckung

Das Urteil selbst wird im Herbst erwartet. Fällt es tatsächlich so aus, werden auch dauerarbeitslose Zuwanderer aus der EU wie jene von außerhalb keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben.

Das hat vor allem abschreckende Wirkung: Die Sprecherin von Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) "begrüßte, dass der Generalanwalt den Willen des europäischen Gesetzgebers berücksichtigt, Sozialsysteme vor unangemessener Inanspruchnahme zu schützen".

Über die Auswirkungen auf schon konkret Betroffene wird offiziell nicht spekuliert. De facto aber dürfte die Klarstellung vor allem Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien treffen, die seit Jahresanfang ungehindert einwandern können. Unter ihnen befinden sich viele Roma, die meist ohne jede Ausbildung und Sprachkenntnisse kommen.

Hartz-IV-Empfänger

Die Zahl ihrer Hartz IV-Empfänger stieg innerhalb eines Jahres um 50 Prozent auf fast 15.000. Insgesamt kommen die meisten ausländischen Hartz-IV-Empfänger aus Polen, Italien und Griechenland. Jeder sechste Ausländer, aber nur jeder zwölfte Deutsche lebt davon.

Zugleich ist die Große Koalition aus Union und SPD dabei, Sozialmissbrauch durch EU-Immigranten stärker zu ahnden. Ein Gesetzentwurf, der im Juni vom Bundestag beschlossen werden soll, sieht höhere Strafen für falsche oder grob lückenhafte Angaben bei Behörden vor.

Bei gerichtlich festgestelltem Sozialmissbrauch soll ein Wiedereinreiseverbot bis zu fünf Jahre möglich sein. Dazu soll auch erschlichenes Kindergeld zählen, das in Deutschland auch den in der Heimat der Ausländer lebenden Kindern gewährt wird. Auch dabei gehen die meisten Arbeitsmarkt-Fachleute aber eher von einer abschreckenden Wirkung als einer rigorosen Umsetzung aus.

400.000 Migranten Nur die USA sind (in absoluten Zahlen) noch beliebter: 2012 lockte Deutschland erstmals 400.000 Zuwanderer an, mehr denn je und doppelt so viele wie noch 2007. Jeder dritte kommt aus der EU. Hauptgründe sind die sehr gute Wirtschaftslage und die Personenfreizügigkeit der EU.
Im Gegensatz zur Warnung mancher Kritiker finden die allermeisten Zuwanderer auch rasch Arbeit, oft hochqualifizierte.

Österreich Auf die Bevölkerungsgröße bezogen ist die Zuwanderung aber in Österreich mehr als doppelt so hoch, in der Schweiz sogar dreimal so hoch, dauerhaft.

Kein Thema beschäftigte in den letzten Monaten die Große Koalition und die Mehrheit der Bürger so kontrovers und emotional wie die neuerliche Rentenreform. Was Union und SPD im Wahlkampf im Herbst versprochen hatten, beschließen sie morgen, Freitag, im Bundestag mit ihrer großen Mehrheit: Wohltaten für ihre wichtigsten Wähler, die Rentner.

Der Rentenanspruch für Mütter, die vor 1992 Kinder großzogen, wird dem jüngerer Mütter gleichgestellt und damit um durchschnittlich 10 Euro pro Monat und Kind angehoben. Das war das Versprechen der Union gewesen.

Im Gegenzug verwirklicht auch die SPD ihr Wahlkampfgeschenk: Die „Rente mit 63“. Arbeitnehmer, die 45 Jahre lang Beitrag gezahlt haben, können nun wieder mit 63 in den Ruhestand gehen und brauchen nicht bis 67 zu arbeiten, so wie das die erste große Koalition Merkels 2007 beschlossen hatte.

Die Rente mit 63 wird von der um ihre Fachkräfte besorgten Wirtschaft heftig abgelehnt. Auch schafft die anfangs nicht vereinbarte Einrechnung langer Arbeitslosenzeiten in den Anspruch neue Ungerechtigkeiten. Sie kostet 500 Millionen Euro mehr Steuergeld im Jahr und die aktiven Arbeitnehmer die mit dem Wirtschaftsboom eigentlich jetzt fällige Senkung ihres Rentenbeitrags. Viele Wirtschaftsforscher rechnen nun sogar mit dessen Erhöhung schon in zwei Jahren.

Reformrückschritt

Nach monatelangem Tauziehen hatten sich am Montag die Koalitionäre geeinigt, im Gegenzug für die Belastungen der Aktiven die Flexibilisierung von deren Rentenalter anzudenken. Während die Union dies als Freigabe für weiterarbeiten wollende Rentner verstand, kündigte Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) zur Verblüffung des Koalitionspartners plötzlich an, nun sogar die „Rente mit 60“ prüfen zu lassen.

Die Erhöhung des Rentenalters durch ihren SPD-Vorvorgänger hatte der SPD bei den Gewerkschaften so viel Sympathien gekostet wie alle Sozialreformen ihres letzten Kanzlers Gerhard Schröder. Die Korrektur gilt daher in der Wirtschaft als Alarmzeichen, dass die Koalition von denen schleichend abrückt.

Auch das Ausland und Internationale Organisationen wie OECD, Weltbank und Währungsfonds kritisierten den Widerspruch zwischen Deutschlands stetigem Druck auf die hochverschuldeten, unproduktiven Euro-Südländer und dem eigenen Rückschritt vom Reformprozess. Merkels Regierung weist diese Vorwürfe kühl zurück.

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