Stimmung in Deutschland: Hass im Netz und auf der Straße
Mehrere Vermummte schlugen einen AfD-Abgeordneten in Bremen krankenhausreif, ein 50-Jähriger lenkte in Bottrop, Nordrhein-Westfalen, sein Auto gezielt auf Migranten und verletzte dabei Frauen, Männer und Kinder schwer. Im bayerischen Amberg prügelten vor Silvester Migranten auf Passanten ein.
Die jüngsten Schlagzeilen zum Jahreswechsel ließen im Netz die Wogen hochgehen. Neben Kritik und Häme mischte sich wie immer Hass, der im Schutz der Anonymität bei vielen noch stärker herausdringt. Hilflos und wenig zielführend erschienen danach manche Reaktionen aus der Politik. Klar, die Taten werden verurteilt, gleichzeitig wird versucht, mit Parolen Profit zu machen.
Ungleiche Empörung
Soziologe Johannes Kiess von der Universität Siegen beobachtet solche Diskurse seit vielen Jahren – sie laufen aus seiner Sicht immer gleich ab. „,Law-and-Order-Mechanismen’ werden aktiviert, ebenso Feindbilder“, sagt er im Gespräch mit dem KURIER. Er ortet zudem eine Diskrepanz in der Bewertung der Ereignisse. „Während man beim Autofahrer aus Bottrop von psychischen Problemen sprach, forderte Innenminister Horst Seehofer (CSU) nach den Vorfall in Amberg sofort schärfere Asylgesetze.“ Es wurde wenig hinterfragt, differenziert, sondern von „Gewaltexzessen“ gesprochen. Jener Mann, der laut nordrhein-westfälischen Innenminister die „klare Absicht“ gehabt hatte, „Ausländer zu töten“, wurde als „Amokfahrer“ tituliert – Stichwort „Framing“. Das sind oft von Politikern und Medien verbreitete Sprachbilder, die komplexe Sachverhalte einfacher machen – aber auch eine bestimmte politische Haltung verstärken können oder Ängste schüren, wie etwa das Bild von der „Flüchtlingswelle“.
Problematisch sieht Soziologe Kiess den fehlenden Umgang mit jenen, die kaum noch an demokratischen Auseinandersetzungen teilnehmen und schwer zu erreichen sind. „Sobald sich einer ins Auto setzt, mit dem Ziel Migranten niederzufahren, greifen auch keine gesellschaftlichen Maßnahmen mehr“, so Kiess.
Populismus fördert Hass
Polarisierung und Populismus, wo es meist nur „Wir und die Anderen“ gibt, produzierten Hass, sagt der Experte. Ein Blick auf die Zahlen des aktuellen Verfassungsschutzberichts zeigt: 2016 haben Rechtsextremisten 22.471 Straften begangen, 2017 waren es 18413. Dem gegenüber stehen 5230 linksextremistisch motivierte Straftaten im Jahr 2016 und 6393 im Jahr 2017 - ein deutlicher Unterschied.
Unter den Opfern sind immer wieder Politiker. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) wurde 2015 von einem Rechtsextremisten mit einem Jagdmesser lebensgefährlich verletzt und lag im Koma. Laut der Richterin wollte der mittlerweile verurteilte Täter damit ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung setzen. Ein ähnliches Motiv hatte jener Mann, der vor knapp einem Jahr den Bürgermeister in Altena, Andreas Hollstein (CDU), mit einem Messer attackierte.
Dass es vergangenen Montag mit Frank Magnitz auch einen Politiker der AfD getroffen hat, überrascht Johannes Kiess nicht. „Die Partei polarisiert und betreibt Hetze, das mobilisiert Leute, zieht aber auch Gegner an.“ Die Rechtspopulisten selbst sehen sich als Opfer und drehten den Spieß wieder einmal um: Die Tat sei das Ergebnis der Hetze von Politik und Medien, erklärten die Vorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen.
Apropos Hetze: Diese erlebt derzeit auch ZDF-Journalistin Nicole Diekmann. Seit Tagen wird sie mit Hass und Morddrohungen überhäuft. Sie möge erschossen, vergewaltigt, verstümmelt werden, heißt es etwa im Netz. Der Grund: Diekmann hat auf ihrem privaten Twitter-Account „Nazis raus“ geschrieben.
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