Deutschland: Die Macht der Demoskopen

Knapp vor der Wahl wird der Streit um die Beeinflussung der Wähler durch die Demoskopie hitzig.

Unter fünf Prozent und nicht mehr im Landtag!“, war das Verdikt der Umfrage-Gurus im Jänner für die FDP kurz vor der Niedersachsen-Wahl. Am Wahlabend waren es aber 9,9 Prozent und die FDP „gerettet“. Der Preis war hoch: Die vielen „Leihstimmen“ bürgerlicher Wähler kosteten die CDU die Regierung, Rot-Grün gewann. Es ist das derzeit meistzitierte Beispiel für die Macht der Demoskopen: Von Fans und Gegnern.

Unzählige Umfragen

Denn nie gab es so viele Umfragen wie vor dieser Bundestagswahl. Kamen lange nur die fünf etablierten Institute alle ein bis zwei Wochen damit, hat sich deren Frequenz stark erhöht und noch mehr die Zahl der Newcomer. Fast täglich gibt es jetzt die angeblich repräsentative Aussage zur Wähler-Stimmung.

Nicht nur zur sogenannten Sonntagsfrage, oft auch zu Einzelthemen: Nur 24 Stunden nach dem SZ-Titel mit dem „Stinkefinger“-Foto des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück wusste man, dass 62 Prozent die obszöne Geste ablehnen, davon Frauen und Gebildete besonders.

Die Umfragen-Inflation befeuert die Diskussion in Politik und Medien über drei Fragen: Manipulieren die Institute durch ihre Interpretation der „Rohdaten“ die Ergebnisse? Und beeinflussen die die Stimmung der Wähler? Wenn ja: Gehören sie kurz vor der Wahl verboten?

Interpretationen

Die Meinungen sind konträr, auch quer durch die Zunft. Das beginnt schon bei der Erhebung der Rohdaten.

Deutschland: Die Macht der Demoskopen

Reinhard Hilmer, Chef des seriösen infratest dimap, sieht Umfragen nur über Festnetztelefone nicht mehr als repräsentativ, weil immer mehr Junge nur mehr Handys nutzen. Hilmer lässt nun 30 Prozent seiner Kontakte mobil befragen.

Dem widerspricht Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, die dem ZDF das „Politbarometer“ und die Wahlabend-Prognosen liefert. Jung meint nach eigenen Tests, dass reine Handynutzer weitgehend identisch sind mit Politik-Fernen und Nichtwählern und damit primär diese Gruppe abdecken. Deshalb fragt er weiter nur Festnetz-Nutzer.

Die nächste hoch umstrittene Frage ist die unentbehrliche Interpretation der erhobenen Daten. Hier gewichtet jedes Institut mit Dutzenden von Kriterien die Zahlen, vor allem dem Wahlverhalten der soziologischen Gruppen bei früheren Wahlen. Der Interpretationsspielraum ist dabei so riesig, dass etwa die Forschungsgruppe aus den gleichen Rohdaten verschiedene Ergebnisse liefert, je nach Kriterien des Auftraggebers: Heuer des ZDF und der CDU.

Interpretation führt auch zu den größten Ausschlägen der Branche, die traditionell Forsa und sein Chef Manfred Güllner so oft Schlagzeilen sichern. Der Chef der Euro-kritischen Neupartei „Alternative für Deutschland“, Bernd Lucke, hatte ihn verklagt, weil er eine Manipulation seiner Partei nach unten sah. Güllner gewann aber und nennt ihn nun „Lügen-Lucke“. Der lacht nur darüber, weil die AfD inzwischen in allen Umfragen an oder über die Fünf-prozent-Hürde wächst.

Manipulationen

Wegen solcher Einflussmöglichkeiten wird nun auch über die Zulässigkeit Wahltag-naher Umfragen gestritten: Die Befürworter sehen keine wissenschaftliche Basis, dass sich Wähler davon beeinflussen lassen. Als Beispiel nennt etwa Jung die US-Präsidentenwahl: Der Westen kenne die Ergebnisse im Osten, lasse sich davon aber nicht beeindrucken. Das belegten mehrere Studien.

Hilmer sieht auch das anders und zitiert deutsche Studien, die sehr wohl die Zunahme „taktischen Wählens“ belegten. Wie in Niedersachsen, als die FDP sich nicht mit ihren Polit-Inhalten sondern der Bewahrung der Koalition aufpäppelte. Genau das versucht sie auch jetzt direkt vor der Bundestagswahl, seit sie in Bayern am Sonntag aus dem Landtag flog.

Für die Befürworter später Umfragen-Veröffentlichungen (gemacht werden sie für die Parteien sowieso) ist das egal: Sie plädieren für Meinungsfreiheit trotz Rückkoppelung ihrer Ergebnisse.

Und sie sind in der Mehrheit, zumindest der Institute und der Medien. Denn auch die kosten gerne ihre Macht aus. Heuer erstmals sogar am Wahltag: Bild will da die allerletzte Umfrage bieten.

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Ministerpräsident Volker Bouffier (61) ist so betont leutselig als Landesvater unterwegs wie kaum einer vor ihm. Er will seinen Image- und Inhaltswandel der hessischen CDU vollenden: Weg vom Konfrontationskurs des Vorgängers Roland Koch, der das wirtschaftsstarke Land wie ein Vorstandsvorsitzender regierte, der er seit 2010 bei Deutschlands größter Baufirma auch ist.

Konfrontation war immer Markenzeichen hessischer Politik: Mit der härtesten CDU-Truppe, den Schlachten um Frankfurts Flughafen und die AKWs und der davon profitierenden ersten rot-grünen Regierung, mit Kochs Gegenmodell zu Kanzlerin Merkels Konsenspolitik.

Der Wortbruch der SPD-Linken Andrea Ypsilanti ermöglichte ihm elf Jahre Regieren: Sie hatte im Wahlkampf 2008 gelobt, „nie“ mit der in Hessen extra schrillen Linkspartei gemeinsame Sache zu machen, das aber sofort nach der Wahl versucht. Weil vier Abgeordnete ihrer SPD doch Wort hielten, verlor die ihre Machtoption.

Daraus hat Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen gelernt und sich nie exakt festgelegt: Mit anfänglich stiller Hilfe der „Linken“ ist sie nun die politisch stärkste Landeschefin der SPD.

Nach ihrem Vorbild laviert nun Thorsten Schäfer-Gümbel (44) in Hessen. Der anfangs blasse Nachfolger Ypsilantis hat die zerstrittene SPD geeint und in Umfragen aufgeholt. Seit dem TV-Duell mit Bouffier steht aber die Rot-Rot-Grün-Frage wieder im Zentrum: Er will die vielen Wechselwählern immer noch suspekte Kombination „formal“ nicht ausschließen.

Das hilft laut letzten Umfragen Bouffier. Doch dessen Partner FDP ist auch in Hessen schwer gefährdet. Es bleibt Bouffier die Hoffnung, sich von der Popularität Merkels beim deshalb gleich gewählten Wahltermin hochziehen zu lassen.

Hessen verspricht eine so spannende Wahl wie im Bund. Da ist es immer noch das Beispiel von CDU und FDP für Wortbrüchigkeit der SPD, wenn es um die Macht mit den Kommunisten geht.

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