Bitte Aufrüsten, aber ohne mich: Wie überzeugt die Bundeswehr die Jugend?
Mit dem Fernsehturm im Rücken sitzen Ida und Roman auf dem steinernen Geländer einer Brücke über der Spree und trinken Club Mate. Beide sind 19 Jahre alt und erst vor Kurzem zum Studieren nach Berlin gezogen. Ida sitzt im Schneidersitz, Roman lässt die Füße baumeln. Von Weitem erahnt man nicht, dass die beiden über Krieg sprechen.
Krieg, sagt Ida, das sei für ihre Generation „immer etwas ganz Fernes und Fremdes“ gewesen. Seit Russland in der Ukraine einmarschiert ist, „kommt er gefühlt immer näher, das ist schon gruselig“. Roman meint, die „Zeitenwende“, die milliardenschwere Aufrüstung der Bundeswehr, sei als Thema „dauerpräsent“. „Es ist schade, aber ich glaube, dass es heute notwendig ist, wehrhaft zu bleiben“, das zeigten nicht zuletzt Drohnensichtungen im deutschen Luftraum.
Eine Karriere bei der Bundeswehr können sich beide trotzdem nicht vorstellen, „egal, wie viel die zahlen“, sagt Roman. Als er 18 wurde, habe er einmal einen Anwerbebrief bekommen: „Den habe ich sofort weggeschmissen. Ich möchte wirklich absolut gar nichts damit zu tun haben.“
"Die öffentliche Wahrnehmung hat sich verändert"
Anerkennung für die Bundeswehr und ihre Leistungen, aber kaum Bereitschaft, selbst zur Waffe zu greifen – das beobachtet der Jugendforscher Simon Schnetzer bei vielen Mitgliedern der sogenannten Generation Z. „Die öffentliche Wahrnehmung hat sich verändert“, sagt er. Immer mehr junge Menschen würden zustimmen, „dass wir die Bundeswehr brauchen, um Frieden zu sichern und wehrhaft zu sein.“
Trotzdem stagniere der Anteil derjenigen, die sich nach der Schule eine militärische Karriere vorstellen können, laut der Trendstudie „Jugend in Deutschland 2025“ bei rund zwei Prozent. „Auch wenn das Recruiting der Bundeswehr stark ist, sie viel Geld für Werbekampagnen in die Hand nimmt – darüber kommen sie nicht hinaus“, meint Schnetzer.
Eine Straßenbahn in Berlin zeigt die neueste Werbekampagne der Bundeswehr.
An Geld mangelt es inzwischen nicht mehr
Nur wenige Kilometer von Ida und Roman entfernt, mitten im politischen Herzen Berlins, wird daran gearbeitet, dass sich das ändert. Zwischen noblen Restaurants und Hipster-Cafés blicken uniformierte Puppen aus einem Schaufenster. Darüber steht der Schriftzug: „Wir. dienen. Deutschland.“
Hier, gegenüber vom Bahnhof Friedrichstraße, betreibt die Bundeswehr seit 2014 eine Karrierelounge. Fahrzeugmodelle stellen die neueste Ausrüstung vor, auf Fernsehern laufen aufwendige Werbefilme in Dauerschleife. Mit festem Händedruck wird der KURIER von Oberstleutnant Wolfgang Grenzer empfangen, er leitet die Karriereberatung im Karrierecenter der Bundeswehr Berlin, wozu auch die Karrierelounge gehört.
Oberstleutnant Wolfgang Grenzer leitet die Karriereberatung der Bundeswehr in Berlin.
„Wenn der Funke hier einmal übergesprungen ist“, sagt er, „vereinbaren wir direkt ein Einzelberatungsgespräch mit den Interessenten“. Das sei entscheidend, „schließlich konkurrieren wir mit dem Arbeitsmarkt“. Soll heißen: Qualifizierte Bewerber muss die Bundeswehr mit guten Gehältern und sinnstiftenden Aufgaben überzeugen können. Und am Geld mangelt es ja inzwischen nicht mehr.
Zeitenwende
Fast vier Jahre nach Olaf Scholz’ (SPD) Aufruf zur Aufrüstung der Bundeswehr ist Friedrich Merz (CDU) Kanzler und sorgte für das nötige Geld: Er ließ
Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausnehmen. Das Militärbudget soll somit in den nächsten zehn Jahren auf 3,5 % des BIP steigen. Aktuell liegt man bei 2,4 %.
80.000 neue Soldaten
Damit die Bundeswehr, wie von Merz gefordert, zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ wird, braucht sie Personal. Als Ziel hat man 260.000 aktive Soldaten und 200.000 Reservisten ausgerufen – zurzeit steht man bei ca. 160.000 Aktiven. Die Debatte, ob man dafür eine Wehrpflicht bräuchte, hielt Berlin lange in Atem. Seit Donnerstag ist klar: Sie kommt vorerst nicht.
Personal lässt sich dagegen nicht so schnell beschaffen. Die Zahl der aktiven Soldaten soll in den nächsten Jahren von 180.000 auf 260.000 steigen, dazu ein Heer von 200.000 Reservisten aufgebaut werden. Die Ziele sind hochgesteckt. Doch Grenzer sagt, die Zahl der jungen Deutschen, die zum Dienst an der Waffe bereit sind, steige von Jahr zu Jahr: „Wir sind deshalb auch 2025 auf einem guten Weg.“
Grenzer ist 1993 selbst nach einem Beratungsgespräch zur Bundeswehr gekommen. Damals war die sicherheitspolitische Lage Deutschlands nach dem Ende des Kalten Krieges vor allem von Auslandseinsätzen geprägt, erinnert er sich.
In der heutigen Situation könne man aber keine „Top-Gun-Beratung“ machen: „Wir kommunizieren das ganz klar: Heutzutage Soldat zu sein heißt, Verantwortung zu übernehmen, körperlich belastbar zu sein, ohne große Vorwarnung auch mal verlegt, versetzt zu werden. Und es heißt, sich mit der Gefahr von Tod und Verwundung zu befassen.“
Eine Wehrpflicht fänden die Jungen "richtig kacke"
Jugendforscher Simon Schnetzer glaubt nicht, dass sich das Soldaten-Kontingent alleine durch Freiwilligkeit auf 260.000 erhöhen lassen wird. Die Bereitschaft steige nämlich nur dann, „wenn alle – Männer und Frauen – verpflichtet wären, einen Wehrdienst oder eine soziale Alternative zu leisten“. Das sei „dieser typische Gerechtigkeitswunsch der Jungen“.
Jugendforscher Simon Schnetzer führt regelmäßig Jugendbefragungen in Deutschland durch, seit einigen Jahren fragt er dabei auch die Meinung der Jugendlichen zur Bundeswehr ab.
Nach langem Hin und Her hält die deutsche Bundesregierung vorerst an der Freiwilligkeit fest. Das gab Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag bekannt. Ab Jänner werde ein Fragebogen an alle 18-Jährigen verschickt – Männer müssen ihn ausfüllen, Frauen nicht. Frühestens ab 2027 soll dann wieder eine verpflichtende Musterung für alle 18-jährigen Männer eingeführt werden. Und wenn sich so nicht genug Freiwillige finden sollten? Dann werde man eben erneut eine Pflicht diskutieren.
Oberstleutnant Grenzer ist überzeugt, dass der direkte Kontakt mit dem Militär viele Jugendliche überzeugen kann. „Etwa ein Viertel derjenigen, die für eine gewisse Zeit dienen, entscheiden sich, zu verlängern“, sagt er. „Wir sind deshalb gespannt, aber optimistisch.“
Und was halten die Jungen davon? In einem Park in Berlin-Friedrichshain hat die 20-jährige Christina eine klare Meinung: „Dieses Pflicht-Ding“, sagt sie, während sie sich eine Zigarette dreht, „finde ich doof.“ Auf Tiktok hätte ihre Generation das Thema Wehrpflicht längst durchdiskutiert. „Und die 2008er-Jahrgänge, die finden das richtig kacke.“
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