"Haut ab": Aggressive Stimmung bei Einheitsfeier

Pegida-Anhänger in Dresden
Die Feiern zum Tag der deutschen Einheit in Dresden werden zum Spießrutenlauf für Merkel und Co.

"Volksverräter", "Merkel muss weg", "Haut ab". Mehrere hundert Menschen haben die geladenen Politiker beim Empfang zur Feier des Tags der deutschen Einheit in Dresden lautstark beschimpft. Unter den Demonstranten befanden sich vor allem Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses.

Politiker in Bedrängnis

Augenzeugen sprachen von einem Spießrutenlauf für die Gäste und Politiker, darunter Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel, die auf dem Weg zu den Feierlichkeiten waren. Die Frau des sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig (SPD) brach in Tränen aus, als sie durch die aufgebrachte Menge ging. Ein dunkelhäutiger Mann, der zum Gottesdienst wollte, wurde mit "Abschieben"-Rufen empfangen.

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

"Haut ab": Aggressive Stimmung bei Einheitsfeier
Police snipers are seen in a window overlooking the Frauenkirche (Church of Our Lady) during a service that is part of the festivities to celebrate the Day of German Unity in Dresden on October 3, 2016. Dresden, a Baroque city in Germany's ex-communist east, is hosting national celebrations to mark 26 years since the reunification of East and West Germany. / AFP PHOTO / Odd ANDERSEN
Die Feiern finden unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Mit rund 2600 Beamten sichert die Polizei die Veranstaltungen ab. "Um Zugang der Ehrengäste zu den Protokollveranstaltungen am Neumarkt zu gewährleisten, mussten Personen zurückgedrängt werden", teilte die Polizei am Montag via Twitter mit.

Ökumenischer Gottesdienst in der Frauenkirche

"Haut ab": Aggressive Stimmung bei Einheitsfeier
Bundesrat President Stanislaw Tillich, German Chancellor Angela Merkel and German President Joachim Gauck (LtoR) arrive near Frauenkirche cathedral for celebrations marking the German Unification Day in Dresden, Germany, October 3, 2016. REUTERS/Fabrizio Bensch
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich als Bundesratspräsident empfing die hochrangigen Gäste in der Früh vor dem Verkehrsmuseum mitten in der historischen Altstadt, wo sie sich in das Goldene Buch der Stadt eintrugen. Anschließend gingen sie in die Frauenkirche, wo um 10.00 Uhr der Ökumenische Gottesdienst begann.

Pegida-Anhänger hatten bereits im Vorfeld angekündigt, während des Festes sicht- und hörbar sein. Zudem wollen sie am Nachmittag demonstrieren. Auch das mittlerweile mit ihnen verfeindete rechte Bündnis "Festung Europa" will gegen die Flüchtlingspolitik protestieren.

Merkel fordert gegenseitigen Respekt in politischer Debatte

Angesichts von Stör-Aktionen hat Merkel zu mehr Respekt in der politischen Auseinandersetzung aufgerufen. 26 Jahre nach der Einheit gebe es sicher neue Probleme und neue Arbeit, sagte Merkel in Dresden. "Ich persönlich wünsche mir, dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseitigem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschiedlicher politischer Meinung lösen", sagte Merkel. Man müsse miteinander im Gespräch bleiben, auch wenn einige an solchen Gesprächen nicht mehr interessiert seien, mahnte die Kanzlerin.

"Das Paradies auf Erden ist hier nicht. Aber viele Menschen, die es verzweifelt suchen, vermuten es nirgendwo häufiger als in Deutschland.“

Bundestagspräsident Norbert Lammert hielt den Protestierenden in einer Festrede Rüpelhaftigkeit vor. Wer "das Abendland gegen tatsächliche und vermeintliche Bedrohungen verteidigen will, muss seinerseits in dieser Auseinandersetzung den Mindestansprüchen der westlichen Zivilisation genügen: Respekt und Toleranz üben und die Freiheit der Meinung, der Rede, der Religion wahren und den Rechtsstaat achten", sagte der CDU-Politiker beim Festakt in der Dresdner Semperoper.

Diejenigen, die am Einheitsfeiertag "besonders laut pfeifen und schreien, die haben offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befanden, bevor die Vereinigung möglich wurde", sagte Lammert.

Der Parlamentspräsident rief seine Landsleute dazu auf, "etwas mehr Selbstbewusstsein und Optimismus" zu zeigen. "Das Paradies auf Erden ist hier nicht. Aber viele Menschen, die es verzweifelt suchen, vermuten es nirgendwo häufiger als in Deutschland", sagte Lammert mit Blick auf die Flüchtlingskrise. "Vieles ist uns gelungen, manches offenbar besser als anderen", betonte er. "Wir leben in Verhältnissen, um die uns fast die ganze Welt beneidet."

Am Tag der deutschen Einheit ist die erste überlieferte Ausgabe des Grundgesetzes in einen Bergstollen in Baden-Württemberg eingelagert worden. Die auf Mikrofilm gebannten Dokumente lagern "luftdicht, wasserdicht und staubsicher verpackt" in 400 Metern Tiefe und sind 500 Jahre für die Nachwelt gesichert, teilte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) am Montag in Bonn mit.

Im Barbarastollen in Oberried lagern bereits fast 31.347 Kilometer Mikrofilme mit historischen Dokumenten in 1500 Edelstahlfässern. Mit der Originalausgabe des Grundgesetzes sei "nun auch ein Herzstück der deutschen Geschichte vor Zerstörung durch Kriege oder auch Naturkatastrophen geschützt", erklärte der Präsident des Bundesamts, Christoph Unger. "Die Geschichte der Deutschen und auch ein stückweit deren Identität werden so langfristig bewahrt."

Auf Mikrofilm verewigt

Originaldokumente zur Geschichte des Grundgesetzes wie Schriftstücke, Urkunden und Schreiben - insgesamt 2,6 Meter Akten - wurden in 30.000 Einzelbildern auf Mikrofilm verewigt. Dazu zählen Niederschriften der Diskussionen und Debatten des Parlamentarischen Rates, der Länder, aber auch der Alliierten Mächte. Die Akten wurden vom Bundestag bereitgestellt und im Landesarchiv Berlin auf Mikrofilme in zwölffacher Verkleinerung abgebildet.

In dem ehemaligen Bergwerk im Landkreis Breisgau-Oberschwarzwald liegen die Temperaturen von Natur aus bei zehn Grad, was optimale Bedingungen für die Langzeitlagerung der Mikrofilme bietet. Alle Daten sind dem BBK zufolge so für Jahrhunderte gesichert. In mehr als 300 der Stahlfässer liegen auch wichtige Dokumente der ehemaligen DDR, die auf mehr als 8000 Kilometer Mikrofilm gesichert wurden. Nach dem Mauerfall wurden diese Filmbestände in dem Stollen eingelagert.

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