Der Mann, der sein Land verzockte: Ist er Schuld an der Armut im Libanon?

Wie faule Zähne ragen die Silo-Ruinen am Beiruter Hafen in den Himmel. Unter ihnen türmen sich Schuttberge: Autowracks, Kabel, zerfetze Betonblöcke. Im Krater liegt ein gesunkenes Transportschiff. Bis auf ein Denkmal, das gesetzt wurde, hat sich in den eineinhalb Jahren seit der Hafenexplosion nichts getan. Auch die Untersuchungen, wer daran Schuld haben könnte, verlaufen schleppend. Auch Kilometer vom Hafen entfernt stehen Häuser, deren Türen aus den Angeln hängen. Wenige Meter weiter bietet ein Laden Armani-Skier an. Der Unterschied zwischen superreich und bettelarm ist eklatant.
„Wir können helfen, und wir werden dies auch tun. Aber die Verantwortung für die Überwindung des Stillstandes lastet auf der politischen und wirtschaftlichen Elite in diesem Land. Sie hat es in der Hand, die Klientelpolitik endlich hinter sich zu lassen“, sagt Außenminister Alexander Schallenberg beim Treffen mit seinem libanesischen Pendant. Der Zweck seines Besuchs: „Helft uns, euch zu helfen.“ Was er damit meint, sind dringend geforderte Reformen – etwa eine Untersuchung der libanesischen Zentralbank durch den Internationalen Währungsfonds. Würde diese zugelassen, könne die internationale Gemeinschaft den maroden Staat unterstützen.
Doch Riad Salameh sagt Nein.
Schallenberg fordert libanesische Regierung zu Reformen auf
"Das größte Pyramidenspiel der Geschichte"
Der 71 Jahre alte Chef der Zentralbank wacht eisern über die Geheimnisse seiner Institution – und das dürfte allen Vertretern der libanesischen Parteien mehr als recht sein. Würden die Geldgeschäfte ans Tageslicht kommen, bliebe vermutlich kein einziger hochrangiger Politiker unbeschadet. So ist es auch zu erklären, warum der politische Druck auf Salameh verhältnismäßig gering bleibt, während der Wert der libanesischen Lira weiter ins Bodenlose sinkt.

Außenminister Alexander Schallenberg traf in Beirut unter anderem auf den libanesischen Premierminister Nadschib Miqati.
Eine maßgebliche Rolle am wirtschaftlichen Niedergang des Libanon haben groß angelegte Betrugssysteme gespielt, bei denen immer wieder gewaltige Summen verliehen wurden – gegen das Versprechen hoher Zinsen. Kritiker sagen, Salameh sei verantwortlich für „das größte Pyramidenspiel der Geschichte“.

Riad Salameh (71) in seinem Büro.
Viele Indizien deuten darauf hin, dass Salameh für einen Großteil der Misere die Schuld trägt. In den fast 30 Jahren seiner Amtszeit galt er lange als Held: Nach dem Bürgerkrieg setzte ihn der damalige Premier Rafik Hariri auf seinen Posten. Salameh ließ die Lira an den US-Dollar koppeln, in der Hoffnung, den Libanon attraktiv für Investoren zu machen, den Bankensektor anzukurbeln.
Die Rechnung ging auf, gleichzeitig wurde das großflächig zerbombte Beirut mit saudischer Hilfe rasch wieder aufgebaut, die etwa zehn Millionen Auslandslibanesen legten ihr Geld in heimischen Banken an – die libanesische Elite wurde sagenhaft reich.
Gleichzeitig wurde die Infrastruktur vernachlässigt, internationale Geldgeber hielten sich mehr und mehr zurück. Zu offensichtlich waren Korruption und Misswirtschaft. Der Staat nahm Schulden auf, die Banken lebten von den Schulden des Staates – bis das System 2019 endgültig zusammenbrach.

Die Zerstörung am Beiruter Hafen ist auch knapp eineinhalb Jahre nach der vernichtenden Explosion dieses Silos offensichtlich.
Salameh, gegen den Ermittlungen wegen Verdachts auf Betrug, Geldwäsche und unerlaubte Bereicherung in Frankreich, der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg laufen, wurde im Juli 2021 auf einem französischen Flughafen mit 90.000 Euro in der Tasche aufgehalten. Bei der Einreise sind nur 15.000 erlaubt, trägt man mehr mit sich, ist der Betrag zu melden. Salameh zahlte die Strafe (2.700 €) und meinte, er habe vergessen, dass sich so viel Geld in seiner Tasche befunden habe.
In die Schweiz soll er unter anderem trotz Bankbeschränkungen mehr als 300 Millionen Dollar über eine Briefkastenfirma transferiert haben. Am Dienstag verhängte der Libanon ein Ausreiseverbot über Salameh, offiziell wird auch gegen ihn ermittelt. Dass es aber tatsächlich zu einer Verurteilung kommt, wird bezweifelt. Für einen libanesischen Politik-Insider ist die Sache klar: „Die Politiker unseres Landes – das ist die Mafia“, sagt er zum KURIER.
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