Der keltische Tiger lebt wieder
Es ist selten, dass ein Politiker eines kleinen Landes auf das Cover des renommierten Time-Magazine gehoben wird. Anfang Oktober wurde die Ehre dem irischen Premier Enda Kenny zu Teil. „Das keltische Comeback“, titelte Time und würdigte Kenny als jenen Mann, der das von der Wirtschaftskrise so schlimm getroffene Irland wieder auf einen guten Weg gebracht habe. Kenny habe das Kunststück zuwege gebracht, einschneidende Reformen durchzusetzen, ohne dass die Massen dagegen auf die Straße gehen. Das Land sei damit Vorbild für alle Staaten Europas.
Ausgewandert
Morris’ Sohn ist wie Zehntausende andere junge Iren in den vergangenen Jahren ausgewandert, weil es kaum Jobs gibt. „Daran wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern“, fürchtet Morris.
Irland ist traditionell ein Auswanderungsland. „Wir haben dieses Fluchtventil – das ist ein Grund, warum es in Irland im Gegensatz zu Griechenland und Spanien keine Massenproteste gibt. Wenn es zu hart wird, gehen die Menschen einfach“, erklärt Neil McDonagh, der mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern im Küstenort Donabate wohnt.
Opferbereitschaft
Die EU und der Internationale Währungsfonds haben die Opferbereitschaft der Iren immer wieder gelobt. Die Beamtengehälter wurden seit 2008 um 14 Prozent gekürzt. Es gibt weniger Familienbeihilfe. Das Arbeitslosengeld ist um zehn Prozent niedriger als vor der Krise. Mit diesen Kürzungen und mit Steuererhöhungen konnte die Regierung in den vergangenen vier Jahren den Staatshaushalt um 25 Milliarden Euro konsolidieren – ohne dass es zu sozialen Unruhen gekommen ist.
„Die Menschen hier sind sehr obrigkeitshörig und gesetzestreu“, erklärt Natalia McDonagh, die aus Argentinien stammt. „Das hat mich schon überrascht, als ich vor elf Jahren eingewandert bin.“
Von dieser Eigenschaft profitiert die Wirtschaft. Weil die Lohnstückkosten stark gefallen sind, ist Irland jetzt viel wettbewerbsfähiger als vor der Krise. Das hat den Export angekurbelt. Im Vorjahr ist die Wirtschaft nach drei Jahren Rezession wieder leicht gewachsen – trotz der Sparpakete (siehe auch unten).
Die Frage ist nur: Wie viel mehr an Einschnitten und Einsparungen sind die Iren bereit weiter mitzutragen? Im kommenden Dezember muss die Regierung ein weiteres Konsolidierungspaket schnüren, um das Budgetdefizit weiter zu drücken. Es wird noch mehr Kürzungen im heiklen Sozial- und Gesundheitsbereich geben.
Immobilienmakler Paul Reddy fürchtet, dass sich die irische Gesellschaft spalten wird: In jene, die Jobs haben und vom leichten Aufschwung profitieren; und in jene, die ohne Arbeit bleiben und von den Sparmaßnahmen voll getroffen werden.
Für Reddy selbst ging es in den vergangenen fünf Jahren „ums Überleben“. Vor der Krise verkaufte er 80 Häuser pro Jahr. Zuletzt waren es fünf. Der Makler gesteht Premier Kenny zu, „hart zu arbeiten. Aber ob er das internationale Lob als Krisenbewältiger verdient hat, wird sich erst in Jahren zeigen.“
Irland wurde von der Wirtschafts- und Finanzkrise besonders hart getroffen. Nach dem Platzen einer gigantischen Immobilienblase im Jahr 2008 musste die Regierung in Dublin eine Reihe großer Banken notverstaatlichen. Das riss ein Riesen-Loch ins Budget.
2010 beantragte Irland als erster Staat Geld aus dem Euro-Rettungsschirm (68 Milliarden Euro). Seither steht das Land unter Aufsicht der EU und des Internationalen Währungsfonds und muss äußerst ambitionierte Sparziele erreichen. Bisher hat es alle diese Ziele erreicht.
Vor der Krise erlebte Irland einen fast 20 Jahren dauernden Wirtschaftsboom, der dem Land die Bezeichnung „Keltischer Tiger“ einbrachte. Das Pro-Kopf-Einkommen der Iren war 2007 das zweithöchste in der EU – nach jenem der Luxemburger.
Fünf Jahre später sind die Löhne stark gesunken, die Haus- und Wohnungspreise sind um mehr als die Hälfte gefallen. Das trifft vor allem jene, die in den Boom-Jahren – meist auf Pump – Häuser gekauft haben.
Ende der Bauwut
Als die Immobilienblase schließlich vor vier Jahren platzte, hatte die Bau-Wut ein plötzliches Ende. Im ganzen Land stehen jetzt Zehntausende unfertige Häuser, manche Gegenden sind von solchen „Geister-Siedlungen“ geprägt.
Die Arbeitslosigkeit beträgt 14,8 Prozent, bei den Jungen ist jeder Dritte ohne Job. Vor allem wegen der teuren Bankenrettung ist die Staatsschuldenquote von 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2007 auf 120 Prozent heuer gestiegen. In Österreich liegt die Quote bei 72 Prozent.
Trotzdem steht Irland heute viel besser da als etwa Griechenland oder Spanien. Die Regierung in Dublin hat viele schmerzhafte Reformen durchgesetzt, die Wirtschaft der grünen Insel wächst wieder leicht. Deshalb gilt Irland als Vorbild unter den europäischen Schuldensündern.
Kommentare