Der Brexit-Deal war schon zum Greifen nahe
Die größten Verhandlungshürden waren gestern Nacht bereits ausgeräumt. Nur noch an Steuerfragen spießte es sich, sodass EU-Chefunterhändler Michel Barnier die endgültige Einigung noch nicht verkünden konnte.
Aber heute wird er erwartet – der große Durchbruch in den zähen und langwierigen Scheidungsverhandlungen zwischen EU und Großbritannien. Es galt einen Vertragstext zu fixieren, der heute den EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel vorgelegt wird. Darin wird zu lesen sein, wie Großbritannien und damit auch Nordirland aus der EU austreten können, ohne dass zur Republik Irland eine Grenze hochgeht.
Knackpunkt dieser Gespräche war immer die irische Grenzfrage. Die EU hatte vorgeschlagen: Nordirland solle in der EU-Zollunion bleiben, dann würde auch keine Zollgrenze zwischen dem Norden und dem Süden der Grünen Insel entstehen. Doch das lehnte London kategorisch ab und kam nun mit einem neuen Vorschlag: Nordirland solle zwar die Europäische Zollunion verlassen, tatsächlich aber so agieren, als ob es noch immer mit dabei sei.
„Zollpartnerschaft“ nennt sich dieses abenteuerliche Konstrukt. Das würde bedeuten: die Zollgrenze zwischen Großbritannien und der EU verläuft dann in der Irischen See. Nordirland würde dann alle Lieferungen nach EU-Standards kontrollieren, die an seinen Häfen und Flughäfen ankommen.
EU-Binnenmarkt
Doch dabei sind unendlich viele Details zu klären. Und wie kann sichergestellt werden, dass dieser ungewöhnliche Kontrollweg dem Schmuggel nicht alle Türen und Tore öffnet? Der EU ist der Schutz ihres Binnenmarktes heilig: „Wir erlauben keine Lücken in unseren Kontrollen“, versicherte am Mittwoch ein EU-Diplomat.
Und dann wäre da noch die nordirische Regierung. Die Chefin der nordirischen Protestantenpartei DUP, Arlene Foster, hatte diesen Vorschlag einst als „blutige rote Linie“ bezeichnet.
Mehr als fraglich ist nun, ob die DUP eine Einigung mitträgt. Und ohne deren Zustimmung wird Premier Boris Johnson den abgeänderten Austrittsvertrag nicht durch das britische Parlament bringen. Johnson hatte Foster am Dienstag zu einem Gespräch nach London gebeten. Britische Medien spekulierten, dass eine Finanzspritze für Nordirland die Entscheidung der DUP für ein solches Abkommen erleichtern könnte.
Zudem kam die EU den Nordiren entgegen: Alle vier Jahre sollen sie demnach darüber entscheiden dürfen, ob sie das System beibehalten oder abschaffen.
Sanktus gar nicht sicher
Doch auch für die anderen britischen Parteien ist das um etwa zehn Seiten geänderte Abkommen (von insgesamt etwa 600 Seiten des Scheidungsvertrages) noch längst nicht einfach durchwinkbar.
Am Samstag tritt das britische Unterhaus zusammen. Ist der Vertragstext fertig und von der EU angenommen, könnte darüber abgestimmt werden. Drei Mal hat das Parlament den Vertrag bisher abgelehnt. Dass er dieses Mal durchgeht, ist auch noch alles andere als sicher.
Und falls doch, muss auch das EU-Parlament in der vorletzten Oktoberwoche zustimmen. Dann wäre für Großbritannien der Weg aus der EU per 31. Oktober frei.
Beim EU-Gipfel selbst wird jedenfalls am Donnerstag und Freitag nicht über das Brexit-Austrittsabkommen verhandelt. Andere Themen sind dort die türkische Invasion in Syrien sowie das EU-Budget für die kommenden sieben Jahre.
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