Depardieu gibt den „Deserteur“
Das französische Wort „minable“ steht für eine Mischung aus kleinlich und jämmerlich. Und genau diesen Begriff verwendete der ansonsten so kühl und hyperpragmatisch auftretende französische Premier Jean-Marc Ayrault, als er auf den steuerpolitisch motivierten Auszug von Gerard Depardieu nach Belgien angesprochen wurde. Der Filmstar möge doch auch gleich seine „Carte Vitale“ (die e-card der französischen Krankenkassen) retournieren.
Stummfilme
Seither fliegen die verbalen Fetzen noch schneller: Arbeitsminister Michel Sapin sprach vom „persönlichen Verfall“ eines „Mannes der Übertreibungen“. Kulturministerin Aurélie Filippetti beschuldigte Depardieu, er würde „mitten im Krieg gegen die Wirtschaftskrise desertieren“ und empfahl ihm ab sofort „nur mehr Stummfilme zu drehen“.
Das humoristische Magazin Charlie Hebdo, das kürzlich wegen homo-erotischer Mohammed-Karikaturen Muslime empört hatte, brachte jetzt ein Titelblatt mit einer monströsen Darstellung des schwergewichtigen Depardieu unter der Schlagzeile: „Kann Belgien derartig viel Cholesterin aufnehmen?“.
„Mitten im Krieg gegen die Wirtschaftskrise desertiert Depardieu.“ - Aurélie Filippetti, Kulturministerin
Gleichzeitig bezichtigten Kommentatoren Depardieu der Lüge, weil er behauptet hatte, er habe zuletzt 85 Prozent seines Jahresverdienstes an den Fiskus abliefern müssen – ein Ding der Unmöglichkeit selbst im Hochsteuerland Frankreich. Auch dass er „nie“ Frankreichs noch immer großzügige öffentliche Krankenversorgung beansprucht habe, gilt schon deswegen als fraglich, weil der Star erst kürzlich stockbetrunken in Paris von seinem Moped gestürzt und in der örtlichen Ambulanz wie jedermann kostenlos verarztet worden war.
Andere weisen zu Recht auf die staatliche Kulturförderung hin, die eine erfolgreiche französische und darüber hinaus europäische Filmindustrie ermöglicht und Depardieu wohl anfänglich auf die Sprünge geholfen hat. Aber Depardieu hat in den letzten Jahren sein Vermögen vor allem durch obskure Werbe-Auftritte in Zentralasien, darunter einer Gesangseinlage an der Seite der Tochter des usbekischen Diktators Islam Karimow, vermehrt.
Ab in die Steueroase
Hinter der Häme für den extravaganten „Gégé“, wie Depardieu im Volksmund genannt wird, steht freilich die Sorge spürbar über die Flucht von immer mehr Promis und vor allem Unternehmern. Genaue Zahlen liegen keine vor, aber die spektakuläre Beantragung der belgischen Staatsbürgerschaft durch Frankreichs reichsten Mann, dem Magnaten der Luxusindustrie Bernard Arnault, und das Steuer-Exil von Fußballstar Zinedine Zidane und Ex-Tennischampion Yannick Noah, gelten als symptomatisch für eine viel breitere Absetzbewegung. Wobei sich Zidane und Noah schon unter dem bürgerlichen Präsidenten Nicolas Sarkozy den französischen Steuerbehörden entzogen. Sein Nachfolger, der Sozialist François Hollande, verstärkte inzwischen diese Fluchtbestrebungen durch anfängliche Sozialmaßnahmen, die teilweise Annullierung der vormaligen Steuernachlässe von Sarkozy, die tendenzielle Gleichsetzung von Arbeits- und Kapitalertragssteuern und vor allem durch die provisorische Einführung einer 75-prozentigen Besteuerung der Einkommenssegmente von über einer Million Euro pro Jahr, die allerdings durch diverse Abschläge wieder reduziert wird.
Das Paradox: Hollande verstand diese Maßnahmen zu Lasten der Bestverdiener als eine Art Vorleistung für den jetzt gestarteten Steuerabbau von 20 Milliarden Euro zugunsten der Unternehmer, öffentlichen Einsparungen in der Höhe von 60 Milliarden Euro innerhalb von fünf Amtsjahren und einer Lockerung der Arbeitsmarktregeln – also einem Programm, das im Endeffekt Sarkozys Bemühungen für mehr Wettbewerbskraft Frankreichs weit in den Schatten stellen könnte.
Schweden
Bisher war das skandinavische Land der Staat in Europa mit den höchsten Steuersätzen für Vermögende. 56,6 Prozent des jährlichen Einkommens sind an den Staat abzuführen. Ab Jänner aber wird Schweden von Frankreich überholt: Alle Franzosen, die pro Jahr mehr als eine Million Euro verdienen, müssen 75 Prozent Steuern zahlen.
Österreich
In Österreich gilt ebenso wie in Großbritannien ein Spitzensteuersatz von 50 Prozent, im Verhältnis zahlen die reichsten Dänen (55,4 Prozent), Belgier (53,7), Niederländer (52) und Spanier (ebenfalls 52) noch mehr.
Bulgarien
Steuerparadies für Reiche: 10 Prozent Einkommenssteuer.
Er hat viel bessere Rollen gespielt als die des Obelix. Aber diese Rolle des gewichtigen Galliers ist gut: Weil Gerard Depardieus Flucht vor 75 Prozent Spitzensteuer nach Belgien laut Frankreichs Premier „unpatriotisch“ und „erbärmlich“ sei, legt der Filmstar seine Staatsbürgerschaft zurück. Beim Teutates!
Auch andere kehren der Grande Nation den Rücken. Und debattiert wird nicht nur dort: Sollen die Reichen mehr abgeben, um die Sünden der Finanz/Politik auszubügeln; oder tragen sie nicht ohnehin schon drei Viertel und mehr zum Gesamtsteueraufkommen bei? Und wie war das noch mit einer einheitlichen Steuerpolitik in Europa?
In Österreich läuft das gemütlicher. Da träumt der Kanzler nebulos von Reichen- und Erbschaftssteuer (auf Vermögen, das schon mal besteuert wurde). Und den Superreichen ist’s egal. Weil sie entweder legal (Frank Stronach) oder illegal (Unschuldsvermutungen!) eh meist woanders versteuern, oder auch nicht. Nur die Braven, die das nicht tun, brauchen irgendwann noch einen Obelix.
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