David gegen Goliath: U-Haft für Kremlkritiker Nawalny
30 Tage Haft. Einen Tag nach seiner Rückkehr nach Moskau wurde der Kremlkritiker Alexej Nawalny in einem Eilverfahren vorerst zu 30 Tagen U-Haft verdonnert. Er habe gegen Meldeauflagen nach einem früheren Strafprozess verstoßen. Der Prozess könnte dann am 29. Jänner beginnen. Und dann könnte Nawalny theoretisch auch zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt werden, das wäre eine 2014 auf Bewährung ausgesprochene Strafe.
Nawalnys Getreue haben zu Protesten im ganzen Land am Samstag, 23. Jänner, aufgerufen. „Habt keine Angst, geht auf die Straße!“, appellierte Nawalny noch im Verhandlungssaal an die Russen - und zwar nicht so sehr für ihn, als für ihre eigene Zukunft, argumentierte er.
Und seine eigene Zukunft? „Es ist wirklich alles offen“, sagt Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck gegenüber dem KURIER. Nawalny droht auch noch ein Verfahren, weil er Gelder seiner Anti-Korruptionsstiftung für private Zwecke verwendet haben soll. Aber entschieden wird darüber mit Sicherheit an höchster Stelle im Kreml.
Wladimir Putin steckt in einem Dilemma. Er hätte seinen lautstarken Kritiker lieber im Exil gesehen. Doch das kam für den 44-jährigen Kremlkritiker nie in Frage. Mangott: "Nawalny weiß, dass alle Regimekritiker, die ins Exil gehen, in ihrer Heimat in Vergessenheit geraten."
Und zu Hause in Russland nutzte Nawalny dann die Medienaufmerksamkeit, um Putin zu beleidigen: „Der Opi im Bunker fürchtet sich.“
Sendungsbewusstsein
Nawalny spielt also weiterhin David gegen Goliath. „Er hat gewusst, dass er nach seiner Rückkehr verhaftet werden könnte und hat das bewusst in Kauf genommen“, sagt Mangott. „Mit seinem Mut und seinem Sendungsbewusstsein kann er nur in Moskau Opposition betreiben.“
Der Russland-Kenner weist darauf hin, dass Nawalny im Westen schwer überschätzt und in Russland unterschätzt wird. So haben etwa 30 Prozent der Russen von ihm noch nie etwas gehört. Und 50 Prozent glauben nicht, dass der „Berliner Patient“ oder der „Blogger, den niemand braucht“ vom Staat vergiftet wurde. Die Hälfte der Russen denken, sagt Mangott, dass er seine Vergiftung selbst inszeniert hat oder ein westlicher Geheimdienst dahinter steckt.
Einziger Hoffnungsstreif
Putin weiß, eine lange Haftstrafe hätte den Oppositionellen, der immer so tut, als duelliere er sich mit dem Herren im Kreml auf Augenhöhe, zur Ikone der Opposition gemacht. Für junge, gebildete, städtische Russen ist Putins Gegenspieler der einzige Hoffnungsstreif am Horizont. „Da nimmt man seine rechtsnationalistischen und sozialpopulistischen Ansichten in Kauf“, sagt Mangott. „Er ist die einzige realistische Hoffnung für die Opposition.“
Bei den Duma-Wahlen im September könnte der geschickte Jurist Nawalny mit seiner Aktion „Richtig wählen“ sehr wohl einigen von Putins Kandidaten wichtige Stimmen wegnehmen.
Wie das geht, zeigte Nawalny bereits bei den Regionalwahlen im Frühjahr 2020. Über die sozialen Medien machte er damals völlig unbekannte Kandidaten bekannt, die weder Geld für den Wahlkampf hatten, noch Platz in den Medien fanden.
EU fordert Freilassung
Die EU-Staaten haben in einer gemeinsamen Erklärung die sofortige Freilassung Nawalnys gefordert und die russische Regierung vor weiteren Repressionen gegen die Opposition und Zivilgesellschaft gewarnt: „Die Politisierung der Justiz ist inakzeptabel.“
Michail Chodorkowski, einstiger Oligarch und Kreml-Kritiker, der selbst Lagerhaft in Sibirien durchlitten hat, fordert nach Nawalnys Infhaftierung vom Westen jetzt Taten statt Worte - und harte Sanktionen.
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