"Darauf einstellen, dass das ab jetzt unser Leben ist"
Im Jardin du Luxembourg sind meistens schon früh die Jogger unterwegs. Dienstag um halb acht traben die Morgensportler im Nieselregen am Außenzaun der 25 Hektar großen Anlage entlang. In den Tagen nach den Attentaten bleibt der Park im eleganten sechsten Arrondissement zwischen Saint-Germain-des-Prés und dem Quartier Latin geschlossen. Vor den Toren stehen schwer bewaffnete Polizisten. Inmitten des Parks befindet sich das Palais du Luxembourg, wo am Montag der Senat eine Schweigeminute für die Opfer der Attentate abgehalten hat. An die ständige Polizeipräsenz werden sich die Pariser gewöhnen müssen.
Schauplatzwechsel in ein weniger nobles Viertel. Das zehnte Arrondissement rund um den Gare du Nord. Von den Seitengassen um die Rue du Faubourg St. Denis sieht man gerade noch die Spitze des Eiffelturmes. Ansonsten ist man von Touristenattraktionen weit entfernt.
Einwanderer
Hier trifft das Viertel der Einwanderer aus der Elfenbeinküste auf die indische, die japanische und die chinesische Community. Kleine Handwerksgeschäfte, Fleischhauer, Bäcker, Ramschläden. Ein Haarschnitt kostet hier sieben Euro, und bei "Délice du Château" kann man Crèpes, kleine Eiffeltürme aus Metall und Handyzubehör kaufen. Zuletzt haben sich immer mehr schicke Lokale dazwischengeschummelt, der zehnte Bezirk erfährt, wie man es bei uns nennen würde, eine Gentrifizierung, wird langsam zum hippen Viertel. "Branché", nennt man das auf Französisch.
Über einen verwinkelten, begrünten Innenhof des 140 Jahre alten Gebäudes gelangt man zum Büro von Richard Lecoq, der die Schule seit dem Tod seines Vaters führt.
Lecoq, 50, ist Theatermann, Filmemacher, Musiker und ein typischer Pariser Linksintellektueller. Aufgewachsen in Paris, hat er sein ganzes Leben hier verbracht. Die Attentate haben ihn persönlich erschüttert, seine linksliberalen Überzeugungen jedoch weiter gefestigt.
"Den Sohn gepackt"
Lecoq erzählt, wie er am Sonntag mit seiner Freundin und seinem Sohn auf der Place de la République war, um der Opfern zu gedenken. Er hat die Panik miterlebt, die vermutlich durch einen blöden Scherz ausgelöst wurde. "Als die Menschen rannten, packte ich meinen kleinen Sohn und rannte mit. Wir haben uns in einem Hauseingang versteckt."
"Die Leute sind momentan sehr schreckhaft, am Rande ihrer nervlichen Kapazität. Ich weiß nicht, ob und wann wir zur Normalität zurückkehren werden", sagt Richard. "Vielleicht müssen wir uns darauf einstellen, dass das ab jetzt unser Leben ist. Schon seit Charlie Hebdo hat sich Paris verändert."
"Vielleicht", setzt er hinzu, hat sich in einer Woche alles ein bisschen beruhigt." Es klingt wenig hoffnungsvoll. Zugleich aber sieht er die Werte der Franzosen weiter gefestigt: "Wir glauben an die Freiheit. Was jetzt passiert, bestärkt uns in unseren Überzeugungen."
"Werte attackiert"
Ob das Klima nun ausländerfeindlicher werde? "Nicht hier, nein. Ich weiß aber nicht, was sonst in Frankreich los ist." Natürlich gebe es jetzt für viele die Versuchung der Rechtsextremisten, aber "wir müssen uns einander annähern, anstatt uns auseinanderdividieren zu lassen. Wir sind uns alle einig, dass hier unsere Werte attackiert wurden. Jetzt heißt es, die richtigen Antworten zu finden."
Lecoqs Antwort ist das Theater. "Die Kunst kann helfen, zu verstehen. Sie schärft den Verstand und das Beurteilungsvermögen. Sie lehrt, zu differenzieren. Das ist ihre Aufgabe."
Paris ist dieser Tage noch unter dem Schock der Emotionen. Der Terror steht vielen noch ins Gesicht geschrieben, aber das Leben wird weitergehen. Aufmerksam, aber ruhig bleiben, dem Schmerz nicht stattgeben, lautet die Devise. "Die Menschen unterstützen einander", sagt Richard Lecoq. "Gelassenheit ist gefragt."
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