CSU-Vize: "EU-Recht ist wie Kaugummi"

CSU-Vize: "EU-Recht ist wie Kaugummi"
Peter Gauweiler, schärfster Euro-Kritiker in der Koalition, will Länderaustritte.

Kein Rechter in der neuen Großen Koalition Deutschlands ist einflussreicher und ranghöher. Peter Gauweiler, nun CSU-Vizechef, verteidigt sie aber vehement auch gegen Kritik aus dieser Ecke.

KURIER: Herr Gauweiler, der Wirtschaft, vielen Konservativen ist der Koalitionsvertrag zu SPD-lastig. Ihnen nicht?

Peter Gauweiler: Wir als CSU wollten diese Koalition: Für uns war bei Steuern und Eurobonds Klarheit wichtig. Dazu kamen die Themen Maut und Volksabstimmung. Bei Steuern und Abgaben haben wir das Ziel voll erreicht, auch bei Maut und Eurobonds. Bei Volksabstimmungen gibt es mit der SPD einen Fahrplan.

Viele neue Wohltaten, lautet die Kritik, sind nicht nachhaltig finanziert. Höhere Steuern kämen spätestens, so die Konjunktur schwächelt. Wollten das die 41,5 Prozent Unionswähler?

Die Umfragen zeigen, dass die Wähler aller Parteien, auch unsere, mit großer Mehrheit für eine Große Koalition sind, also stabile Verhältnisse. Die Leute haben im Guten wie im Schlechten die Regierung, die sie wollten.

Politik-fixierter Mindestlohn, Rente mit 63, Doppelstaatsbürgerschaft für Migrantenkinder haben Sie bisher bekämpft. Heben Sie jetzt die Hand dafür?

Es ist ein Kompromiss. Selbstverständlich muss sich die geschlagene SPD auch in dem Vertrag wiederfinden. 8,50 Euro werden in Bayern längst gezahlt. Mit 63 in Rente geht nur, wer 45 Beitragsjahre hat. Bei der Migranten­staatsbürgerschaft vollzog den Systembruch schon Rot-Grün mit der Chance auf Option. Alles ist mit viel „Wenn“ und „Aber“ versehen. Koalitionsverträge sind Parteienvereinbarungen, Momentaufnahmen. Was dann kommt, entscheiden Bundestag und unabhängige Abgeordnete. Zu denen zähle ich mich!

Sie stimmen nicht allem zu?

Wir sind vertragstreu. Parteien, die lange in einer polemischen Auseinandersetzung standen, müssen jetzt erst mal den Schalter umlegen und erfahren, dass das, was die andere Seite sagt, nicht nur Unverstand und Charakterlosigkeit ist, sondern auch Gründe hat. Das braucht Zeit. Dass am Ende jede Theorie grau ist, weiß man von jeder Koalitionsvereinbarung: Vor vier Jahren stand darin der Kernenergie-Ausbau und die Wehrpflicht-Verteidigung, das Gegenteil kam dann. Und bei Rot-Grün war das Wichtigste, die Agenda 2010, nie erwähnt.

Das wichtigste Zukunftsthema Euro-Krise, die ja eine der Schulden und Reformdefizite der Euro-Südländer ist, war im Wahlkampf so unbedeutend wie im Koalitionsvertrag. Die CSU ist ungewohnt still. Wieso?

Wir haben in den Koalitionsverhandlungen die SPD von unserer Ansicht informiert, dass Euro-Länder vorübergehend aus der Eurozone austreten können sollten, ohne die EU verlassen zu müssen, wie es Rechtslage ist. Wir wollen eine bessere EU, deren Gremien nicht Teil des Problems sondern der Lösung sind. Früher waren wir als Skeptiker allein, heute bestreitet niemand, dass man die Kuh ohne weitere Schäden vom Eis bringen muss.

Im Koalitionsvertrag steht aber nichts Konkretes davon.

Doch, das Wichtigste: Die klare Absage, dass nicht mit noch mehr Geld die Probleme gelöst werden, vor allem durch Vergemeinschaftung der Schulden, die die SPD wollte.

Das passiert doch: Um die Zinsen der Südländer für ihre Staats- und Bankenschulden zu drücken, macht EZB-Chef Draghi eine Nullzins-Politik, die die Sparer um ihre Zinserträge enteignet. Zugleich lässt Draghi die Südländer Geld drucken.

Das ist alles richtig. Ich habe vor dem Verfassungsgericht dagegen geklagt, ob die EZB das darf. Ich erwarte, dass wir zumindest teilweise recht bekommen. Schon die Annahme der Klage hat diese EZB-Aktivitäten erkennbar gedämpft. Aber die Niedrigzinsen helfen halt auch unseren Finanzministern bei den Schulden für den Wohlfahrtsstaat: Die Sparer finanzieren so dessen Nutznießer.

Die EZB ist völlig unabhängig.

Wir haben der Eurobond-Politik, die auch die EZB noch täglich versucht, im größten EU-Land einen Riegel vorgeschoben, da ist auch die SPD dabei. Wir als CSU fordern, dass die Stimmrechte in der EZB den Beteiligungsverhältnissen, dem Kapitalanteil, angepasst werden: Noch hat Zypern das selbe Gewicht von Deutschland, absurd!

Dazu braucht es andere EU-Verträge, was die Nutznießer in Überzahl blockieren werden.

Die Macht des Faktischen war in der Weltgeschichte immer der entscheidende Faktor, nicht die Verträge. Auch der starre Ostblock zerfiel vor 25 Jahren. Warten wir ’s ab!

Kanzlerin Merkel verteidigt den Euro als Friedensprojekt und will noch mehr Gemeinsamkeiten. Gibt es da Kontroversen?

Die totale Vergemeinschaftung bringt aus unserer Sicht nicht mehr Frieden sondern neue Konflikte. Niemand will in den 1914-Nationalismus zurück, aber eben auch keinen Überbietungswettbewerb im Vergemeinschaften. Der Publizist Sebastian Haffner sah die Zukunft Europas als die Schweiz der Welt.

Wecken Sie damit nicht falsche Hoffnungen beim Wähler?

Politik ist das Bohren dicker Bretter. Wie es mit dem Lissabon-Vertrag weitergeht, werden wir im Europawahlkampf heftig diskutieren: Länder müssen aus dem Euro austreten können, wenn sie nur Abwertungen wettbewerbsfähig machen. Und bei aller Liebe zum großen Konsens in Berlin haben wir versprochen, bundesweit für mehr Beteiligung des Volkes zu sorgen, wie wir das schon in Bayern machen. Die ÖVP ist da weiter als unsere Schwester CDU, ein Ansporn.

All das sagt auch die rechte „Alternative für Deutschland“. Unterscheidet Sie noch etwas von der?

Das sind ehrbare Leute. Sie waren eine Wach-Tablette für die Union, aber kein Ersatz: In Italien hat die Auflösung der einst ewig regierenden Democrazia Cristiana nur Chaos gebracht. Wir müssen die Union stark halten, dürfen aber bei aller Kritik die Euro-Ablehnung nicht zum Religionsersatz machen. Politik ist eben Problemlösung.

Sie klagen, dass das EU-Verbot, Schulden zu vergemeinschaften, vielfach verletzt wird. Ihre Koalition aber will auf CSU-Druck das EU-Diskriminierungsverbot verletzen mit der Pkw-Maut für Ausländer.

CSU-Vize: "EU-Recht ist wie Kaugummi"
epa03811882 Vehicles are stuck in a traffic jam on the A8 motorway between Salzburg, Austria and Munich, Germany, 03 August 2013. EPA/PETER KNEFFEL
Liebe Brüder und Schwestern vom Burgenland bis Vorarlberg! Wir Bayern wollen, was Österreich tut: Die Ausländer am Straßenbau beteiligen, ohne die eigenen Leute mehr zu belasten. Österreich hat niedrigere Kfz-Steuern als wir. Sie können sich kaum vorstellen, wie unsere Leute die neue strenge Mautpflicht auch für nur ganz wenige Kilometer ab der Grenze ärgert.

Kennen Sie als Star-Jurist eine mit dem EU-Recht kompatible Regelung? Oder macht diese Koalition es einfach halt mal so?

Über EU-Regeln zu reden, heißt über Kaugummi reden. Brüssel darf sich nicht hinter Kaugummi verstecken. Sie müssen sich für eine gerechte Regelung bewegen!

Kommentare