Die Gesundheitszentren sind überlastet. Im Osten der Stadt, nahe der Stierkampfarena steht der Familienarzt Antonio Cabrera vor Schildern mit der Aufschrift „Achtung! Extremes Risiko. 25% der COVID-Ergebnisse positiv!“ Die Patienten stehen Schlange um die Ecke, die nächste Straße hinunter. „Viele sind zum Testen hier“, erklärt der Cabrera. Er sagt, sie haben es seit Beginn der Pandemie nie geschafft, unter eine 14-Tage Inzidenz von 250/100.000 zu kommen. „Es gibt generell viel zu wenig Personal und für die Nachverfolgung erst recht keins, wir sind komplett überlastet.“ Auf die Frage nach der Sorge um Mutationen sagt er nur, dass es nicht möglich sei, eine Prozentzahl anzugeben, weil in Spanien zu wenige Kliniken darauf spezialisiert sind, diese überhaupt zu erkennen.
Leben mit dem Virus
In Madrid lebt man deshalb mit dem Virus. Man trägt überall die Maske, man verwendet Desinfektionsmittel und wenn es einen erwischt, bleibt man halt ein paar Tage daheim. Kostenlos getestet wird man nur, wenn man Symptome hat, nach zehn Tagen werden Selbstständige wieder für arbeitsfähig erklärt, ohne Test oder Arztbesuch. Weil es sich viele Leute nicht leisten können, nicht zu arbeiten, wandeln sie unter uns, positiv oder negativ. Egal.
Volle Lokale, volle Plätze
Vor den Lokalen, auf den Straßen und Plätzen, sind alle Tische belegt. Zu sechst quetschen sich die Menschen um die Heizschwammerl, vor ihnen stehen leere Biergläser und Teller, man raucht und lacht. Es ist laut. Jemand hat einen Lautsprecher zwischen die Tische auf den Boden gestellt, ein paar Meter weiter spielt ein Mann mit Kapuze Flöte. Jugendliche sitzen auf einer Parkbank, es liegen Fahrräder am Boden, E-Scooter stehen verloren auf dem Gehweg. Bei frühlingshaften 13 Grad ignoriert man die Infektionszahlen, die eine 7-Tage Inzidenz von 110 bescheinigen. Auf dem Festland liegt nur Katalonien darüber.
Jede Region anders
Jede Autonome Region verfolgt ihre eigene Politik und so kommt es, dass in Andalusien die Restaurants um 18 Uhr schließen müssen und in Katalonien nur zu Frühstücks- und Mittagessenszeiten überhaupt öffnen dürfen. Für die Osterwoche, die wichtigste spanische Urlaubszeit, haben die Regionen beschlossen, ihre Grenzen zu schließen. Alle waren dafür – außer Madrid. Madrid ist anders. Die rechtskonservative Regionalpräsidentin Isabel Ayuso wurde schon im letzten Jahr wahlweise mit Donald Trump oder dem Joker, Batmans wahnsinnigem Gegenspieler verglichen, wenn es um ihre Coronastrategie geht, die sich in erster Linie auf wirtschaftliche Aspekte konzentriert.
Madrids Bürgermeister José Luis Almeida verteidigt dieses Vorgehen. „Der Schmerz, der durch den Tod von Tausenden Menschen verursacht wurde, die Stresssituationen, die man in den Krankenhäusern sehen konnte und all die Stunden, die wir in unseren Häusern verbringen mussten, ich glaube, dass das psychologische Konsequenzen haben wird. Wir sollten alles tun, um sie zu dämpfen und eine zusätzliche Wirtschaftskrise weitgehend abzuwenden.“
Endlich ausgehen
Die Gastronomen sind dankbar, dass sie offen haben dürfen und sie sind dankbar für die Touristen, welche sich nun interessiert der sonst von Barcelona überschatteten Stadt zuwenden. Vor allem Französisch hört man dieser Tage in Madrid. Die Nachbarn nutzen den geografischen Vorteil, um sich nach monatelangem Kulturentzug in leeren Staatsmuseen Kunst reinziehen und in den Restaurants Tapas essen. Ein PCR Test für 48 Stunden Realitätsflucht. Endlich wieder schick ausgehen. Endlich wieder ungezwungen Freunde treffen. Schreiend unterhält sich eine zwölf-köpfige Gruppe über zwei Tischen hinweg. Entspannt leben sie einen Moment vollkommener Verdrängung.
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