Coronavirus: So hätten 95 Prozent der Infektionen verhindert werden können
Erinnern Sie sich an Dr. Li Wenliang? Das war der 34-jährige Augenarzt aus Wuhan, der Ende Dezember seine Kollegen in einer Messenger-Gruppe vor einer „mysteriösen Krankheit“ gewarnt hat.
Ein paar Tage später erhielt er einen Besuch der Polizei. Er habe unerlaubt „Gerüchte verbreitet“ und damit die nationale Sicherheit gefährdet – Li musste schweigen. Einen Monat später war er tot. Er starb selbst an den Folgen der mysteriösen Krankeit – heute bestens bekannt als Coronavirus oder Covid-19.
Eine Studie der Universität von Southampton bekräftigte diese Woche, wie wichtig die frühe Reaktion auf das Virus gewesen wäre. Und suggeriert damit, dass man in China dadurch bis zu 95 Prozent der Infektionen hätte verhindern können.
In China wurden strikte Maßnahmen erst Wochen nach der Warnung von Li Wenliang eingeführt. Zunächst hatte es noch geheißen, die Krankheit übertrage sich nicht so einfach von Mensch zu Mensch.
Die 11-Millionen-Einwohner-Stadt Wuhan wurde am 23. Jänner von der Außenwelt abgesperrt. Nichts durfte mehr hinein oder hinaus gebracht werden. Schulen, Fabriken, Geschäfte geschlossen, privater Verkehr auf den Straßen untersagt. Es folgten weitere Millionenstädte.
Laut New York Times sollen insgesamt 760 Millionen Menschen von einer Art von Restriktionen betroffen gewesen sein. Das ausgeklügelte Überwachungssystem Chinas wurde auch dafür benutzt, Infektionen von positiv getesteten Menschen weiterzuverfolgen. Tech-Firmen wurden angeheuert, um mittels Apps Menschen in Farbschemas einzuteilen – nach ihrer Gesundheit.
Die Maßnahmen zeigten Wirkung: In einem Bericht schrieben Experten der WHO, Chinas gewagte Herangehensweise, die schnelle Verbreitung der Krankheit einzudämmen, sei erfolgreich. Mittlerweile dürfte der Peak nicht nur überstanden sein, China meldet, dass es keine Neuinfektionen mehr gibt.
Doch wie die Wissenschaftler in Southampton nun mit ihrer Untersuchung belegen, hätten Maßnahmen wie Isolation und Reiseverbote nur eine Woche früher 66 Prozent weniger Infektionen bedeutet. Zwei Wochen früher wären es 86 Prozent weniger gewesen. Hätte man drei Wochen früher reagiert – also kurz nach der Warnung des jungen Arztes – wären nur fünf Prozent der heutigen Infektionen passiert.
„Aus einer rein wissenschaftlichen Sicht wäre eine Kombination von Maßnahmen so früh wie möglich das Beste, um die Verbreitung der Krankheit zu verlangsamen und die Ausmaße zu reduzieren“, sagt Andrew Tatem, Professor an der Universität von Southampton gegenüber dem Guardian.
Dass Tatem die „rein wissenschaftliche Sicht“ betont, ist kein Zufall. Denn der Wissenschaftler ist sich bewusst, dass politische und nicht zuletzt wirtschaftliche Faktoren solch strikte Maßnahmen freilich erschweren.
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