Clinton fragt in ihrem neuen Wahlniederlagen-Buch: „Was ist geschehen?

Ganz verwunden scheint Hillary Clinton ihre Niederlage noch nicht zu haben.
Hillary Clinton neues Wahlniederlagen-Buch "Was geschehen ist" erscheint heute. Eine überzeugende, selbstkritische Darstellung findet sich darin nicht.

Der Republikaner John McCain hat es 2008 nicht getan. Auch Mitt Romney verzichtet vier Jahre später auf einen zwischen Buchdeckeln gegossenen Rückblick auf die politische Beerdigung erster Klasse die ihm Barack Obama (und die Mehrheit der Wähler) zuteil werden ließen. Es waren stille Verlierer, die ihren gewaltigen Verlust fast stoisch ertrugen und früher oder später neu in Tritt kamen. Hillary Clinton ist anders. Die ehemalige Präsidenten-Gattin, Senatorin und Außenministerin hat den 9. November des vergangenen Jahres noch immer ganz und gar nicht verdaut. Gegen den unbehauenen Klotz Donald Trump verloren zu haben, nagt an der Frau, die unbedingt für die Demokraten Amerikas erste Präsidentin werden wollte.

Rundumschlag gegen Männer und Medien

Allein, ihr am Dienstag in den USA gegen viele Millionen Dollar Vorschuss erschienenes Buch "What happened" (Was geschehen ist) gibt auf rund 500 Seiten nicht wirklich Aufschluss über die Ursachen einer der spektakulärsten Episoden in der jüngeren amerikanischen Geschichte. Clinton gibt zwar zu, den "schwankenden Boden" unter ihrer Kampagne, das Fehlen einer griffigen Botschaft und die Süffigkeit der "Make America great again"-Parole ihres Bezwingers viel zu spät erkannt zu haben. Einen nennenswerten Eigenanteil am Erfolg des Seiteneinsteigers aus New York kreidet sie sich gleichwohl nicht an. Dagegen bekommen es reihenweise andere ab: James Comey (Ex-FBI-Chef und Clinton in Sachen E-Mail-Affäre in zugegeben dubioser Art und Weise auf den Fersen gewesen), Wladimir Putin (Russlands Präsident und mutmaßlicher Drahtzieher diverser Störmanöver gegen Clinton), Julian Assange (Wikileaks-Chef und als solcher mutmaßlich an der Verbreitung von kompromittierenden Informationen über Clinton beteiligt), die New York Times (weil sie so üppig über die E-Mail-Affäre berichtet habe) sowie ihr innerparteilicher Konkurrent Bernie Sanders (weil er sie mit unerfüllbaren, populistischen Versprechungen in die Enge getrieben habe und eigentlich gar kein Demokrat sei). Nicht zu vergessen die alten Buddies Barack Obama und dessen Vize Joe Biden, von denen sich Clinton entweder zu unrecht kritisiert oder in eine "Zwangsjacke" gesteckt fühlte. Tenor: Man hat mich ja nie wirklich machen lassen.

Dass Clinton einen großen Teil der Trump-Unterstützer von oben herab als "basket of deplorables" (etwa: ein Haufen Erbärmlicher) bezeichnete und damit die von Demokraten über Jahrzehnte nachweisbar vernachlässigte weiße Arbeiterschaft heftig vor den Kopf stieß, kommt erst nach knapp 400 Seiten kursorisch zur Sprache. Viel mehr Platz räumt sich die Spitzenpolitikerin, die nach eigenen Angaben nie wieder für ein öffentliches Amt kandidieren will, ein, als es darum geht, "Sexismus" und "Frauenfeindlichkeit" als aus ihrer Sicht entscheidende Faktoren bei ihrer Niederlage herauszuarbeiten. Feindbild: Trump persönlich, den sie bei einer der TV-Debatten zu dicht hinter sich spürte und erwog, ihm zu sagen: "Weiche zurück, Ekel." Dass Hillary Clinton ihr mehr Lippenbekenntnis denn Selbstreflektion gewordenes Zeugnis ab nächsten Montag in einer 15-Städte-Lese-Tour kreuz und quer durch Amerika bewerben will (hie und da kosten die VIP-Karten über 2000 Dollar) macht die demokratische Partei alles andere als froh. Viele Funktionsträger betonen das Recht der Kandidatin, ihrer persönlichen Empfindungen über die Wahl 2016 zum Ausdruck zu bringen. Deutlich vorziehen würde man es jedoch, wenn die Verliererin eine konzeptionelle Anleitung zum Siegen verfasst hätte. Und sich dann für immer aus dem Scheinwerferlicht verabschieden würde.

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