Neuer EU-Repräsentant in Wien: "Da hilft es nicht, zu raunzen"

Christian Wigand, neuer Vertreter der EU-Kommission in Österreich
Er ist die neue Chefstimme Brüssels in Wien, Christian Wigand, amtsführender Leiter der EU-Kommission in Wien. Anders als sein Vorgänger Martin Selmayr, der mit provokanten Ansagen in Wien nicht selten heftig aneckte, gilt der 44-jährige gebürtige Grazer und studierte Theologe als ein Mann der behutsameren, wenn auch durchaus hartnäckigen Konfrontation mit Konflikten. Was erwartet den langjährigen Sprecher der Kommission in Wien? Was hat das so EU-skeptische Österreich von ihm zu erwarten?
KURIER: Sie kommen direkt aus Brüssel, das Sie sehr gut kennen. Wie wird Österreich in Brüssel wahrgenommen?
Christian Wigand: Hier heißt es, wir seien ein kleines Mitgliedsland. Aber das ist nicht so – Österreich ist ein mittelgroßes Mitgliedsland und wird in Brüssel sehr wohl wahrgenommen, und Österreich kann, wenn es sich entsprechend engagiert, überproportionales Gewicht auf die Waage bringen – was auch immer wieder geschehen ist.
Wo könnte Österreich noch mehr Möglichkeiten nützen?
Es ist nicht meine Aufgabe, die österreichische Politik zu bewerten. Aber wegen seiner guten Beziehungen zu den Westbalkanländern und seiner geografischen Lage in der Mitte Europas kann Österreich durchaus eine Rolle als Brückenbauer spielen – und tut das auch.
Österreich blockiert nach wie vor die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengenraum. Können oder sollen Sie da auf die Regierung in Wien einwirken?
Ein erster Schritt zu einer Lösung wurde bereits gegangen – mit der Aufhebung der Kontrollen am Luft- und Seeweg. Und wir arbeiten an einer baldigen Lösung für den Landweg. Die Europäische Kommission hat ja schon 2011 bestätigt, dass Rumänien und Bulgarien alle Kriterien für einen Schengen-Beitritt erfüllen.
In Österreich ist die EU-Skepsis sehr groß. Wie wollen Sie dagegen angehen?
Die Skepsis ist in Österreich höher als im EU-Durchschnitt. Aber im langfristigen Schnitt bewegt sich die EU-Zustimmung auf einem recht stabilen Niveau. Dennoch will ich es nicht kleinreden. Mich dieser Skepsis zu stellen, ist Teil meiner Aufgabe, aber das ist natürlich eine gemeinsame Aufgabe, auch für die österreichische Politik und Zivilgesellschaft.
Ein wichtiger Aspekt ist für mich, Europa ein Gesicht zu geben. Viele Menschen haben ein Bild von Europa, das aus ein paar grauen Gebäuden in Brüssel besteht. Europa muss menschlicher werden, es muss ein Gesicht bekommen.
Diese Gesichter gibt es ja: Angefangen mit Präsidentin von der Leyen über den Kommissar aus Österreich; und dann denke ich vor allem an engagierte EU-Mitarbeiter, die Europa im persönlichen Kontakt erklären – etwa vor Besuchergruppen in Brüssel. Alle, die einmal in Brüssel mit Menschen gesprochen haben, die für die EU arbeiten, fahren mit einem völlig anderen Eindruck nach Hause.
Nächstes Jahr ist Österreich 30 Jahre bei der EU. Und doch ist sie gefühlt fern...
Kritik an „Brüssel“ findet leider immer noch schneller Schlagzeilen. Aber Europa, das sind wir, jede und jeder Einzelne von uns. Nach fast 30 Jahren Mitgliedschaft sollte man langsam von der Wahrnehmung wegkommen, dass die EU etwas ist, das uns von außen draufgesetzt wird. Österreich als Mitgliedstaat hat Gewicht, österreichische Abgeordnete sitzen im EU-Parlament, die Minister im Ministerrat und entscheiden mit.
Und trotzdem lautet der Vorwurf: Überbürokratiserung, zu viele überfordernde Regeln, zuletzt mit dem Green Deal.
Präsidentin von der Leyen setzt in ihrem neuen Mandat sehr stark auf Entbürokratisierung und Vereinfachung, etwa auf einfachere Genehmigungsverfahren. Schon binnen der ersten hundert Tage der neuen Kommission wird es Vorschläge geben, die das Umfeld für Unternehmen attraktiver machen sollen. Zudem soll jeder Kommissar seinen Gesetzesbestand überprüfen, um zu sehen, wo man weniger Regeln haben könnte. All das hat zum Ziel, die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Steht damit die Wettbewerbsfähigkeit über dem Green Deal?
Beides gehört zusammen, für uns ist das kein Widerspruch. Der Übergang in ein klimaneutrales Wirtschaften und die digitale Transformation geschehen parallel. Es geht auch darum, Marktführerschaft in zukunftsrelevanten Schlüsseltechnologien zu erlangen.
Stimmt es, dass der Einfluss Österreichs steigt oder sinkt je nach dem Grad der Wichtigkeit des Ressorts, das unser neuer Kommissar Brunner bekommen wird?
Der Kommissar ist nicht der Vertreter Österreichs, das ist ein Missverständnis. Jedes Land entsendet eine Frau oder einen Mann in die Kommission, die oder der aber dann das gesamteuropäische Interesse vertritt. Natürlich haben Kommissare in der Heimat eine wichtige Funktion, denn sie geben Europa ein Gesicht. Wer welches Mandat bekommt, wird sich voraussichtlich heute, Dienstag, zeigen.
Als die türkis-blaue Regierung angetreten ist, kam das in Brüssel nicht sehr gut an. Mittlerweile gibt es in Europa viele Koalitionen mit Rechtsaußenparteien. Würde also Österreich bei einer neuerlichen ÖVP-FPÖ-Regierung ähnlich viel Skepsis entgegenkommen wie 2017?
Die EU-Kommission und ihre Vertretung hier wird sich auf keinen Fall in den Wahlkampf einmischen, das ist eine rein nationale Angelegenheit. Die Kommission arbeitet immer mit den gewählten Regierungen der Mitgliedsstaaten zusammen.
Christian Wigand
Zehn Jahre lang war der gebürtige Grazer für die EU-Kommission in Brüssel tätig. Spezielles Aufgabengebiet des studierten Theologen war die Rechtsstaatlichkeit - entsprechend viel hatte der Vater dreier Töchter und passionierte Musiker mit Problemen in Ungarn, Polen und nun auch in der Slowakei zu tun. Vor seinem Wechsel nach Brüssel war Wigand in Wien unter anderem Sprecher und Kabinettsmitglied für europäische und internationale Beziehungen der Justizminister Wolfgang Brandstetter und Beatrix Karl.
Als amtsführender Leiter der EU-Kommissionsvertretung in Österreich hat Wigand im September Wolfgang Bogensberger abgelöst, der in Pension ist. Wigand ist vorerst Chef und sein eigener Stellvertreter in einer Person. Wann die endgültige neue Führung für den Job in Wien nominiert wird, steht noch nicht fest. Der frühere Vertreter der Kommission in Österreich, Martin Selmayr, ist jetzt EU-Botschafter beim Heiligen Stuhl, dem Malteser-Orden und den in Rom ansässigen UNO-Organisationen.
Ihr Vorgänger, Martin Selmayr, war oft recht deutlich mit Kritik – Stichwort“Blutgeld”. Bleiben Sie auf diesem Kurs?
Ich war in Brüssel Sprecher für Rechtsstaatlichkeit, und dort hat man mich häufig mit dem Satz gehört: “Ich bin ernsthaft besorgt.” Da möchte ich schon mal vorab beruhigen, ich habe hier in Österreich nicht vor, das laufend zu sagen. Aber wo es nötig ist, werde ich mich schon zu Wort melden.
Zunächst möchte ich allerdings noch etwas Positives erwähnen: Wir haben in Europa zwei der größten Krisen der jüngeren Zeit bewältigt: die Pandemie und in Folge des russischen Angriffskriegs die Energiekrise. Die EU hat diese Krisen gemeinsam sehr gut gemeistert.
Natürlich gibt es große Herausforderungen für die nächsten Jahre, aber wir haben gesehen, dass die EU funktioniert. Wir haben in der EU derzeit eine rekordniedrige Arbeitslosigkeit – rund sechs Prozent - und den höchsten Anteil an Menschen in Beschäftigung – 75 Prozent und selbst die Inflation ist wieder gesunken.
Aber es sieht doch alles nach einem Abschwung aus, nächstes Jahr wird Österreich nach heuer erneut einen Wirtschaftsrückgang verzeichnen.
Da hilft es aber nichts, die Hände in den Schoss zu legen und zu raunzen, wenn Sie mir als Österreicher diesen Ausdruck erlauben. Es geht darum, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Wettbewerbsfähigkeit, digitale Transformation, Klimawandel und Sicherheit können und müssen wir gemeinsam in Europa angehen.
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