„Blutgeld“ und Verlogenheit

Immer gerne gesehener Gast: Wladimir Putin mit Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer und dem früheren Wirtschaftskammerboss Christoph Leitl 2007 in Wien
Die Botschafter, die ins Außenministerium „zitiert“ werden, weil sie oder ihr Heimatstaat sich unbotmäßig verhalten haben, stammten zuletzt meist aus Russland und dem Iran. Auch der türkische Vertreter musste zum Rapport: Sein Präsident hatte Österreich wegen des Hissens der israelischen Flagge auf dem Kanzleramt verflucht.
Dass der Vertreter einer befreundeten Institution zitiert wird, ist ungewöhnlich. Dass er zugleich einen Rüffel von daheim erhält, auch. Martin Selmayr, verhaltenskreativer Repräsentant der EU in Wien, hat dieses Kunststück gebracht. Sein Vorwurf, Österreich kaufe Gas in Russland und schicke so „Blutgeld“ für den Ukraine-Krieg, sprengte das unter politischen Partnern Übliche.
Dabei hat Selmayr grundsätzlich recht. Österreich ist in hohem Maß von russischem Gas abhängig – zu 80 Prozent vor dem Krieg, jetzt immer noch zu 55. Geschuldet ist das der jahrzehntelangen dubiosen Freundschaft und peinlichen Unterwürfigkeit seiner Repräsentanten zu Präsident Putin und den daraus resultierenden langfristigen Lieferverträgen. „Wladimir Putins nützliche Idioten“ hat der britische Economist kürzlich getitelt und Österreich in der Liste derselben auf Platz zwei gesetzt.
Dieser Wahrheit steht aber die Verlogenheit der gesamten Debatte gegenüber, wie mit Russland umzugehen sei.
In einer idealen Welt würde der Überfall auf die Ukraine (der in einer idealen Welt natürlich nicht passiert wäre) mit einer völligen Ächtung des Kriegsführers beantwortet – also auch mit einem Abschneiden jedweder wirtschaftlicher Beziehungen.
Das findet aufgrund der Abhängigkeiten in der realen Welt nicht statt.
Der Westen verhängt Sanktionen und zittert wie das Kaninchen vor der Schlange, dass der russische Bär nicht das Gas abdrehen möge – sogar einen effizienten Gaspreisdeckel gegen Russland wollte Europa nicht verhängen, weil wir warm duschen und unsere Wirtschaft nicht aufs Spiel setzen wollen. Eine ganz Reihe von EU-Staaten, das vergaß Herr Selmayr zu erwähnen, importiert Pipeline- und zusätzlich Flüssiggas aus Russland wie Hölle. Das Ziel, bis 2027 unabhängig vom Putin-Treibstoff zu werden, ist noch weit entfernt.
Das und Putins Ausweichen vor den Sanktionen nach China und Indien führt dazu, dass sich die Kriegskasse des Kriegsverbrechers tatsächlich beständig füllt.
Dennoch: Gibt es eine Alternative zu konsequenten Sanktionen gegen die Putin-Nomenklatura (ob sie wirken oder nicht, darüber streiten Studien, und genau wissen werden wir es erst, wenn Putin Geschichte ist)? Gibt es eine Alternative zum möglichst schnellen Raus aus jedweder Abhängigkeit von Russland, mitsamt der Korrektur alter Fehler? Die gibt es nicht, will man sich nicht tatsächlich dem „Blutgeld“-Vorwurf aussetzen – in Österreich wie auch EU-Europa.

Kommentare