Christian Lindner: "Eigentlich ist Donald Trump ein ganz guter Lehrer für uns"

Ex-FDP-Chef Christian Lindner gestikuliert mit der Hand
Deutschlands früherer Finanzminister über unerwünschte Abschottung, die Vorgabe, Trump verstehen zu lernen, sein initiiertes Aus vom Verbrenner-Aus und sein neues Leben.

Ein Vierteljahrhundert "leidenschaftliche Politik - das ist Vergangenheit", sagt Christian Lindner diese Woche bei einem Besuch in WIEN - kaum drei Wochen, nachdem der frühere Finanzminister Deutschlands auch die Führung der FDP offiziell zurückgelegt hat. Niedergeschlagenheit darüber, dass die Liberalen bei der jüngsten Bundestagswahl mit einem historisch schlechten Ergebnis aus dem Parlament flogen, ist dem 46-Jährigen beim Interview nicht anzusehen. Kein Wunder bei dem Ex-Politiker, der schon als 18-jähriger gesagt haben soll: "Probleme sind nur dornige Chancen." Entsprechend zuversichtlich sieht Lindner der Wirtschaftsentwicklung Europas entgegen - trotz Trumps Zolleskapaden, Chinas wachsender Macht und der von ihm so heftig kritisierten Bürokratie.

KURIER: Die Wirtschaftsnachrichten in Österreich waren zuletzt schlecht. Hatten Sie beim Exporttag der Wirtschaftskammer in Wien auch solch einen düsteren Eindruck?

Christian Lindner: Ich habe eher Optimismus und Tatendurst verspürt. Klar, wir haben sich verändernde geopolitische und geoökonomische Rahmenbedingungen. Die stellen unsere Wettbewerbsfähigkeit und auch die Regeln des Welthandels in Frage. Aber diese Zeiten in der Wirtschaftsgeschichte sind zugleich immer die, wo Marktanteile global neu verteilt werden. Man muss etwas dafür tun. Aber es ist auch nicht unser Schicksal, dass wir auf der Verliererseite stehen müssen.

Was muss sich also ändern, und zwar nicht nur Europa, sondern auch in Österreich?

Wir haben hausgemachte Probleme, weil wir zu lange die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft vernachlässigt haben. Spätestens jetzt, mit der Stärkung des Euros, müssen wir in Produktivität investieren und strukturelle Reformen einleiten beim Arbeitsmarkt, bei der Besteuerung, bei den Regulierungen.

Und dann gibt es noch die Zollprobleme mit den USA..

Wir müssen uns an unseren eigenen Maßstäben im Bereich des Freihandels messen lassen. So blütenweiß ist unsere Weste nicht, weil wir viele nicht-tarifäre, also nicht von Zöllen herrührende Markteintrittsbarrieren haben. Wenn wir uns zum freien Handel bekennen, müssen wir auch andere Weltregionen stärker in den Blick nehmen. Dann wir können von der Neuverteilung von Marktanteilen profitieren. In Südamerika sowie im Pazifik etwa liegen für die österreichische Wirtschaft Chancen – ebenso für Deutschland und die EU insgesamt.

Aber hat sich dort nicht schon längst China den Platz gesichert?

Geschenkt wird uns nichts, unsere Produkte müssen wettbewerbsfähig sein, nicht dadurch, dass sie günstiger, sondern dass sie besser sind. Es gibt starke österreichische, deutsche, europäische Unternehmen, die eine Weltmarkt-Chance haben.

Wäre das der geeigneter Anti-Trump-Plan, den asiatisch-pazifischen Raum anzupeilen? 

Wir müssen uns um die USA auch unter Donald Trump bemühen.

Gleichzeitig müssen wir uns aber dafür rüsten, dass die USA sich von der Rolle verabschieden, in der wir sie über Jahrzehnte gesehen und teilweise auch benutzt haben. Aber das ist kein Anti-Trump-Plan, sondern das ist die notwendige Diversifikation.

Besteht für Europa nicht die Gefahr, in diesem Mühlrad zwischen USA und China zermalmt zu werden?

Genau das entscheidet sich in dieser Phase, in der wir jetzt sind, ob wir die Kraft aufbringen, selbst auf der Weltbühne ein Faktor zu sein. Unsere geopolitische Stärke wird immer zusammenhängen mit unserer ökonomischen Stärke, und genau die haben wir vernachlässigt. Andere haben Technologien innoviert, wir haben Technologie reguliert. Und darüber übersehen, dass Bürokratie keine Wertschöpfung bringt, sondern kostet. Aber das ist ja menschengemacht. Das können wir selbst lösen.

Ich sehe inzwischen Anzeichen dafür, dass sich der Trend verändert. Symbolhaft könnte das die europäische Lieferkettenrichtlinie sein, die noch im vergangenen Jahr mit französischer Unterstützung beschlossen wurde. Und unlängst hat der französische Präsident gesagt, sie könnte fallen. Vielleicht liegt der Höhepunkt des Bürokratismus hinter uns.

Das entspricht Ihrer liberalen Linie: Je weniger Regeln, die einen einengen, umso besser. Aber gibt es generell noch einen politischen Wunsch nach Liberalität? Sie sind mit Ihrer FDP aus dem Bundestag geflogen….

Also eigentlich ist Donald Trump ein ganz guter Lehrer für uns, die eigenen Werte wieder ernst zu nehmen, weil wir sehen, was passiert, wenn man das nicht tut. In den USA wird in atemberaubender Weise der Rechtsstaat gebeugt. Das schreckt inzwischen Investoren ab. Die Staatsfinanzen sind in Unordnung, was den Dollar schwächt. Beim Freihandel und den Zöllen sieht man den Rückschlag auf die eigene Bevölkerung, wo die Konsumenten bestraft werden sollen, wenn sie nicht amerikanische Produkte, sondern bessere, zum Beispiel, europäische wählen. Im Umkehrschluss sehen wir neu den Nutzen von Liberalität, Marktwirtschaft, Freihandel und Rechtsstaatlichkeit. 

Präsident Macron fordert mehr europäischer Souveränität, er wollte sogar mal „buy european“ einführen. Sollten wir den europäischen Markt reglementieren? 

Sollten wir uns abschotten? Nein.

Sollte wir uns wehren gegen unfaire Handelspraktiken? Ja. Also wenn unsere Partner im Welthandel Dumping betreiben, dann müssen wir uns dagegen wehren. Sonst wären wir ja naiv. Wenn europäische Regeln des Verbraucherschutzes unterlaufen werden durch chinesische Plattformhändler, brauchen wir darauf eine europäisch Antwort, 

Was glauben Sie denn, wie der Handelsdisput ausgeht zwischen Trump und der EU? 

Das kann noch niemand wissen. Ich fürchte, Donald Trump selbst hat noch keinen widerspruchsfreien Plan. Allerdings muss man seine Rationalität ernst nehmen. Mir will scheinen, dass es ihm nicht nur um die Wohlfahrt des amerikanischen Volkes geht, sondern auch um gewisse identitätspolitisch-ideologische Fragen. Er hat ja neulich krasserweise geäußert, Kinder sollten zukünftig mit zwei Puppen spielen statt mit dreißig.

46-215766640

Christian Lindner im Gespräch mit KURIER-Außenpolitik-Ressortleiterin Ingrid Steiner-Gashi

Übersetzt heißt das: Meine Wirtschaftspolitik kostet euch Wohlstand, aber dafür haben wir auf geringerem Wohlstand sichere Industriearbeitsplätze für amerikanische Produkte. Dahinter steht also nicht die Maximierung allein eines guten Deals für die USA insgesamt. Wir müssen es auch nicht nachvollziehen und teilen, aber wir müssen's verstehen lernen, um eine Antwort zu finden.

Die Chinesen haben uns bei der E-Mobilität überholt. Sie hingegen sind derjenige, der das Aus vom Verbrenner-Aus losgetreten hat. Sehen Sie das immer noch als die richtige Entwicklung? 

Ich bin absoluter Anhänger von Technologieoffenheit, denn über Jahrzehnte werden noch Millionen Verbrennermotoren auf der Welt produziert und gebraucht werden, und am besten die exzellenten europäischen und nicht chinesischen. Technologieoffenheit heißt nicht, eine einseitige Entscheidung gegen eine Antriebsart wie das E-Auto zu treffen, sondern die Offenheit auch für andere Wege zum Ziel, in dem Fall die Klimaneutralität. Und tatsächlich hat diese Position inzwischen Karriere gemacht, nicht nur bei den europäischen Automobilherstellern und ihren Verbänden, sondern auch bei europäischen Regierungen. 

China hat die gesamte Technologie auf diesem Sektor weiter entwickelt. Dadurch haben sie riesigen Vorsprung entwickelt, den Europa kaum noch aufholen kann.. 

Zum einen haben die Chinesen auch Verbrennungsmotoren und zum anderen sind die europäischen Elektroautos der neuesten und auch der nächsten Generation weltweit führend. Mir scheint der Wettbewerbsvorteil der Chinesen, vor allen Dingen bei all dem zu sein, was gar nicht mit dem Auto als Kern zu tun hat. Kurz gesagt: Sie bauen Unterhaltungselektronik auf vier Rädern, während die europäischen Hersteller sich sehr stark auf die vier Räder konzentriert haben und die Unterhaltungselektronik über eine längere Zeit vielleicht nur in zweiter Ordnung wichtig fanden. Das verändert sich, und dann können wir zwei Trümpfe gleichzeitig ausspielen. Übrigens: Allein regulatorisch können unsere europäischen Hersteller etwa im Bereich des autonome Fahrens auf europäischen Boden nicht das, was in chinesischen Großstädten schon in der Praxis möglich ist.

Ja,in Wuhan kurven die Robotaxis herum.

Die Deutschen könnten das auch, dürfen es aber nicht.

Im neuesten Wikipedia-Eintrag steht „Christian Lindner ist ein ehemaliger deutscher Politiker“. Was sind Sie jetzt?

Ich bin Unternehmer, habe ein Portfolio unterschiedlicher unternehmerischer Aktivitäten, die ich gegenwärtig erwäge, teilweise auch schon aufgenommen habe. Allerdings unterliege ich noch einer Abkühlungsphase aufgrund des deutschen Ministergesetzes. 

Wenn Sie zurückblicken auf die Ampelregierung - würden Sie heute etwas anders machen? 

Nach dem Urteil des deutschen Verfassungsgerichts zur Auslegung unserer Schuldenbremse, wodurch die ganze Koalitionsvereinbarung zur Makulatur geworden war, hätte man einen klaren Schnitt machen müssen, um entweder die vorgezogene Neuwahl schneller zu erreichen oder eine neue Geschäftsgrundlage zu verhandeln.

Bei der nun gigantischen Schuldenaufnahme, die jetzt passiert ist, hat die FDP mitgestimmt?

Nein, genauer gesagt jein. Im Bereich zielgerichteter Mehrausgaben für die Verteidigung hätte man auch aus unserer Sicht die Verfassung verändern können. Aber das, was jetzt an neuer Fiskalpolitik erfolgt, auch mit der Gefahr der Verschiebung von investiven Ausgaben in neue Sondertöpfe und Verschuldung, um Staatskonsumumverteilung, Geschenke für das eigene Elektrorat zu finanzieren, das sehe ich kritisch.

Britain's King Charles visits Germany

Lindner mit Ehefrau, der deutschen Fernsehmoderatorin und Reporterin Franca Lehfeld.

Aber vielleicht geht die Wette auf, denn aufgrund der amerikanischen Fiskalpolitik, der Dollar-Schwäche, Trumps Äußerungen über die Unabhängigkeit der US-Notenbank, ist die Europäische Union und insbesondere Deutschland zum sicheren Hafen geworden, was uns fiskalpolitisch Zeit gibt. 

Vermissen Sie die Politik?

Ich war leidenschaftlich gerne und 25 Jahre Politiker, aber das ist für mich Vergangenheit. 

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