Chinas neue Seidenstraßen: Unterwegs zum Weltakteur

Seidenstraßen neu: Peking plant den massiven Ausbau aller Verkehrs- und Handelswege nach Westen.
Mit Multi-Milliardenprojekt verfolgt Peking mehr als den Bau von Handelsrouten: Das Reich der Mitte untermauert seinen Führungsanspruch.

Zu Zeiten der Handelskarawanen entlang der Seidenstraße muss in Horgos viel los gewesen sein. Denn Horgos, das bedeutete so viel wie: "Platz des großen Kameldungs". Dann blieben die Lastentiere aus, die Seidenstraße verkümmerte, und das windverblasene Städtchen an der heutigen kasachisch-chinesischen Grenze dämmerte vor sich hin.

Bis vor Kurzem.

Denn jetzt wird in dem Kaff am Fuß schneebedeckter Bergkuppen unablässig gegraben, gebohrt und gebaut. Hier lässt die chinesische Regierung eine ihrer neuesten Städte hochziehen – in Horgos soll eine der großen Visionen Pekings Gestalt annehmen. Die Lavendelfelder sind schon verschwunden. Die Grenzregion im äußersten Westen Chinas soll einen Flughafen erhalten, zur Freihandelszone umgebaut und in ein internationales Eisenbahn-, Logistik- und Energiezentrum verwandelt werden.

Und als solches wird Horgos zurück an die Seidenstraße geholt. Genauer gesagt an den "Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel" – ein gigantisches Wirtschaftsprojekt, das China Richtung Zentralasien und bis Europa öffnen und miteinander verbinden soll.

Der ehrgeizige Plan: Von der alten Kaiserstadt Xian führt die Landroute über Xinjiang nach Zentralasien, über den Iran und Irak bis in die Türkei und nach Europa. Eine zweite Route, die "Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts" startet in der südostchinesischen Provinz Fujian und führt über Hainan und Sri Lanka nach Kenia, um das Horn von Afrika und endet via Athen in Venedig.

Dafür braucht es: Straßen, Eisenbahnen, Hochgeschwindigkeitszüge, Pipelines, Kommunikationsverbindungen, Stromleitungen, Kraftwerke, Häfen – und sehr viel Geld. Summen, die die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt zur Verfügung hat: 40 Milliarden Dollar fließen in den "Seidenstraßenfonds", weitere 50 Milliarden in die neu zu gründende, von China dominierte Asiatische Infrastruktur Investmentbank (AIIB).

Lukrativ für Österreich

42 Staaten machen bei der AIIB mit, darunter auch Österreich. Nicht so sehr, weil heimische Unternehmen an die Kredite der AIIB heran wollen. Vielmehr dürften zu den lukrativen Infrastrukturausschreibungen der AIIB nur Firmen aus Ländern Zugang erhalten, die sich auch bei der Bank engagieren.

Die Seidenstraßen-Initiativen Chinas, so meint der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Peking, Martin Glatz, zum KURIER, böten heimischen Unternehmen jedenfalls große Chancen: "Bauunternehmen werden sich in der ersten Phase auf zunehmende Konkurrenz aus China einstellen müssen. Aber die Expertise österreichischer Firmen birgt ein beachtliches Potenzial für Kooperationen. Und österreichische Unternehmen, die in der Region investiert haben, werden von besseren Bahn- und Straßenverbindungen profitieren."

Was auf den ersten Blick wie ein gigantisches Infrastrukturprogramm anmutet, ist in Wirklichkeit viel mehr: Es ist das Hervortreten eines neues Weltakteurs. Das Pochen eines selbstbewusst und reich gewordenen Chinas auf eine Umgestaltung der asiatischen (Handels-)Ordnung nach seinen Wünschen. Mit friedlichen Mitteln. Oder, wie es Chinas Staatschef Xi Jinping formuliert: "Mit dem Aufstieg unserer nationalen Stärke hat China die Fähigkeit und den Willen, mehr Gutes für die Asien-Pazifik-Region und die ganze Welt zu tun."

Muskelspiele

Diese Segnungen sollen sich freilich auch auf China selbst auswirken: Binnen zehn Jahren will Peking sein Handelsvolumen mit den Ländern entlang der neuen Seidenstraßen auf 2500 Milliarden pro Jahr mehr als verdoppeln. Neue Absatzmärkte werden sich ebenso auftun wie regionale Einflusssphären. "Ob durch Handel oder gelegentliche militärische Muskelspiele", schreibt der britische economist, "Chinas Ziel ist es, seinen regionalen Führungsanspruch zu untermauern".

Einen offiziellen Startschuss für Chinas "neue Seidenstraßen" gibt es nicht. Ebenso wenig wie einen Fünf-Jahres-Plan. Verhandelt wird mit jedem einzelnen Land separat. Irgendwann sollen sich die unzähligen Infrastrukturmaßnahmen, die Freihandelszonen und Wirtschaftskorridore zu einem erfolgreichen Gesamtkonzept zusammenfügen.

Die für China nicht unbedeutenden Nebeneffekte: Eine massiv ausgebaute Energieversorgung durch seine zentralasiatischen Nachbarn. Das hätte den Vorteil, dass Chinas Abhängigkeit vom Nachbarn Russland reduziert wird.

Zum anderen hofft man in Peking mittels "neue Seidenstraßen" auf den Erfolg des Modells: Stabilität durch Entwicklung. Wenn die Wirtschaft der teils unruhigen Nachbarländer nur eng genug mit jener Chinas verzahnt ist, so das Kalkül in Peking, lassen sich die Staaten auf gefährliche Eskapaden gleich gar nicht ein.

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