Chinas Aufschwung und die Kunst der Überwachung
In China entsteht derzeit der digitale Überwachungsstaat: Hunderte Millionen Chinesen nützen hochmoderne Internetangebote, die – wie die Überwachungskameras im öffentlichen Raum – ungeahnte Datenmengen sammeln. Wer sich dann im Chat oder auf der Straße danebenbenimmt, dem sollen künftig soziale Punkte abgezogen werden, worauf er es schwieriger haben wird, eine Wohnung zu mieten oder einen Schulplatz zu finden. Brave Bürger hingegen werden belohnt.
Auch für die Kunst ist dieses System eine Herausforderung, wie Christoph Thun-Hohenstein, Direktor des MAK in Wien, im KURIER-Gespräch schildert.
KURIER: Immer, wenn man es mit China zu tun hat, ist der erste Eindruck: Dort ist alles viel, viel größer, vor allem im Digitalen.
Christoph Thun-Hohenstein: Die größten Plattformen wie WeChat haben fast eine Milliarde Nutzer – die ständig eine unglaubliche Menge an Daten produzieren. Im Shopping-Bereich sind sie uns locker fünf Jahre voraus. Alle Waren werden viel mehr verglichen, bewertet. Und das fließt alles wieder zurück an die Plattformen. Man kann teilweise gar nicht mehr bar zahlen – und auch nicht mit Kreditkarte, sondern nur noch mit App.
Verstehen die Europäer schon, dass man es dort nicht mehr mit einem rückständigen Land zu tun hat, sondern dass man sich anschnallen muss, um mitzuhalten?
Es wird vieles negativ gesehen.
Zu recht!
In China selbst aber nicht. Das „Social Score“-System, in dem jeder vom Staat für sein Verhalten bewertet werden soll, wird jetzt in 30 chinesischen Städten ausgerollt – große, aber weniger bekannte Städte. Menschen, die bei Rot über die Straße gehen, werden nicht nur erfasst – sondern deren Konterfei wird sofort auf eine öffentliche Pranger-Tafel geworfen. Ich habe mich anlässlich der Ausstellung „Chinese Whispers“ (bis 26. Mai im MAK, Anm.) mit jungen Künstlern unterhalten. Die sagen, das ist im Bewusstsein der Bevölkerung überhaupt nicht verankert. Aber die, die davon wissen, sagen: Das ist gar nicht schlecht.
Warum?
Weil es das Verhältnis von Bürger und Staat objektiviert. Wenn ich mich gut benehme, habe ich Chancen, ins Ausland zu reisen, für mein Kind einen guten Schulplatz zu bekommen. Es ist nicht mehr der Willkür Tür und Tor geöffnet.
Aber was heißt das für die Kunst? Der „Social Score“ vom Ai Weiwei wäre wohl nicht sehr hoch.
Wenn er einen hätte, wäre der wahrscheinlich im Keller! Für die Kunst ist alles eine Gratwanderung. Man kann es überspannen – oder bewegt sich so geschickt, dass man gerade nicht die gewisse Schwelle übertritt. Dann hat man gewisse Freiheiten. Einiges aber ist völlig undenkbar: Sich Themen wie öffentliche Überwachung oder Gesichtserkennung in der Kunst vorzunehmen, führt zu Schwierigkeiten. Es gibt da vorauseilenden Gehorsam: Künstler sagen, weiter gehe ich nicht, da es kontraproduktiv für meine Sache ist.
Trotzdem versuchte China zuletzt, vom reinen Produktions- zum auch wissenschaftlich innovativen Land zu werden. Braucht es dazu nicht kreative Freiheiten? Oder geht das ohne?
Kreativität ist dort ein Megathema. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die chinesische Regierung auf die Kreativität in der bildenden Kunst setzt, wie es die Amerikaner in den 1950er Jahren gemacht haben. Es spielen andere Kreativitätsformen eine größere Rolle. Man sollte bald eine Designausstellung machen, dort ist sehr viel im Fluss. Und in die Forschung fließen natürlich unendliche Geldmittel.
Bei der künstlichen Intelligenz sind die Chinesen weltweit führend.
Man hat überhaupt keine Ahnung, was dort passiert und wie weit sie schon sind.
Und was sie damit tun werden.
Da stellen sich natürlich wichtige Wertefragen. Die sind unterschiedlicher, als uns lieb sein kann. Aber nicht alles daran ist negativ. In China wird das Alter als schön verehrt. Wir haben ein Gemälde von Shao Fan in der Ausstellung, auf dem eine ganz alte, runzelige Person sitzt – das wird als schön angesehen. Das ist ein wichtiger Wert, wir verehren ja nur die Jugend. Die Frage ist, ob dieser Wert angesichts des derzeitigen Umbruchs halten wird, vor allem in den Städten.
Auch hier in Europa finden wieder immer mehr Leute, dass der Staat ruhig ein bisserl strenger sein dürfte. Schwappen solche strengen Werte hierher über, ist China hier schon Messlatte geworden?
Ja, aber eine gefährliche Messlatte. Ich bin fasziniert von den Entwicklungen, und es passiert unglaublich viel Positives. Aber man muss sich immer vor Augen halten: Das Individuum zählt dort nicht, sondern der Kollektivismus. Obwohl manche dort wahnsinnig viel Geld haben. Irgendwie verträgt das das System. Aber das Regime wird wieder strenger, die Zensur wird wieder strenger. Es ist sehr schwer durchschaubar, welche Werte exportiert werden. Und ob es dort zu einer erneuten Revolution kommen kann. China wendet für die Überwachung und Kontrolle der eigenen Bürger mehr Geld auf als für das Militär. Die Gesellschaft beruht auf großem Misstrauen – und entwickelt daraus die genialsten Technologien.
Ein Misstrauen, das aber auch exportiert wird: China lässt international immer mehr die Muskeln spielen. Fluglinien werden abgestraft, wenn sie die abtrünnige Insel Taiwan nicht China zuordnen. Mögen die chinesischen Machthaber, dass ein Museum kritische chinesische Kunst zeigt?
Ja, es gibt in „Chinese Whispers“ kritische künstlerische Positionen. Die Sponsorensuche war schwierig. Viele europäische Firmen, die in China wirtschaftliche Interessen haben, wollen sich da nicht engagieren. Die chinesischen natürlich auch nicht. Wir haben die Ausstellung dann rein aus dem eigenen Budget finanziert.
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