Warum China und die USA um ein Weltkriegswrack kämpfen könnten

Sie kamen im Morgengrauen: Zwei große, weiße Schiffe unter chinesischer Flagge. Schnell holten sie das philippinische Versorgungsboot ein, hinderten es daran, weiterzufahren. Dann betätigten sie die Wasserwerfer. Ein philippinisches Kamerateam fing ein, wie zwei Wasserstrahlen unter Hochdruck auf die Fenster der Schiffsbrücke trafen, bis das Glas brach. Die Crew drehte um, rammte dabei ein chinesisches Schiff – und meldete später in Manila vier Verletzte.
Der Vorfall Anfang März war der bisherige Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen China und den Philippinen im Indopazifik. Ein Konflikt, der seit Jahrzehnten schwelt, aber seit einem Jahr zunehmend schärfer wird. Inzwischen kommt es fast wöchentlich zu Konfrontationen auf hoher See.
Die Philippinen beanspruchen, wie auch die Nachbarstaaten Indonesien, Brunei, Malaysien oder Vietnam, Teile des südchinesischen Meeres als ihr Territorium, doch der Großteil der Spratly-Inseln ist inzwischen in chinesischer Hand und damit fast das ganze Gebiet.

Karte der Gebietsansprüche im südchinesischen Meer.
Das südchinesische Meer wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den Vereinten Nationen zwischen den umgebenden Staaten Vietnam, Malaysien, Indonesien, Brunei und den Philippinen aufgeteilt.
Chinas Ansprüche
Die Volksrepublik war damals nicht Teil der UNO, erkennt die Aufteilung also nicht an. Weil die hunderten Spratly-Inseln in der Region einst Teil des chinesischen Kaiserreichs waren, erhebt Peking Ansprüche auf fast das gesamte südchinesische Meer. Die Philippinen klagten vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag - und bekamen 2016 Recht. Doch China erkannte das Urteil nicht an.
Künstliche Inseln
Seit Jahren schüttet China neue, künstliche Inseln auf und patrouilliert das Gebiet mit seiner Marine, drängt Schiffe anderer Staaten ab. So kontrolliert Peking das südchinesische Meer inzwischen faktisch alleine.
Die Philippinen ließen ein Weltkriegsschiff stranden, um Anspruch auf ein Atoll zu erheben
Der heißeste Krisenherd in diesem Konflikt liegt rund zweihundert Kilometer vor der philippinischen Küste leicht schräg im türkisblauen Wasser und rostet seit 25 Jahren vor sich hin: Die Sierra Madre, einst ein US-amerikanisches Landungsschiff im Zweiten Weltkrieg.
1976 übergaben die USA das Schiff an die Philippinen, die es 1999 auf eine letzte, traurige Mission schickten: Sie ließen den Kahn absichtlich auf dem Second-Thomas-Atoll stranden – einem winzigen Riff, das nur bei Ebbe teilweise aus dem Wasser ragt. Dort liegt das Wrack bis heute, wird aber weiterhin von der philippinischen Marine bemannt, die damit Anspruch auf das Atoll und die umliegenden Gewässer stellt.

Hier liegt die Sierra Madre im Second-Thomas-Atoll im südchinesischen Meer seit 25 Jahren auf einer Sandbank.
Auch wenn sie nach 25 Jahren ohne Reparatur bald auseinanderfällt, handelt es sich bei der Sierra Madre offiziell um ein Kriegsschiff. Die chinesische Marine kann also nicht direkt dagegen vorgehen, ohne einen Krieg zu provozieren. Doch die Besatzung der Sierra Madre ist auf wöchentliche Lieferungen von Lebensmitteln und Ausrüstung angewiesen – und diese Versorgungsfahrten nimmt China nun gezielt ins Visier, damit die Philippinen das Atoll aufgeben.
Riesensorge in den USA, die ein Verteidigungsabkommen mit den Philippinen geschlossen haben
Inzwischen schalten sich auch die USA aktiv in den Konflikt ein. Nach den heftigen Zusammenstößen im März meldete sich Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, zu Wort und erinnerte Chinas Regierung in aller Öffentlichkeit daran, dass seit 1951 ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen zwischen den USA und den Philippinen gilt.

Zwei Schiffe der chinesischen Küstenwache umringen ein philippinisches Versorgungsschiff auf dem Weg zur Sierra Madre.
Wie mehrere US-Medien unter Berufung auf Quellen aus dem Pentagon berichten, ist die Sorge in Washington groß, dass man durch einen schwerwiegenden Vorfall dazu gezwungen sein könnte, militärisch einzuschreiten. Bei keinem anderen Konflikt sei die Gefahr für eine direkte militärische Auseinandersetzung zwischen China und den USA aktuell größer, heißt es.
Biden warnt Xi am Telefon - und trifft sich mit dem philippinischen Präsidenten
Auch deshalb empfängt US-Präsident Biden noch in dieser Woche den philippinischen Präsidenten Fernandos Marcos Junior sowie Japans Premierminister Fumio Kishida. Dabei sollen mögliche gemeinsame Versorgungsfahrten zur Sierra Madre auf der Agenda stehen. Wie die Financial Times berichtet, will Biden erstmals öffentlich warnende Worte an China richten.

Die Präsidenten der Philippinen und der USA: Fernando Marcos Jr. und Joe Biden.
Schon am Freitag habe der US-Präsident bei einem rund zweistündigen Telefonat mit Chinas Machthaber Xi Jinping versichert, dass die USA nicht an einem Konflikt mit China interessiert seien, aber bei einem Ernstfall auf der Sierra Madre – etwa dem Hungertod eines Soldaten wegen ausbleibender Lebensmittel-Lieferungen – für nichts garantieren könnten.
Xi habe dagegen erklärt, die Philippinen seien „die Wurzel allen Übels“, da sie in chinesisch-kontrolliertem Gebiet einen permanenten Außenposten errichteten.
Am Sonntag setzten beide Seiten ernstere Zeichen – und deuteten damit an, was auf dem Spiel steht: Die USA, Australien, Japan und die Philippinen absolvierten inmitten der von China beanspruchten Gewässer gemeinsame Marine-Übungen. China reagierte, indem es seine Patrouillen deutlich verstärkte.
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