Chile: Migration und Kriminalität als aktuelle Herausforderungen des linken Präsidenten

Gabriel Boric, seit März 2022 chilenischer Regierungschef
Seit März 2022 ist Gabriel Boric am Ruder. Der frühere Hoffnungsträger kämpft mit Problemen und schlechten Umfragewerten.

Als er zum Präsidenten Chiles gewählt wurde, waren die Hoffnungen groß. Denn Gabriel Boric war jung (damals gerade einmal 35 Jahre alt), und er versprach radikale Veränderungen: Nach den Sozialunruhen von 2019 stellte er mehr soziale Gerechtigkeit in Aussicht und eine neue Verfassung, zumal die alte noch aus der Zeit der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet aus dem Jahr 1980 stammt. Knapp zwei Jahre später gibt es für ihn wie für viele Chilenen ein böses Erwachen.

61 Prozent stimmten dagegen

Bei der Abstimmung über das neue Grundgesetz, das den Frauen mehr Gleichberechtigung, der Umwelt mehr Schutz und den Indigenen mehr Selbstverwaltung gebracht hätte, votierten im vorigen September 61 Prozent dagegen. Beobachter waren sich einig, dass die Bevölkerung nicht bereit sei für einen Totalumbau des Staates.

Und so verhinderte auch die rechte Mehrheit im Parlament die geplante Steuerreform des Präsidenten, mit der er durch Zusatzeinnahmen von umgerechnet rund zehn Milliarden Dollar die Grundrente erhöhen und das Gesundheits- sowie Bildungssystem effizienter aufstellen hätte wollen.

Fokus auf typisch rechte Themen

Statt den Staat auf eine sozialere und demokratischere Basis heben zu können, muss der frühere linke Studentenführer – ob er will oder nicht – den Fokus auf typisch rechte Themen legen: An der Nordgrenze zu Bolivien kommen täglich bis zu 500 Migranten illegal  ins Land. Diese werden von der Bevölkerung für die spürbar gestiegene Kriminalität verantwortlich gemacht.

Die Folgen: Der Staatschef verfügte eine Militarisierung der Region und erhöhte das Budget der Polizei, die wegen ihres harten Auftretens bei den Unruhen 2019 so viel Hass auf sich gezogen hatte und die Boric von Grund auf reformieren wollte. „Er macht genau das, was er an der Vorgänger-Regierung  kritisiert hatte“, analysiert der chilenische Politanalyst Guillermo Holzmann.

Andere nennen das Pragmatismus, mit der der heute 37-Jährige auf die veränderte Situation (auch die Teuerungswelle kam dazu) reagiert. So musste er nach handwerklichen Fehlern, die Beobachter konstatierten, Teile seiner links-grünen Regierungsmannschaft austauschen und auch wieder „gestandene“, sprich: erfahrene, Politiker nominieren. Seine Umfragewerte verharren dennoch im Keller: Nicht einmal ein Drittel der Chilenen urteilt positiv über ihn.

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