Öffnung zur AfD: Riskiert Merz seine Kanzlerschaft?

Öffnung zur AfD: Riskiert Merz seine Kanzlerschaft?
In der Union brodelt es, SPD und Grüne schäumen, doch CDU-Chef Friedrich Merz weicht von seiner Öffnung zur AfD nicht ab. Damit setzt er viel aufs Spiel.

Zusammenfassung

  • Friedrich Merz spaltet mit seiner Öffnung zur AfD auch die CDU.
  • Die Kritik an Merz wächst: Nach Altkanzlerin Angela Merkel hat sich auch Sebastian Kurz zu Wort gemeldet.
  • Die Regierungsbildung wird komplex. Merz verspricht, nicht mit der AfD zu koalieren, SPD und Grüne distanzieren sich von ihm.

Als sich Friedrich Merz am Freitag ans Rednerpult stellt, in die Augen der anderen Abgeordneten sieht, da geht es längst nicht mehr um das eine Gesetz, das er später mit den Stimmen der AfD eigentlich durchbringen wollte. Es geht auch nicht mehr um seinen ersten Tabubruch vom Mittwoch, seine viel gescholtene Öffnung nach rechts. Schon da ist klar: Jetzt geht es um ihn selbst.

Friedrich Merz hatte lang den Ruf als Choleriker, als unbeherrschter Egoist. Er schrie in Sitzungen, war berüchtigt für verbale Ausrutscher, unterstellte etwa pauschal allen Ukrainern Sozialtourismus. In seiner CDU war vor Beginn des Wahlkampfs darum die Angst groß, dass es mit ihm wieder durchgehen könnte, dass er danebenhaut. Und so den Riesenvorsprung auf die anderen verspielen könnte.

Ist das jetzt passiert?

Interner Widerstand

Als Stunden nach seinem Auftritt das Abstimmungsergebnis verlesen wird, bekommt man den Eindruck: Ja, durchaus. Denn das Gesetz zur Begrenzung des Familiennachzugs, das er wieder  mit der AfD durchbringen wollte, ist gescheitert, auch am Widerstand seiner eigenen Partei. 350 Stimmen bekam Merz, 367 hätte er gebraucht, das ist ein deutlicher Unterschied - aus der Unionsfraktion hatten einige an der Abstimmung einfach nicht teilgenommen. 

Auch die ersten Umfragen weisen für die Union eher nach unten als nach oben. Aber freilich, entschieden ist noch lange nichts: Noch wird laut und giftig über die Deutungshoheit darüber gekämpft, ob Merz’ Schritt nötig oder ein „Sündenfall“ war, wie die SPD ihn nannte.

Die Protagonisten dabei werden immer mehr. Am Donnerstag schalt Altkanzlerin Angela Merkel ja ihren ewigen Widersacher für sein „falsches“ Vorgehen, ein bisher ungesehener Vorgang in einem Wahlkampf. Für sie war es wohl Rache und Ehrenrettung zugleich: Merz hat nicht nur einmal betont, dass es Merkels Politik war, die das Land in diese Schieflage gebracht habe. Tags darauf meldete sich dann Sebastian Kurz zu Wort, und das wirkte wie eine Gegenrede zu Merkel, die Kurz immer eher als Gegner sah: Österreichs Ex-Kanzler, selbst immer sehr strikt in Sachen Migration, nannte Merz’ Schritte via Bildzeitung nicht nur „richtig, sondern „absolut notwendig“.

Kein Zocker

Merz ist eigentlich nicht als Spieler bekannt, ein leidenschaftlicher Polit-Zocker wie FDP-Chef Christian Lindner ist er nicht. In der Union erzählen darum viele, dass der CDU-Chef aus Überzeugung gehandelt habe, dass er nach dem Mord an dem zweijährigen Yannick in Aschaffenburg derart fassungslos war, dass alles was danach folgte, für ihn auch wirklich folgen musste. Allein: Auch wenn viele in seiner eigenen Partei emotional nachvollziehen können, was ihren Chef leitet, politisch stehen nicht alle hinter ihm. Selbst aus der CSU, die traditionell ein Stück weiter rechts steht als die CDU, kommen kritische Stimmen, die fragen: Musste das jetzt wirklich sein?

Die Angst in Bayern, formuliert von einigen Bürgermeistern, ist eine „Aufwertung der AfD“. Merz bringe dazu alle Unionspolitiker in die Bredouille, die bisher stolz aufgestanden seien, wenn etwa ein AfD-Parteigänger schnell mal Goebbels zitieren habe wollen.

Mit wem regieren?

Merz beschwört zwar, dass er mit der AfD nie koalieren wolle, im Bundestag versprach er auch, sich als Kanzler einer Minderheitsregierung mit der FDP auch nicht von den Rechtspopulisten dulden lassen wird. Rechnerisch ginge sich dieses Modell derzeit aus, inhaltlich für ihn aber nicht: „Die AfD will uns vernichten“, argumentierte Merz, und einer solchen Partei werde er nie die Hand reichen.

Andere Mehrheiten zu finden, wird für ihn – so er als erster durchs Ziel geht – aber auch höchst kompliziert. Die kommenden Wochen werden SPD und Grüne dafür nutzen, sich größtmöglich von ihm abzugrenzen, ihn als „Kollaborateur“ der Rechtsradikalen abzustempeln. Verhandlungen mit beiden Parteien erschwert das natürlich massiv.

Merz hat mit seiner Entscheidung alles aufs Spiel gesetzt, vielleicht auch seine mögliche Kanzlerschaft. Er kann alles gewinnen. Aber er kann auch alles verlieren.

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