„Zwischen den beiden größten politischen Akteuren herrschen klare Widersprüche“, sagt der bulgarische Politikwissenschafter Ivan Nachev zum KURIER.
Massenproteste 2020
Zu diesen Akteuren zählt die prowestliche und wirtschaftsliberale Partei GERB, die das Land mit kurzen Unterbrechungen ab 2009 regierte. Wegen Korruptionsvorwürfen begannen 2020 Massendemos gegen Parteichef und Ex-Premier Bojko Borissow, die im Jahr darauf zu seiner Abwahl und einer anhaltenden politischen Isolation führten.
Der zweite große Akteur ist die Partei PP, die in einem Wahlbündnis mit den Konservativen antritt und deren Kurs vor allem eins ist: Anti-GERB. „Stimmenkäufe, der Missbrauch europäischer Gelder, Druck auf Lokalregierungen“, nennt Experte Nachev neben der Korruption nur ein paar der größeren Kritikpunkte der PP an GERB. Umfragen sehen beide Parteien bei 25 Prozent, ein Sieger ist noch nicht vorauszusehen.
Von Russland abhängig
Dementsprechend war der Wahlkampf von gegenseitigen Anschuldigungen geprägt, doch auch der Krieg in der Ukraine war Hauptthema. Denn die traditionell freundliche Beziehung zwischen Bulgarien und Russland geht weit zurück – bis ins 19. Jahrhundert, als die Russen die Bulgaren aus der türkischen Unterdrückung befreiten. Als Ostblock-Staat baute Bulgarien sich später ein Image als besonders treuer Unterstützer der Sowjetunion auf.
Das wirkt noch immer nach, auch heute dominiert in Bulgarien eine Pro-Russland-Stimmung – mit ungünstigen Folgen: „Fast alle Regierungen haben in den letzten Jahren offen oder heimlich russische Interessen im Land unterstützt. Das hat dazu geführt, dass Bulgarien extrem von russischen Energiequellen abhängt“, sagt Nachev. So gilt auch Staatspräsident Rumen Radew, der durch die politische Dauerkrise unverhältnismäßig viel Macht bekam, als Freund Moskaus. Den Beliebtheitswerten des Sozialdemokraten hat das zuletzt jedoch geschadet.
Dass Bulgarien nach innen hin eher pro-russisch und nach außen hin pro-westlich agiert, zeigte eine skurrile Geschichte der Welt zu Jahresbeginn. Bulgarien war zu diesem Zeitpunkt dafür bekannt, als einziges NATO-Land neben Ungarn keine Waffen an die Ukraine zu liefern. In Wahrheit hatte die Regierung unter dem damaligen PP-Ministerpräsidenten Kiril Pektow Kiew jedoch längst in entscheidenden Kriegsmonaten massiv mit Munition unterstützt.
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