Die Asse im EU-Postenpoker

Top-Jobs in Brüssel: Wer Barroso, Ashton & Co. im Herbst nachfolgen könnte.

Eine Woche nach der EU-Wahl ist in Brüssel und in den Hauptstädten der 28 Mitgliedsstaaten das Ringen um die Top-Jobs auf europäischer Ebene in vollem Gange. Neben dem Posten des Kommissionschefs müssen auch Nachfolger für Ratspräsident Herman Van Rompuy, Außenbeauftragte Catherine Ashton und Parlamentspräsident Martin Schulz gefunden werden. Eventuell kommt dazu auch noch ein hauptamtlicher "Euro-Finanzminister", der den niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem als Vorsitzenden der Eurogruppe ablöst.

Die zentrale Frage ist die Bestellung des Kommissionspräsidenten: Es ist die mächtigste Position, die vergeben wird – und, weil das Parlament darüber abstimmt, die einzige, die direkt mit der Europa-Wahl zusammenhängt.

Die Asse im EU-Postenpoker
epa03425773 Luxembourg's Prime Minister and Eurogroup President Jean Claude Juncker arrives prior to the Luxembourg EU Eurogroup Finance Ministers Meeting at the EU Headquarters in Luxembourg, 08 October 2012. EPA/NICOLAS BOUVY
In der Poleposition istJean-Claude Juncker, den die Europäische Volkspartei als Spitzenkandidaten nominiert hat. Die großen Fraktionen im EU-Parlament haben sich für eine Nominierung Junckers ausgesprochen, am Freitag kam die Unterstützungserklärung vonAngela Merkel.

Lange Wunschliste

Ratspräsident Van Rompuy sucht derweil auch seinen eigenen Nachfolger. Ein Kandidat istEnrico Letta, bis Februar Ministerpräsident Italiens. Würde Christdemokrat Juncker die Kommission führen, wäre ein Sozialdemokrat wie Letta ein gutes Gegenstück. Noch bessere Chancen hat seine dänische ParteifreundinHelle Thorning-Schmidt. Mit ihr wäre eine Frau an der formal höchsten Position, als Ministerpräsidentin eines Nicht-Euro-Landes wäre sie in diesem Punkt das Gegengewicht zu "Mr. Euro" Juncker. Ihre Berufung soll Juncker-Skeptiker wie Schwedens PremierFredrik ReinfeldtundDavid Cameronumstimmen.
Ein weiteres Kriterium ist der Ausgleich Ost und West: Zehn Jahre nach der großen EU-Erweiterung 2004 sind viele dafür, dass die "neuen Mitglieder" einen Spitzenposten erhalten. Polen hat daher – wie Italien und Großbritannien – Anspruch auf das Amt des Außenbeauftragten angemeldet: Der amtierende AußenministerRadoslaw Sikorskisoll nach Brüssel wechseln. Sikorski gilt als Profi, seine harte Linie gegen Russland könnte aber ein Grund sein, ihn jetzt nicht zum "EU-Außenminister" zu machen.

Für diesen Job ist auch Martin Schulz im Gespräch. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten entweder mit einem gewichtigen Ressort Junckers Stellvertreter in der Kommission wird. Oder Schulz, seit 2012 im Amt, bleibt für eine weitere Periode Parlamentspräsident.

Die Asse im EU-Postenpoker
epa01550850 European Comissioner For Regional Policies, Danuta Hubner, during her visit to Albufeira, Algarve, Portugal, 14 november 2008. EPA/MELANIE MAPS Melanie Map's
Üblicherweise wechseln sich bei diesem Posten Sozial- und Christdemokraten alle zweieinhalb Jahre ab. Geht Schulz, wird es also wohl jemand aus der Europäischen Volkspartei – Favoritin ist die PolinDanuta Hübner, Vorgängerin von RegionalkommissarJohannes Hahn.

Für den "Euro-Finanzminister" kommen mehrere Kandidaten in Frage: Frankreich könnte Pierre Moscovici, bis April Finanzminister, ins Spiel bringen. Der finnische Währungskommissar Olli Rehn wäre eine logische Wahl – allerdings dürfte ihm im Weg stehen, dass zwei Landsmänner nach Brüssel streben: Regierungschef Jyrki Katainen ist für einen Top-Job im Gespräch, seit er seinen Rückzug als Premier angekündigt hat. Europaminister Alexander Stubb wurde gerade mit mehr als 50.000 Vorzugsstimmen ins EU-Parlament gewählt: Er könnte mehr als "nur" Abgeordneter werden – oder Katainens Nachfolger.

Große Länder, die beim Spitzenquartett nicht zum Zug kommen, können mit anderen Top-Jobs – u. a. bei der EZB, wo Mario Draghis Vertrag 2018 ausläuft – oder mit gewichtigen Kommissarsämtern bedient werden: Großbritannien etwa könnte den Handelskommissar stellen.

Die kleinen Staaten kommen am ehesten dort an die Reihe, wo ein Kompromisskandidat gesucht wird – so wie 2004 Jose Manuel Barroso.

Wie bei den letzten Postenpokern ist auch diesmal mit Überraschungen in letzter Minute zu rechnen – wenn bestimmte Punkte der Checkliste nicht erfüllt sind. 2009 fehlte am Ende ein(e) Außenbeauftragte(r). Außerdem brauchte der Mix noch: Frauen, Sozialdemokraten, Briten. Diese enge Auswahl verschaffte der weitgehend unbekannten Lady Ashton einen Top-Job.

Wer folgt Barroso als Kommissionschef? Der Präsident der EU-Kommission leitet die Brüsseler Behörde und koordiniert die 28 Kommissare (einer aus jedem Land). Nominiert wird er von den Staats- und Regierungschefs, gewählt vom EU-Parlament. Nachfolger von Jose Manuel Barroso, der zehn Jahre im Amt ist, könnte Luxemburgs Ex-Premier Juncker werden.

Wer folgt Van Rompuy als Ratspräsident? Der Ratspräsident leitet die Gipfel-Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs (hat aber kein Stimmrecht) und vertritt das Gremium nach außen – bei Verhandlungen in und außerhalb der EU oder wenn hochrangige Gäste wie US-Präsident Obama nach Brüssel kommen. Nominiert und gewählt wird der Ratspräsident von den Staatenlenkern. Die Amtszeit beträgt zweieinhalb Jahre, Ende 2009 wurde der damals amtierende belgische Ministerpräsident Herman Van Rompuy zum ersten Ratspräsident bestimmt, 2012 wurde er wiedergewählt. Van Rompuy hat zuletzt auch die Krisen-Gipfel der Eurozone geleitet, etwa jenen zu Zypern. Würde die Dänin Helle Thorning-Schmidt seine Nachfolgerin, müsste jemand anders die Euro-Gipfel leiten – wenn es welche gibt. Beim zweiten Favoriten auf diese Position, Italiens Ex-Premier Enrico Letta, wäre das kein Problem.

Wer folgt Ashton als Außenbeauftragte? Eine einzige Telefonnummer, unter der Europa erreichbar ist – das wünschte sich schon vor Jahrzehnten US-Außenminister Henry Kissinger. Seit 2009 gibt es die "Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik". Catherine Ashtons Nachfolger wird vom Rat gewählt und ist Vizepräsident der Kommission. Polen hat Außenminister Sikorski nominiert.

Wer folgt Schulz als Parlamentspräsident? Der Präsident des EU-Parlaments wird von den Abgeordneten für eine "halbe" Periode, sprich: zweieinhalb Jahre, gewählt. Üblicherweise wechseln sich Sozial- und Christdemokraten ab. Martin Schulz könnte das durchbrechen und wiedergewählt werden. Erhält er einen anderen Job, könnte ihm die polnische Ex-Kommissarin Danuta Hübner nachfolgen.

"Es ist für die Demokratie verheerend, wenn wir vor der Wahl sagen, der siegreiche Spitzenkandidat soll Kommissionspräsident werden, und nach der Wahl davon nichts mehr wissen wollen." Bundeskanzler Werner Faymann im aktuellen Spiegel

"Damit verspielen wir Glaubwürdigkeit und stärken die Europafeinde." Faymann über die Strategie von Amtskollegin Angela Merkel

"Wenn die Skeptiker nicht zu überzeugen sind, müssen wir Juncker mit qualifizierter Mehrheit durchsetzen." Faymann zum EU-Gipfel im Juni

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