Die Asse im EU-Postenpoker
Eine Woche nach der EU-Wahl ist in Brüssel und in den Hauptstädten der 28 Mitgliedsstaaten das Ringen um die Top-Jobs auf europäischer Ebene in vollem Gange. Neben dem Posten des Kommissionschefs müssen auch Nachfolger für Ratspräsident Herman Van Rompuy, Außenbeauftragte Catherine Ashton und Parlamentspräsident Martin Schulz gefunden werden. Eventuell kommt dazu auch noch ein hauptamtlicher "Euro-Finanzminister", der den niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem als Vorsitzenden der Eurogruppe ablöst.
Die zentrale Frage ist die Bestellung des Kommissionspräsidenten: Es ist die mächtigste Position, die vergeben wird – und, weil das Parlament darüber abstimmt, die einzige, die direkt mit der Europa-Wahl zusammenhängt.
Lange Wunschliste
Für diesen Job ist auch Martin Schulz im Gespräch. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten entweder mit einem gewichtigen Ressort Junckers Stellvertreter in der Kommission wird. Oder Schulz, seit 2012 im Amt, bleibt für eine weitere Periode Parlamentspräsident.
Für den "Euro-Finanzminister" kommen mehrere Kandidaten in Frage: Frankreich könnte Pierre Moscovici, bis April Finanzminister, ins Spiel bringen. Der finnische Währungskommissar Olli Rehn wäre eine logische Wahl – allerdings dürfte ihm im Weg stehen, dass zwei Landsmänner nach Brüssel streben: Regierungschef Jyrki Katainen ist für einen Top-Job im Gespräch, seit er seinen Rückzug als Premier angekündigt hat. Europaminister Alexander Stubb wurde gerade mit mehr als 50.000 Vorzugsstimmen ins EU-Parlament gewählt: Er könnte mehr als "nur" Abgeordneter werden – oder Katainens Nachfolger.
Große Länder, die beim Spitzenquartett nicht zum Zug kommen, können mit anderen Top-Jobs – u. a. bei der EZB, wo Mario Draghis Vertrag 2018 ausläuft – oder mit gewichtigen Kommissarsämtern bedient werden: Großbritannien etwa könnte den Handelskommissar stellen.
Die kleinen Staaten kommen am ehesten dort an die Reihe, wo ein Kompromisskandidat gesucht wird – so wie 2004 Jose Manuel Barroso.
Wie bei den letzten Postenpokern ist auch diesmal mit Überraschungen in letzter Minute zu rechnen – wenn bestimmte Punkte der Checkliste nicht erfüllt sind. 2009 fehlte am Ende ein(e) Außenbeauftragte(r). Außerdem brauchte der Mix noch: Frauen, Sozialdemokraten, Briten. Diese enge Auswahl verschaffte der weitgehend unbekannten Lady Ashton einen Top-Job.
Wer folgt Barroso als Kommissionschef? Der Präsident der EU-Kommission leitet die Brüsseler Behörde und koordiniert die 28 Kommissare (einer aus jedem Land). Nominiert wird er von den Staats- und Regierungschefs, gewählt vom EU-Parlament. Nachfolger von Jose Manuel Barroso, der zehn Jahre im Amt ist, könnte Luxemburgs Ex-Premier Juncker werden.
Wer folgt Van Rompuy als Ratspräsident? Der Ratspräsident leitet die Gipfel-Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs (hat aber kein Stimmrecht) und vertritt das Gremium nach außen – bei Verhandlungen in und außerhalb der EU oder wenn hochrangige Gäste wie US-Präsident Obama nach Brüssel kommen. Nominiert und gewählt wird der Ratspräsident von den Staatenlenkern. Die Amtszeit beträgt zweieinhalb Jahre, Ende 2009 wurde der damals amtierende belgische Ministerpräsident Herman Van Rompuy zum ersten Ratspräsident bestimmt, 2012 wurde er wiedergewählt. Van Rompuy hat zuletzt auch die Krisen-Gipfel der Eurozone geleitet, etwa jenen zu Zypern. Würde die Dänin Helle Thorning-Schmidt seine Nachfolgerin, müsste jemand anders die Euro-Gipfel leiten – wenn es welche gibt. Beim zweiten Favoriten auf diese Position, Italiens Ex-Premier Enrico Letta, wäre das kein Problem.
Wer folgt Ashton als Außenbeauftragte? Eine einzige Telefonnummer, unter der Europa erreichbar ist – das wünschte sich schon vor Jahrzehnten US-Außenminister Henry Kissinger. Seit 2009 gibt es die "Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik". Catherine Ashtons Nachfolger wird vom Rat gewählt und ist Vizepräsident der Kommission. Polen hat Außenminister Sikorski nominiert.
Wer folgt Schulz als Parlamentspräsident? Der Präsident des EU-Parlaments wird von den Abgeordneten für eine "halbe" Periode, sprich: zweieinhalb Jahre, gewählt. Üblicherweise wechseln sich Sozial- und Christdemokraten ab. Martin Schulz könnte das durchbrechen und wiedergewählt werden. Erhält er einen anderen Job, könnte ihm die polnische Ex-Kommissarin Danuta Hübner nachfolgen.
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