Europa nimmt sich Viktor Orban vor

Massenproteste in Budapest, Empörung im Ausland über die Maßnahmen von Ungarns Premier Orban.
Der konservative Regierungschef bekommt diese Woche verschärften Gegenwind aus Brüssel zu spüren.

"Wir werden unter allen Umständen überleben, die Mittel dazu haben wir, wir werden nicht zusperren. Aber wir wollen in unserer Stadt, in Budapest, bleiben." Michael Ignatieff erntet tosenden Applaus seiner Zuhörer im Europäischen Parlament in Brüssel. Wieder und wieder beteuert der Direktor der von der Schließung bedrohten Central European University (CEU) in Budapest die "ungarische Identität" der Hochschule. 15.000 Studenten haben seit der Gründung der vom ungarisch-stämmigen US-Milliardär George Soros finanzierten Uni ihren Abschluss gemacht. Selbst Premier Viktor Orban hatte einst die Unterstützung der CEU genossen – und steuert die Bildungsstätte heute doch in ihren Untergang.

Europa nimmt sich Viktor Orban vor
President and Rector of the Central European University (CEU) Michael Ignatieff speaks during a press conference in Budapest on March 29, 2017. The English-language CEU set up in Budapest by Hungarian born American businessman Georg Soros in 1991 after the fall of communism, has long been seen as a hostile bastion of liberalism by Prime Minister Viktor Orban's right-wing government. / AFP PHOTO / ATTILA KISBENEDEK
"Am 11. Oktober wird das neue Hochschulgesetz wirksam", schildert CEU-Chef Ignatieff. "Wir arbeiten also quasi mit einer Pistole am Kopf." Es wäre das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, dass in Europa eine Universität geschlossen wird. Der Würgegriff der ungarischen Regierung gegen eine liberale, europäische Bildungsstätte und damit gegen die akademische Freiheit im Allgemeinen hat in ganz Europa heftige Empörung ausgelöst.

Den Bogen überspannt

Die jüngsten Maßnahmen Ungarns steigern aber auch den Druck auf Brüssel, der nationalkonservativen Fidesz-Regierung auf ihrem Kurs in die von Premier Orban vielgepriesene "illiberale Demokratie" Einhalt zu gebieten. "In den vergangenen Wochen hat die ungarische Regierung drei Entscheidungen getroffen, die zusammen genommen zu viel waren für die europäischen Institutionen: Das Hochschulgesetz, das Gesetz gegen die NGOs und die Anti-Brüssel-Briefbefragung. Alles zusammen brachte das Fass zum Überlaufen", schildert Benedekt Javor dem KURIER. Der junge, ungarische EU-Abgeordnete (oppositionelle Együtt) vermutet, dass Viktor Orban die internationalen Reaktionen schlicht unterschätzt hatte. "In diesem Fall könnte er jetzt wieder einen Schritt zurückmachen, wie er es schon öfter getan hat. Dieses Spiel treibt Orban schon seit sieben Jahren", sagt Javor.

Rauswurf-Drohung

Doch dieses Mal könnte der ungarische Regierungschef den Bogen gegenüber der EU überspannt haben. Sogar aus der Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) ist erstmals ernsthaftes Drohen zu hören, Fidesz auszuschließen. "Es gibt keine EVP-Mitgliedschaft um jeden Preis", warnte diese Woche der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, in einem Spiegel-Interview. "Auch für Viktor Orban gibt es rote Linien." Kommenden Samstag, wenn die EVP-Spitze in Brüssel zu Beratungen zusammenkommt, wird ein Rauswurf des Fidesz erstmals ernsthaft ein Thema sein.

Doch längst nicht alle Europäischen Konservativen ziehen an einem Strang. Orban gebe ja letztlich doch immer wieder nach, ist etwa von der deutschen EVP-Abgeordneten Sabine Verheyen zu hören. Sie gibt zu bedenken: "Was kommt nach dem Ausschluss? Dann haben wir gar keine Möglichkeit mehr, auf Orban einzuwirken."

In der Plenardiskussion im EU-Parlament in Brüssel wird sich Viktor Orban heute auf heftige Kritik einstellen müssen. "Das allein wird nicht viel ändern", glaubt der Ungar Benedekt Javor, "aber der Druck wird an die EVP und an die EU-Kommission weitergegeben, und die haben die Möglichkeiten zu wirksamen Maßnahmen." Derzeit prüft die Kommission, ob das neue ungarische Hochschulgesetz mit EU-Recht vereinbar ist. Ein Vertragsverletzungsverfahren steht im Raum.

Auch Milliardär George Soros hat sich in Brüssel angesagt. Er wird am Donnerstag mit Kommissions-Präsident Juncker zusammentreffen. Übel aufgestoßen ist in Brüssel zuletzt auch die Weigerung Ungarns, bei der EU-Staatsanwaltschaft mitzumachen. Dieses Amt soll Vergehen untersuchen, die sich gegen die finanziellen Interessen der EU richten. "Hier in Brüssel sieht man das mit Ärger, zumal Ungarn von der EU sehr viel Geld bekommt", sagt Javor.

2010: Ungarns restriktives Mediengesetz tritt in Kraft; eine Aufsichtsbehörde wird installiert.

2011: Fremdwährungskredite in Schweizer Franken waren in Ungarn beliebt. Die Regierung zwingt auch österr. Banken, diese in Forint umzuwandeln: Wechselkursverluste.

2014: Versuch Einfluss auf die Zentralbank auszuweiten; Die Stellvertreter des ZB-Präsidenten will Orbán bestimmen. Nach Kritik von EU und IWF sind die Pläne vom Tisch. Dafür kommt ein Bodengesetz, das EU-Bürger vom Kauf ungar. Ackerlandes ausschließt. 1994 war ein ähnliches Gesetz in Kraft.

2015: Ungarn verschärft sein Asylrecht, schließt wegen des Flüchtlingsstroms seine grünen Grenzen und baut einen Zaun.

2017: Ungarn lässt zwei AKW von Russland finanzieren und bauen; Asylbewerber werden in Transitzonen an der serb.-ungar. Grenze interniert – bis über ihr Asylverfahren entschieden wird.

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