Brief aus Athen: Ernstes Angebot oder Finte?

Am Donnerstag soll ein Brief beim Eurogruppen-Chef einlangen.
Die Regierung dürfte einen Antrag auf Verlängerung des Hilfsprogrammes stellen. Ob sie sich auch an die Auflagen halten will, ist offen.

Es kommt Bewegung in die Verhandlungen zwischen Griechenland und der Eurozone – auch wenn es bis zu einer Lösung noch immer ein weiter Weg sein dürfte. Die griechische Regierung will offenbar eine Verlängerung der laufenden Kredite der Euro-Partner beantragen – Angaben aus Regierungskreisen zufolge soll ein Brief am Donnerstag bei Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem einlangen.

Auch wenn die Details noch unbekannt sind, dürfte das nicht ganz dem entsprechen, was die Euro-Staaten gefordert haben: Sie legten Premierminister Alexis Tsipras und Finanzminister Yanis Varoufakis nahe, das Hilfsprogramm, das Ende Februar ausläuft, um mehrere Monate zu verlängern. Und zwar in vollem Umfang: Griechenland soll die ausständigen 7,2 Milliarden erhalten – und im Gegenzug die von der Vorgänger-Administration gegebenen Reform- und Sparversprechen halten.

Überbrückungskredit

Genau diesen Reformkurs will die neue Regierung jedoch nicht weitergehen. Sie hat stattdessen "Überbrückungskredite" vorgeschlagen, die Griechenland über die nächsten Monate bringen sollen, bis man ein neues, langfristiges Hilfsprogramm zu neuen Konditionen ausverhandelt hat.

Und so dürfte dem Vernehmen nach auch der Verlängerungsantrag aussehen: Athen dürfte die Hilfsgelder haben wollen – und ein Weiterführen des "alten" Reformprogrammes ablehnen.

Obwohl die Euro-Staaten auf dem Prinzip beharren, dass es Geld wie gehabt nur gegen Reformzusagen geben kann, gibt es hier doch Spielraum für einen Kompromiss.

Kompromiss gesucht

Es ist gewissermaßen die Frage, ob man sich der Mitte von oben oder von unten annähern will: Die Eurozone hat zuletzt angeregt, zuerst das gesamte Programm zu verlängern – und dann über Änderungen zu reden. Athen scheint nun von der anderen Seite zu kommen: Man wirft zwar sofort alle alten Reformen über Bord – schlägt aber gleichzeitig einen frischen Reformplan vor, um die Kredite weiter zu erhalten.

Es wird von diesen Zusagen der Griechen abhängen, ob der Verlängerungsantrag als ernsthaftes Kompromissangebot oder als neuerliche Provokation aufgenommen werden wird. Varoufakis äußerte sich am Mittwoch optimistisch, dass man sich bis Freitag einigen werde.

Zuletzt wurde unter den Geldgebern Bereitschaft signalisiert, alte Reformen könnten gegen neue getauscht werden – solange das Budget stabil bleibt. In Brüssel und Berlin hieß es am Mittwoch aber auch, eine bloße Verlängerung als Brückenfinanzierung ohne Auflagen sei nicht akzeptabel.

Tsipras und Varoufakis stehen unter Druck: Ohne eine Einigung dürfte Athen bald das Geld ausgehen. Zuletzt häuften sich die Meldungen, wonach einerseits die Steuereinnahmen hinter den Erwartungen zurückbleiben und andererseits viele Menschen ihr Geld aus Angst vor einem Euro-Austritt von den Banken holen.

Tsipras kontaktierte Faymann

Brief aus Athen: Ernstes Angebot oder Finte?
Werner Faymann im Faktencheck
Zwischen Athen, Brüssel und mehreren Hauptstädten wird versucht zu vermitteln. Das Kanzleramt bestätigt dem KURIER, dass Werner Faymann von Tsipras kontaktiert wurde und in den letzten Tagen mehrmals mit Kommissionschef Juncker telefoniert habe, "um auf Basis der geltenden Regeln eine Einigung auf den Weg zu bringen". In Brüssel wird erwartet, dass die Euro-Finanzminister mit Varoufakis in Bälde beraten – in einer Telefonkonferenz oder bei einem Sondertreffen. Wie der KURIER erfuhr, hat der französische Finanzminister Sapin einen für Freitag geplanten Besuch in Wien aufgrund der Griechen-Krise abgesagt.

Wie Griechenlands Finanzminister "tickt", lesen Sie hier.

Er ist Bankanalyst und gehörte der Griechenland-EU-Taskforce an. Der KURIER sprach mit Jens Bastian am Rande einer Griechenland-Diskussion im Karl-Renner-Institut.

KURIER: Athen will den Antrag zur Fortsetzung des Hilfsprogrammes stellen. Ist das ein Zugehen auf die Euro-Partner?
Jens Bastian: Das ist eine konsequente Fortsetzung der griechischen Position. Die Regierung versucht einen Hebel einzusetzen: Gebt uns Zeit, um anschließend ein neues Programm zu verhandeln. Damit legt die Regierung zum ersten Mal die Karten auf den Tisch.

Werden die Euro-Partner dem Antrag zustimmen?
Die deutsche Seite und der Euro-Chef sagen, es gibt nur das Gesamtpaket, Rosinen können nicht herausgepickt werden. Es geht um die Definition, was Programm heißt: eine Finanzierungs- und Reformkomponente oder ein gesamtes Paket. Das müssen die Verhandlungen lösen.

Was ist für Sie der Knackpunkt im Schuldenstreit?
Wichtig ist, ob die griechische Zentralbank weiterhin Notfallkredite den heimischen Banken zur Verfügung stellen kann, die von der EZB genehmigt werden müssen. Dabei ist darauf zu achten, ob es dafür Auflagen gibt. Wird zum Beispiel der existierende Plafond von 65 Mrd. Euro erhöht, ist das ein indirekter Hinweis auf zunehmende Liquiditätsschwierigkeiten griechischer Banken. Damit wäre indirekt anerkannt, dass ein stiller „Bank run“ in Griechenland eingesetzt hat.

Spaltet ein Zugehen auf die Euro-Partner die Syriza-Partei?
Bisher sehe ich es nicht. Syriza tritt sehr geschlossen auf und hat großen Rückhalt in der Bevölkerung. Es wird jetzt stark auf die verbale Abrüstung ankommen und wie ein Kompromiss oder Fahrplan, der noch nicht die Lösung ist, kommuniziert wird. Die Regierung ist gut beraten, das nicht als Sieg gegenüber Schäuble zu kommunizieren.

Ist die Verhandlungstaktik von Tsipras und Varoufakis clever?
Sie ist konfrontativ. Etablierte EU-Taktiken werden nicht sofort anerkannt. Beide nützen geschickt den Zeitfaktor aus. Sie verhandeln hart. Auf Sicht müssen sie erfolgreich sein. Es kommt auf die ersten Gesetzesinitiativen an.

Welche zum Beispiel?
Die Regierung will ausfallsgefährdete Kredite, die Haushalte und Unternehmen haben, auf eine andere rechtliche Basis stellen, es geht um die Rückzahlungserfordernisse. Von der Troika wurde das nicht akzeptiert. Syriza will auch die Tarifvertragsfreiheit für Sozialpartner.

Besteht die Gefahr eines Grexit?
Das strebt keine Seite an. Meine unmittelbare Sorge ist der griechische Finanzsektor. Schafft die Regierung ein Arrangement mit der eigenen Zentralbank und mit der EZB, um die Liquidität des griechischen Staates und die Liquidität griechischer Banken sicherzustellen. Das ist die Hausaufgabe Nummer 1.

Grundsätzlich sind sich Griechenland und die anderen 18 Euro-Staaten einig, dass man in ein paar Monaten ein neues, langfristiges Hilfspaket abschließen sollte. Das aktuelle Programm läuft mit Ende Februar aus – die Frage ist, wie man die Monate dazwischen überbrückt.

Der Vorschlag der Eurozone: Man verlängert einfach das laufende Hilfsprogramm, Griechenland erhält die ausstehenden 7,2 Milliarden Euro und setzt die (von der alten Regierung versprochenen) Reformen und Sparmaßnahmen um. Die neue griechische Regierung lehnt den alten Reformplan jedoch ab – sie will Überbrückungskredite bis zu einem neuen Hilfspaket, ohne die alten Verpflichtungen vollständig einhalten zu müssen.

So kann man jetzt auch die Ankündigung auf eine (Teil-)Verlängerung verstehen: Griechenland will die Hilfsgelder und die damit verbundene Sicherheit haben – aber zu aufgeweichten Konditionen. Wie stark das alte Programm jetzt verändert (= aufgeweicht) werden soll, ist momentan der Knackpunkt in den Verhandlungen. Auch hier gibt es zwei Ansätze: Der Eurozone wäre es am liebsten, man würde zuerst das ganze Programm verlängern – und dann über Änderungen reden. Athen will das Programm über Bord werfen – und neue Konditionen auf den Tisch legen. Es ist quasi die Frage, ob man sich dem Kompromiss von „oben“ oder von „unten“ annähert.

Die große Frage ist jetzt, welche Verpflichtungen die Griechen ihren Partnern im Gegenzug für eine Verlängerung der Kredite anbieten – davon wird abhängen, ob der Brief aus Athen in Berlin und anderswo als Kompromiss-Angebot verstanden wird, oder doch nur als neuerliche Provokation. Denn eines haben die Euro-Staaten mehrmals klargemacht: Man will der neuen griechischen Regierung entgegen kommen, ist auch bereit, von manchen Sparzielen abzurücken – aber nur, wenn man das Gefühl hat, dass sich Tsipras und Varoufakis ernsthaft zum Grundsatz verpflichten, dass es Geld nur gegen Reformen gibt.

Griechenland beantragt Verlängerung der Hilfe. Mehr dazu hier.

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