Brexit-Politologin: "Entscheidung muss bald passieren"

Der Druck auf Premierministerin May erhöht sich
Die Zukunft von May liege im Ungewissen. Melanie Sully spricht von zwei möglichen Szenarien.

Die Unsicherheit in London im Ringen um den Brexit-Vertrag sei derzeit unerträglich. "Ich vermute, dass es schnell gehen wird. Eine Entscheidung muss bald passieren", sagt die britische Politologin Melanie Sully im Gespräch mit der APA am Freitag. Premierministerin Theresa May bleibe bei ihrem Kurs, dieser gehe im Parlament aber nicht durch. "Dann gibt es bis Dezember jeden Tag Chaos."

May will einen neuen Brexit-Minister in den kommenden Tagen festlegen. Derzeit gibt es keinen Kandidaten für dieses Amt. Dieser hätte "keinen Spielraum", weil May keine Nachverhandlungen zulasse, wie Brexit-Befürworter Michael Gove das gewollt hätte. "Wer soll das übernehmen? Vielleicht ein Junior-Minister, der Karriere machen will?", mutmaßt Sully. Ein "hochrangiger Minister" trete kein Amt ohne Spielraum an.

Die Folgen des Misstrauensvotums

Die Zukunft von May liegt ebenfalls im Ungewissen. Sully spricht von zwei möglichen Szenarien. Eine Möglichkeit wäre die "Margaret Thatcher"-Variante, dass May, die "stur bei ihrer Linie bleibt", von höchsten Ministern wie etwa Umweltminister Gove gebeten wird, ihren Posten bzw. "die Downing Street" zu verlassen, weil Sicherheit benötigt wird. Dann gäbe es einen provisorischen Partei- und Regierungschef bis der Brexit-Deal durch ist.

 

Die andere Variante wäre ein Misstrauensvotum. "Das Verfahren wäre wie russisches Roulette", sagt Sully. Die Brexit-Befürworter erwarten dieses Votum einem Bericht des "Telegraph" zufolge bereits für Dienstag. Die dafür nötige Zahl an Anträgen werde am Freitag erreicht, hieß es.

Normalerweise hätten die Abgeordneten am Freitag frei für ihre Wahlkreisarbeit, doch diesen Freitag hätten alle in London bleiben müssen, so Sully. "Irgendetwas könnte passieren, ich kann nur vermuten, dass könnte mit einem Misstrauensvotum zusammenhängen."

Dieses Szenario hat Mehrheit hinter sich

Dafür sind 48 Anträge nötig. Diese 48 Briefe werden geheim abgegeben, werden in einen Safe gelegt und könnten jederzeit wieder zurückgenommen werden. Wenn der Verantwortliche davon ausgeht, die 48 Anträge sind eingegangen, dann würde es zu einem Wettbewerb kommen und May könnte sich dem Votum der Abgeordneten stellen. Experten denken, May würde mit einfacher Mehrheit gewinnen, sagt die Politologin. Wenn es einen Herausforderer gibt, würde zuerst intern in der Parlamentspartei gewählt. Der Kandidat mit den wenigsten Stimmen wird jeweils eliminiert, bis man zwei Kandidaten hat. In einem zweiten Schritt - wo May laut Sully weniger Chancen hätte, weil sie nicht so beliebt sei wie Ex-Außenminister Boris Johnson - werden die Parteimitglieder, die schon mindestens drei Monate Mitglied sind, in einer Briefwahl befragt. Das brauche einen Wahlkampf und könne zwei Monate oder länger dauern. "Die Wochen wären leere Kilometer. Die Partei wäre innerlich noch mehr gespalten", beurteilt Sully. "Das würde die gesamte Region für einige Wochen lahmlegen." Dieses Szenario habe man bis jetzt vermeiden wolle, weil vermutet wird, May habe eine Mehrheit hinter sich.

Wenn May gewinne, könne niemand sie ein Jahr lang, bis November 2019, als Regierungs-und Parteichefin herausfordern. "Das könnte ein Plus für May sein", schätzt die Expertin, sie würde gestärkt hervorgehen. Sollte es eine Parlamentswahl geben und May würde gegen Labour-Chef Jeremy Corbyn antreten, wäre das ein "Dilemma", weil May im Wahlkampf nicht gut kommunizieren könne.

Wenn May von sich aus als Parteichefin zurücktrete, dürfte sie bei der internen Parteiwahl für dieses Mal nicht mehr kandidieren. Deshalb könnte es laut Sully sein, dass May "bis zum Ende" wartet.

(Das Interview führte Viola Bauer/APA)

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