Briten zögern EU-Scheidung hinaus
Am Mittwoch begann in der EU eine neue Ära: 27 und nicht wie bisher 28 Staats- und Regierungschefs saßen um den großen Tisch. Sie sprachen über die Folgen des Brexit und die Zukunft der EU. Noch-Premier David Cameron nahm nicht mehr teil, das britische Delegationsbüro im Ratsgebäude wurde geräumt, die Fahnen eingerollt. "Das ist schon sehr traurig", sagte ein hoher österreichischer Diplomat mit weinerlicher Stimme.
Noch einmal wurde die britische Regierung ermahnt, das Austrittsgesuch sofort nach Nominierung eines neuen Premiers nach Brüssel zu schicken und sich kein Entgegenkommen bei den Binnenmarktregeln (freier Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) zu erwarten.
Maßloser Cameron
Im Vereinigten Königreich bleibt das ungehört. Erneut tönte es gestern aus London, das Austrittsgesuch könnte noch lange Zeit auf sich warten lassen. Außerdem verschreckte Cameron die EU-Granden mit seiner Ankündigung, dass die britische Regierung bereits vor einem formellen Austrittsantrag nach Artikel 50 mit der EU Modalitäten und Sonderwünsche verhandeln will.
"Sie (die EU-Regierungschefs, Anm.) haben 'Keine Verhandlungen ohne Notifizierung' gesagt, aber ich glaube nicht, dass das Gespräche ausschließt, die der neue Premier mit seinen Partnern oder den Institutionen haben kann, damit wir ordentlich rauskommen", sagte Cameron im Unterhaus in Anspielung auf die Zwei-Jahres-Frist für einen EU-Austritt ab Aktivierung von Artikel 50.
Das Gezerre zwischen London, Brüssel und den EU-Hauptstädten geht also über den Sommer munter weiter.
Auch wenn nach außen hin alle einen "Exit vom Brexit" ausschließen – der Wählerwille der Briten müsse akzeptiert werden – wird weiter über Optionen spekuliert, wie das Vereinigte Königreich doch noch in der EU bleiben könnte. Selbst US-Außenminister John Kerry mischte sich ein: "Es besteht auch nach dem Brexit-Votum die Chance, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Es gibt mehrere Möglichkeiten", sagte er bei einer Veranstaltung des Thinktanks Aspen Institute im US-Bundesstaat Colorado.
Gipfel in Bratislava
Nicht sehr weit sind die EU-Politiker mit ihren Reformplänen gekommen, jetzt wollen sie bis zum Herbst nachdenken. Langwierige Vertragsänderungen soll es vorerst nicht geben, weil davon die Bürger nichts haben. Die EU will mit etwas Konkretem, Spürbarem aufwarten: Zum Beispiel ein sicherer Arbeitsplatz, ein besserer Schutz der Außengrenze und weniger Flüchtlinge und Asylwerber. Bei einem Sondergipfel Mitte September in Bratislava – die Slowakei übernimmt am 1. Juli den EU-Vorsitz für ein halbes Jahr – sollen die Reformen dann beschlossen werden. "Es ist nicht der Zeitpunkt für riesige Visionen", erteilte Bundeskanzler Christian Kern hohen Erwartungen eine Absage.
Eile ist aber geboten, denn die EU-Granden fürchten nach dem Brexit-Referendum einen Domino-Effekt, wenn die Bürger die EU nicht mehr akzeptieren.
Ein EU-Referendum für Österreich schließt Kern aus. In der Regel würden Referenden "mit artfremden Diskussionen überfrachtet", sagte er in der Pressekonferenz nach dem Brexit-Gipfel in Brüssel. "Vor diesem Hintergrund werden wir Österreich keinem Referendum aussetzen."
Kommentare