Brandstätters Blick: Diktatur verträgt kein Warum

Brandstätters Blick: Diktatur verträgt kein Warum
Erinnerungen. Vorboten für das Ende der Teilung Europas gab es, vom Mauerfall aber wusste niemand.

Das Jahr 1989 ist voll von historisch wichtigen Terminen. Noch bevor Alois Mock und Gyula Horn am 27. Juni den Eisernen Vorhang zwischen Ungarn und Österreich durchtrennten, war Michail Gorbatschow zum Staatsbesuch bei Helmut Kohl in der deutschen Hauptstadt Bonn. Noch davor war ich als ORF-Korrespondent im März 1989 in Leipzig bei der traditionellen Frühjahrsmesse gewesen. In der Nikolaimesse hatten sich über 600 DDR-Bürger zum Friedensgebet versammelt, die Angst vor den überall präsenten Spitzeln der Staatssicherheit war kleiner geworden, die Hoffnung hieß auch dort Gorbatschow.

Die „Gorbi, Gorbi“ Rufe, die wir dann später bei seinem Besuch am 7. Oktober 1989 zum 40. Jahrestag der DDR in Ost-Berlin hörten, gab es am 12. Juni bereits am Bonner Hauptplatz. Die Deutschen in Ost und West hofften gemeinsam auf einen Kommunisten aus Moskau. Gorbatschow brachte die Hoffnung für die deutsche Einheit, versprochen hat er sie dort nicht. Er unterschrieb aber mit Helmut Kohl eine „Gemeinsame Erklärung“, wonach die Sowjetunion ihren Verbündeten in Osteuropa die Freiheit versprach, auch der DDR. Das war das Ende der „Breschnew Doktrin“, mit großer Bedeutung für den Herbst 1989, wie man bald verstehen würde. Auch die Verwirklichung der Menschenrechte und Reisen ins Ausland wurden zugesagt.

Am Abend standen der deutsche Kanzler und der sowjetische Staatspräsident nach einem Essen im Kanzlerbungalow am Ufer des Rheins, und Kohl sagte zu seinem Gast: „Die deutsche Einheit wird so sicher kommen wie der Rhein zum Meer fließt.“ Kohl später: „Da hat Gorbatschow geschwiegen, das Wesentliche war, er hat mir nicht widersprochen.“

Das revolutionäre „Warum“

Gorbatschow wurde dann ausgerechnet bei den Feiern zum 40. Jahrestag der DDR als willkommenes Gegenprogramm zu den noch immer starren Kommunisten Ost-Berlins empfunden. Eine kleine Erinnerung an diesen 7. Oktober 1989: Als Beobachter der Militärparade sah ich, wie ein DDR-Bürger zwei Schritte nach vor trat, um die Panzer besser zu sehen. Ein Volkspolizist weist ihn an, zurückzutreten, da fragt der Mann: „Warum?“ Der Polizist dreht sich um und geht. Eine Diktatur, die ein „Warum“ zulässt, befindet sich in Auflösung.

Und dennoch ahnten weder Helmut Kohl noch die westdeutschen Geheimdienste, wie schnell die Mauer offen sein würde. Helmut Kohl landete am 9. November 1989 in Warschau, zu einem Staatsbesuch, der lange vorbereitet und aus historischen Gründen besonders heikel war. Während Kohl mit dem christdemokratischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki beim Abendessen saß, kamen die ersten Meldungen aus Berlin, dass Menschen die Grenze Richtung Westen überschritten. Günter Schabowksi hatte zuvor gegenüber internationalen Journalisten von einer „neue Reiseregelung“ gesprochen.

Kohl musste nach Berlin. In seinen Memoiren schreibt der Kanzler, dass er sofort beschlossen habe, nach Berlin zu fliegen. Ich habe es anders in Erinnerung. Im Gespräch mit den Journalisten war schnell klar, dass eine überstürzte Abreise ein Affront für die Polen gewesen wäre. Es war ein deutscher Kollege, der meinte, Kohl könne ja den Besuch unterbrechen und dann wieder kommen.

So geschah es dann auch, aber mit historisch bedingten Hürden. Die Luftwaffenmaschine des Kanzlers hätte wegen des Viermächtestatus der Sieger weder im Westen noch im Osten Berlins landen können. Also flog er in der Früh des 10. November nach Hamburg, und von dort weiter mit einem Flugzeug, das der amerikanische Botschafter organisiert hatte.

Kohl kehrte am nächsten Tag zurück nach Warschau, die wichtigen Besuche im Todeslager Auschwitz und in Kreisau, einem Zentrum des katholischen Widerstandes, lagen noch vor ihm. Dann begannen die diplomatischen Gespräche zur Wiedervereinigung, die nicht von den Russen, sondern von der britischen Premierministerin Maggie Thatcher sehr kritisch gesehen wurden.

Die Mauer verschwand, aber nur wenige Monate vor der Öffnung, in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989, wurde das letzte Opfer auf der Flucht vor der Diktatur erschossen, mitten in Deutschland.

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