Sehen Sie da Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich?
Insgesamt gibt es bei den Wahlerfolgen von Rechtspopulisten/-extremisten und Linkspopulisten/-extremisten sehr ähnliche Muster. Ein Momentum ist immer ein ungelöstes politisches Problem, aber das ist nicht alles, sonst könnte man ja nicht über Jahrzehnte Wahlerfolge solcher Parteien beobachten. Und das andere ist die politische Stimmung in der Bevölkerung.
Die FPÖ kommt ja aus dem deutschnationalen Lager, während die AfD ursprünglich eine CDU-Abspaltung war. Macht das heute noch einen Unterschied?
Die AfD ist nicht die Partei der alten Rechten, sondern der neuen Rechten, etwa mit Verbindungen zu den Identitären von Martin Sellner; und sie orientieren sich sehr stark an den Verschwörungstheorien des „Großen Austausches“ von Renaud Camus. Aber letztlich spielt es am Ende keine Rolle, ob es alte oder neue Rechte sind.
Kann man sagen: „It’s the migration, stupid …“ – oder greift das als Erklärung für die Wahlerfolge zu kurz?
Natürlich bildet die Migration einen Hintergrund – aber die AfD wurde 2013, also noch vor der Flüchtlingskrise, gegründet. 2015 kam es dann zur Spaltung, und da hat die Flüchtlingskrise eine stark mobilisierende Wirkung gehabt. Allerdings gäbe es die AfD wohl auch ohne diese. Ich denke, es ist ein Irrglaube, zu meinen, wenn man das Migrationsthema gelöst hätte, würden die Rechtspopulisten verschwinden. Vielmehr ist es so, dass es eine vielfältige Unzufriedenheit gibt – eine ökonomische, eine politische, eine mit der eigenen Lebenssituation. All das spielt zusammen. Wenn ein Problem gelöst ist, dann finden diese Leute ein neues, worüber sie sich echauffieren können.
Was folgt daraus für Parteien wie CDU/CSU oder ÖVP? Es gibt ja starke Wählerbewegungen von diesen Parteien nach rechts …
In Deutschland sind diese Bewegungen heterogener. Die Gewinne der AfD setzen sich nur zu einem Fünftel aus Wählern der Unionsparteien zusammen, 80 Prozent kommen also von woanders her. Der Protest ist bunt und vielfältig und die Unzufriedenheit umfassend – und nicht nur einer Parteienfamilie zuordenbar. Es haben ebenso die Sozialdemokraten erheblich an die AfD verloren, aber auch die FDP – und es gab zusätzlich eine Mobilisierung unter den Nichtwählern.
Das heißt, Sie sehen nicht die Erfolge der Rechten als Funktion der programmatischen Schwäche oder von zu unscharfen Konturen der Christdemokraten?
Falls es diese Schwäche überhaupt gibt, kann es das alleine nicht sein, weil ja die Wähler der AfD von überall her kommen. Aber das ist generell viel zu akademisch gedacht: Die Entscheidung für eine Partei ist ja keine programmatische Interessenabwägung, sondern weitgehend eine Gefühlsentscheidung.
Wird – und soll – die Brandmauer zur AfD halten?
Es gibt keinen Zweifel, dass die CDU mit einer extremistischen Partei nicht koalieren wird. Und ich glaube auch nicht, dass es der CDU – oder einer anderen Partei – nützen würde.
Parteien wie ÖVP oder CDU/CSU positionieren sich gerne als Partei der Mitte. Aber was ist das eigentlich, diese Mitte?
Eine polarisierte Gesellschaft wie die US-amerikanische hat keine Mitte mehr. Einen solchen Zustand halte ich nicht für erstrebenswert. Deswegen braucht es Parteien der Mitte, die für Maß, Konsens und Interessenausgleich eintreten. Daher kommt ihnen eine extrem große Verantwortung zu.
Wird es nicht immer schwieriger, regierungsfähige Mehrheiten zu finden, wenn man mit Extremisten zur Rechten und zur Linken nicht regieren will, aber die Mitte-Parteien zunehmend erodieren?
Naja, warten wir einmal ab. In Deutschland wählen wir erst in einem Jahr. Ob die Ränder bis dahin so stark bleiben, ist eine offene Frage. Das Wahlverhalten ändert sich oft sehr schnell.
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