Bosnien: Stille Verzweiflung, leiser Protest
Seit Tagen gruppieren sich etwa zwei Dutzend Männer vor dem Nationaltheater in Sarajewo. Sie sind Leidgenossen, jedem von ihnen schulden die Dienstgeber seit Monaten die Löhne. Später marschieren die Geprellten vor den Amtssitz des Staatspräsidenten, wo sie mit anderen Demonstranten zum Kampf gegen die Korruption und Misswirtschaft aufrufen. Die vorbeieilenden Passanten lassen die Protestierer kalt. Die Handvoll Demonstranten ist das Einzige, was vom sogenannten Bosnischen Frühling übrig geblieben ist.
"Keine andere Heimat"
Die Republika Srpska, eine der zwei Entitäten in Bosnien-Herzegowina, geht bereits einen eigenen Weg und beachtet Sarajewo nicht. In dem autonomen Gebiet weht keine einzige bosnisch-herzegowinische Fahne, und auch der Präsidentensitz ist mit drei großen serbischen Bannern beflaggt. Wie Präsident Milorad Dodik vor österreichischen Journalisten erklärte, beteiligen sich die Serben an den sozialen Protesten nicht, weil es ihnen besser geht als den Menschen in der Föderation. "Bei uns wächst die Wirtschaft, und die Arbeitslosigkeit sinkt."
Zwei serbische Staaten
Der 55-jährige Politiker mit separatistischen Ambitionen hält an der Einhaltung des Friedensabkommens von Dayton in der ursprünglichen Fassung fest und fordert die Rückgabe der Kompetenzen, die an die Zentrale abgegeben wurden. "Wenn unsere Forderungen nicht erfüllt werden, organisieren wir eine Volksbefragung. Die internationale Gemeinschaft hat zwei albanische Staaten akzeptiert, so wird sie auch zwei serbische akzeptieren", droht Dodik. Dodiks Meinung über die Tätigkeiten der Hohen Repräsentanten – zwei davon, Wolfgang Petritsch und Valentin Inzko, kamen aus Österreich – ist vernichtend: "Sie kassieren nur hohe Gehälter und respektieren unsere Gesetze nicht. Diese Gelder werden dann auch noch als humanitäre Hilfe für Bosnien verbucht."
Wiederaufbau
So wie überall wurden nach dem Bürgerkrieg zuerst die Kirchen und die Moscheen wieder aufgebaut. Ohne Rücksicht auf die tatsächliche Zahl der Gläubigen. Die Franziskaner-Kirche in Mostar bekam einen neuen Glockenturm, der viel höher ist als der ursprüngliche und sämtliche Minarette in der Stadt überragt. Auf vielen zweisprachigen Ortstafeln – soweit überhaupt vorhanden – sind die kyrillischen Aufschriften übersprayt. Die Zusammenarbeit zwischen den religiösen Führern auf lokaler Ebene klappt kaum. In einem gemischten Dorf, wo Bosniaken und Kroaten von der serbischen Armee gleich grausam massakriert wurden, spricht der Dorfpfarrer nicht mit dem Imam. Obwohl die Gemeinde große Probleme mit der Wasserversorgung hat. Zu besprechen gäbe es viel.
Die Verwaltung der bosnischen Föderation mit zehn Kantonen und der Republika Srpska sollte dringend vereinfacht werden. Zurzeit gibt es drei Präsidenten, 14 Regierungschefs und 155 Minister. 60 Prozent des staatlichen Etats geht für die Beamtengehälter auf.
Volkszählung
Wie die ethnische Zusammensetzung wirklich ist, weiß niemand. Im Vorjahr wurde eine Volkszählung durchgeführt, die erste seit 1991. Vermutlich sind die Einwohnerzahlen geschrumpft, denn viele Flüchtlinge sind nach dem Krieg nicht mehr zurückgekehrt. Die Volkszählung könnte zum heißen Eisen werden, denn es zeichnet sich ab, dass es zu Verschiebungen der Anteile der ethnischen Gruppen kommen wird. Das hätte weitreichende Konsequenzen auf parlamentarische und administrative Bereiche. Deshalb schweigen die Behörden, offizielle Ergebnisse will man erst nach den Parlamentswahlen im Oktober veröffentlichen.
"Eigentlich sind wir alle im Grunde Atheisten. Sonst könnten wir nicht einen so brutalen Krieg geführt haben", sagt Violeta Maric, Caritas-Mitarbeiterin in Mostar. Der bosnische Krieg von 1991 bis 1995 forderte hunderttausend Tote. Caritas Österreich leistet in Bosnien-Herzegowina Hilfe ohne Rücksicht auf die religiöse Zugehörigkeit.
Als "Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft" hat der österreichische Spitzen-Diplomat Valentin Inzko (64) in Bosnien-Herzegowina die Rolle eines "Mediators".
Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die sozialen Unruhen im Februar aus dem Ausland gesteuert waren?
Es könnte sein, dass die Gewaltakte gelenkt wurden. Die Staatsanwaltschaft untersucht die Vorkommnisse.
Wie realistisch sind die EU-Beitritts-Chancen für Bosnien?
Ohne Serbien wird es nicht gehen. Erst wenn Belgrad so weit ist, wird auch Sarajewo dabei sein. Genauso ist es auch mit dem NATO-Beitritt Bosniens. Eine Verfassungsänderung ist dringend notwendig, aber keiner weiß wie! Fünf Versuche, die Verfassung zu reformieren, sind gescheitert. Jetzt hat jeder Angst, dass es wieder nicht durchgeht. Der neue Entwurf muss gut vorbereitet und auch mit der Türkei, Russland und den USA akkordiert werden.
Für Ihre Tätigkeit als Hoher Repräsentant wird Ihnen in Bosnien nicht gedankt. Im Gegenteil, Sie werden kritisiert.
Ja, die lokalen Politiker sind sauer auf mich, dass ich meine Vollmachten nicht ausübe und zum Beispiel korrupte Politiker nicht feuere. Oder dass ich die Amtszeit der Politiker nicht auf acht Jahren begrenzte. Das kann ich aber nicht. In der internationalen Gemeinschaft, deren Repräsentant ich bin, gibt es keine Zustimmung für hartes Durchgreifen in Bosnien. Es wird auf lokale Verantwortung gesetzt, lokale Lösungen werden verlangt. Jetzt langsam wendet sich das Blatt, weil es sichtbar ist, dass man mit der Politik des Nicht-Eingreifens seit acht Jahren nichts erreicht hat, es herrscht Stillstand.
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