Boris Johnson: Einer, der nur nach oben fällt
Den Rotzlöffel zu mimen, den schrulligen Berserker, das liebt Boris Johnson. Es ist die Rolle seiner Wahl. Und er spielt sie mit Grandezza. Vielmehr aber: Mit Erfolg. Denn so sehr er auch wütet, um sich rotzt und pöbelt, sein Umfeld mit Kraftausdrücken vor den Kopf stößt, politische oder diplomatische Gepflogenheiten mit den Füßen tritt, wie lächerlich er auch erscheinen mag, wenn er in Unterhosen Journalisten Kaffee serviert, seinen Hund Zungenküsse verpasst – die britische Öffentlichkeit hat Gefallen gefunden an diesem Clown und vergibt ihm seine Fehltritte.
Und galt Johnson während der Brexit-Kampagne, zu deren Wortführer er sich als damals noch Bürgermeister Londons (2008 - 2016) gemausert hatte, noch als schrullige Randerscheinung, so konnte er nur eines: Nach oben fallen. Er wurde Außenminister, forderte Premierministerin und Tory-Chefin Theresa May heraus – und ist heute Premierminister. Einer aber, der zugleich penibel das Image des hemdsärmeligen pflegt, eines nahbaren. Und bisher hatte er Erfolg damit.
Heute steht Boris Johnson erstmals auf nationaler Ebene zur Wahl. Sein Amt hatte er ja von der parteiinternen Intimfeindin May geerbt. Vorangegangen war der Wahl ein Wahlkampf voller Untergriffe, voller Enthüllungen über das ausschweifende Privatleben, Seitensprünge und uneheliche Kinder zu denen sich BJ, wie ihn seine Feinde nennen, nie bekannt habe – um dann kleinlaut in einem TV-Interview auf die Frage, was denn das unartigste sei, was er je getan habe zu sagen: Er sei ein paar Mal mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig gefahren
Dabei hatte Johnson selbst über seine eigenen Aussichten, britischer Premierminister werden zu können, einmal gesagt: Die Chancen dafür seien in etwa so groß, wie Elvis auf dem Mars zu finden oder als Olive wiedergeboren zu werden. Betrachtet man seine Biografie, beginnt man an Reinkarnation und Elvis‘ Unsterblichkeit zu glauben.
Johnson ist das Kind wohlhabender Eltern und Spross einer wohlsituierten Familie. Der Vater saß einst als konservativer im EU-Parlament, die Mutter war Malerin, der Bruder Minister im Kabinett des konservativen Premierminister Cameron (den Boris Johnson indirekt zu Fall brachte), seine Schwester arbeitet als Journalistin.
Johnson studierte in Oxford. Danach wurde er Journalist – und von seinem erstem Arbeitgeber ( The Times) gleich per Fußtritt verabschiedet, nachdem er ein Zitat absichtlich verfälscht hatte. Das Boulevardblatt TheTelegraph nahm ihn mit offenen Armen auf und schickte ihn als Korrespondent nach Brüssel, wo er sich als Autor teils erfundener, teils schwer überzogener Geschichten einen Namen machte. Und dann war er plötzlich Chefredakteur des konservativen Magazins The Spectator. Dann Abgeordneter, Bürgermeister Londons, Außenminister und schließlich Heißsporn in der britischen Spitzenpolitik, der Kabarettisten das Leben schwer macht - weil Johnson kaum einer Parodie gerecht werden kann.
Für eine Stimme für die Tories spreche, "dass dann die Brüste deiner Frau größer werden und die Chancen steigen, einmal einen BMW M3 dein Eigen zu nennen" – so warb Johnson um Stimmen. Zu seiner Unterstützung für David Cameron, dem Johnsons Brexit-Kampagne letztlich das Genick brach, sagte Johnson: Cameron unterstütze er aus "rein zynischem Selbstinteresse". Die EU bezeichnete er als zwickende Unterhose. Über alleinerziehende Mütter sagte er, er sei wütend darüber, dass verheiratete Paare für den Wunsch alleine erziehender Mütter zahlen sollten, unabhängig von Männern zu leben. Die Liste solcher Sprüche ließe sich fortsetzen.
Anzuecken, zu provozieren, das ist Johnsons Ding. Dass sich seine Familie durchwegs gegen einen Ausstieg aus der EU aussprach (von den Eltern über die Geschwister bis hin zu seiner Ex-Frau) schien Johnson nur noch mehr anzuspornen. Ob das letztlich seine Ehe scheitern ließ, ist nicht bekannt. 25 Jahre lebten Johnson und seine Frau Marina Wheeler zusammen und trennten sich in der heißen Phase bevor Johnson May im Juni 2019 stürzte. Das Paar hat vier Kinder. Ausschlaggebend sollen letztlich zahllose Affären Johnsons gewesen sein.
"Welt-König" habe Boris Johnson immer werden wollen, so erinnert sich seine Schwester Rachel an ihren Bruder in Kindheitstagen. Ein Traum, den er anscheinend nie abgelegt hat.
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