Erdogan: Selbstmord-Attentäter von Gaziantep war Kind

Polizisten am Tatort
Präsident Erdogan geht von Verbindungen zu IS aus. Internationale Anteilnahme nach Anschlag auf Hochzeitsgesellschaft mit 51 Toten.

Ein Kind zwischen 12 und 14 Jahren soll den blutigen Anschlag von Gaziantep auf eine kurdische Hochzeitsgesellschaft verübt haben, bei dem am Samstagabend mindestens 51 Menschen getötet und 69 weitere verletzt wurden. Das Attentat in der südosttürkischen Stadt, das die türkische Regierung der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zuschreibt, löste am Sonntag international Entsetzen aus.

Zunächst blieb unklar, ob sich das Kind selbst in die Luft sprengte oder ob der Sprengsatz per Fernzünder ausgelöst wurde. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, es könne sich um einen "Selbstmordattentäter" gehandelt haben, der sich in die Luft gesprengt habe oder "gesprengt wurde". Erste Hinweise deuteten darauf hin, dass der IS Drahtzieher des Anschlags war.

Erdogan: Selbstmord-Attentäter von Gaziantep war Kind
Women mourn as they wait in front of a hospital morgue in the Turkish city of Gaziantep, after a suspected bomber targeted a wedding celebration in the city, Turkey, August 21, 2016. REUTERS/Osman Orsal
"Wo auch immer der Terror herkommt, das ändert für uns nichts", so Erdogan. "Als Nation wenden wir unsere gesamte Kraft an, vereint, Hand in Hand, um gegen den Terrorismus zu kämpfen, so wie wir es am 15. Juli getan haben", ergänzte er mit Blick auf die Niederschlagung des Militärputsches.

Der Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas, sagte, das Ziel seien Kurden und der Bräutigam, ein HDP-Mitglied, gewesen. Nach Medienberichten überlebten Braut und Bräutigam verletzt. Unter den Toten seien viele Kinder. Im Beybahce-Viertel der Millionenstadt an der türkisch-syrischen Grenze wohnen viele aus den Südostprovinzen zugezogene Kurden. Der Anschlag war bei den Feierlichkeiten auf offener Straße verübt worden.

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People gather for the funeral of victims of last night's attack on a wedding party that left 50 dead in Gaziantep in southeastern Turkey near the Syrian border on August 21, 2016. At least 50 people were killed when a suspected suicide bomber linked to Islamic State jihadists attacked a wedding thronged with guests, officials said on August 21. Turkish President Recep Tayyip Erdogan said the IS extremist group was the "likely perpetrator" of the bomb attack, the deadliest in 2016, in Gaziantep late Saturday that targeted a celebration attended by many Kurds. / AFP PHOTO / ILYAS AKENGIN

Nachrichtensperre

In dem Stadtviertel leben nach Medienberichten vor allem Kurden. Kurz nach dem Anschlag verhängte die Rundfunkbehörde eine Nachrichtensperre, die aber nicht für öffentliche Stellungnahmen gilt.

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Karte Türkei mit Lokalisierung und Zahl der Todesopfer der schwersten Anschläge seit Juli 2015 GRAFIK 0940-16, 88 x 75 mm

Die Provinz Gaziantep grenzt an das Bürgerkriegsland Syrien. Auf der syrischen Seite kontrolliert der IS ein großes zusammenhängendes Gebiet. Die türkische Regierung hatte den IS in der Vergangenheit für zahlreiche Anschläge im Land verantwortlich gemacht. Die Terrormiliz bekannte sich bislang noch zu keinem der ihr zugeschriebenen Anschläge in der Türkei.

Erdogan verurteilte "Terror"

Erdogan verurteilte den "Terroranschlag" laut einer von Anadolu verbreiteten Stellungnahme und versprach Aufklärung. Die Täter versuchten das Volk gegeneinander aufzubringen, indem sie "ethnische und religiöse Empfindlichkeiten" für ihre Zwecke nutzten. Damit hätten sie keinen Erfolg. Er machte dabei keinen Unterschied zwischen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen und dem IS, dem "mutmaßlichen Urheber".

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People gather on the site of an explosion August 20, 2016 in Gaziantep following a late night militant attack on a wedding party in southeastern Turkey. The governor of Gaziantep said 22 people are dead and 94 injured in the late night militant attack. / AFP PHOTO / AHMED DEEB

Die pro-kurdische HDP teilte in einer Stellungnahme weiter mit: "Wir verurteilen und verdammen diejenigen, die diese Attacke verübt haben, und die Kräfte und Ideologien hinter ihrem Handeln."

Suche nach Verletzten

Anadolu berichtete unter Berufung auf den Gouverneur von Gaziantep, es habe insgesamt 30 Tote und 94 Verletzte gegeben. Zahlreiche Krankenwagen rasten zum Anschlagsort. In sozialen Medien kursierten Videos, die chaotische Szenen zeigten. Menschen schalteten die Taschenlampenfunktion ihres Smartphones ein und irrten auf der Suche nach verletzten Freunden und Angehörigen umher. Am Boden lagen viele blutende Menschen.

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A police officer secures the scene of an explosion where a suspected suicide bomber targeted a wedding celebration in the Turkish city of Gaziantep, Turkey, August 21, 2016. REUTERS/Osman Orsal

Nähe zu Syrien

Die rund 1,5 Millionen Einwohner zählende Stadt Gaziantep liegt unweit der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien. Neben der PKK operiert im Südosten der Türkei auch die IS-Miliz, die dort schon mehrfach Anschläge verübt hat.

Sowohl der IS als auch die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) kontrollieren große Gebiete in Nordsyrien an der Grenze zur Türkei. Die YPG, die ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS ist, war in den letzten Wochen weiter vorgerückt. IS-Kämpfer mussten sich in das syrisch-türkische Grenzgebiet zurückziehen.

Die YPG ist der syrische Ableger der PKK, die in der Südosttürkei operiert. Die Türkei betrachtet sowohl die PKK als auch den IS als Terrororganisation. Ein weiteres Vorrücken der YPG ist der Türkei ein Dorn im Auge. Dadurch könnten Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden im eigenen Land befeuert werden, so die Befürchtung der türkischen Regierung.

"Aktivere Rolle" in Syrien

Ministerpräsident Binali Yildirim hatte am Samstag angekündigt, die Türkei werde in den nächsten Monaten eine "aktivere" Rolle in Syrien spielen. Das Land dürfe nicht entlang ethnischer Linien geteilt werden. Grundsätzlich müsse mit dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad gesprochen werden, da er einer der Akteure sei. Eine dauerhafte Lösung mit ihm an der Spitze Syriens schloss Yildirim jedoch aus, genauso wie Gespräche zwischen der Türkei und Assad.

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A boy walks in front of a damaged garage door and broken windows at the blast scene of an explosion where a suspected suicide bomber targeted a wedding celebration in the city of Gaziantep, Turkey in this still image from video August 21, 2016. REUTERS/via Reuters TV
Unklar ist, ob zwischen dem Anschlag in Gaziantep und dem Bürgerkrieg in Syrien ein direkter Zusammenhang besteht. Die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) sind in Syrien der wichtigste Partner des Westens im Kampf gegen den IS und beherrschen Teile der Grenze zur Türkei.

Erdogan hatte IS-Extremisten auch für den Anschlag auf den Istanbuler Flughafen im Juni verantwortlich gemacht, bei dem 45 Menschen ums Leben kamen. Die türkische Polizei hatte Anfang August 20 mutmaßliche Mitglieder der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) festgenommen. Die Behörden gingen damals davon aus, dass der IS Anschläge in der Türkei plane.

Logistisches Hinterland?

Andererseits wird die Türkei verdächtigt, in den vergangenen Jahren logistisches Hinterland für den IS und andere dschihadistische Terrorgruppen gewesen zu sein. Für Aufregung sorgte in diesem Zusammenhang in den vergangenen Tagen ein interner Bericht der deutschen Bundesregierung, der die Türkei als "zentrale Aktionsplattform" für Islamisten im Nahen Osten einstufte. Das Papier war an sich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, jedoch deutschen Medien zugespielt worden.

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A damaged house is seen after a suspected suicide bomber targeted a wedding celebration in the Turkish city of Gaziantep, Turkey, August 21, 2016. REUTERS/Osman Orsal TPX IMAGES OF THE DAY
Am Donnerstag waren bei einer Anschlagserie auf türkische Sicherheitskräfte insgesamt 14 Menschen getötet und rund 300 weitere verletzt worden. Zu einem der Anschläge bekannte sich die PKK.

Kurz verurteilt "abscheulichen Terroranschlag"

Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat den "abscheulichen Terroranschlag" verurteilt. "Meine Gedanken sind bei den Familien der Opfer", twitterte Kurz am Sonntag.

Das Außenministerium rät von Reisen in das türkische Grenzgebiet zu Syrien und zum Irak ab und nennt auf seiner Homepage dabei auch Gaziantep. Im Osten und Südosten kam es in den vergangenen Jahren und Monaten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten.

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A shoe is pictured near the explosion scene following a late night attack on a wedding party that left at least 30 dead in Gaziantep in southeastern Turkey near the Syrian border on August 21, 2016. Turkish President Recep Tayyip Erdogan on Sunday said the Islamic State (IS) group was the "likely erpetrator" of the bomb attack. rdogan said in a written statement that there was "no difference" between the group of US-based preacher Fethullah Gulen who he blames for a failed July 15 coup bid, the outlawed Kurdistan Workers Party (PKK) "and Daesh (IS), the likely perpetrator of the attack in Gaziantep". / AFP PHOTO / AHMED DEEP
Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat den jüngsten Bombenanschlag in der Türkei verurteilt. "Ich bin zutiefst traurig über den entsetzlichen Angriff, der jüngste in einer schrecklichen Serie von Terroranschlägen, der die Türkei getroffen hat", so die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung, Christine Muttonen, am Sonntag in einer Aussendung. "Ich verurteile diesen Angriff im Namen der OSZE-Parlamentarier." Muttonen kondolierte den Betroffenen und den Familien der Opfer.

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verurteilte den Anschlag ebenfalls aufs Schärfste. "Erneut sind unschuldige Männer, Frauen und Kinder zum Opfer feiger und hinterhältiger Gewalt geworden", schrieb sie ihrem türkischen Amtskollegen Yildirim laut Deutscher Presse-Agentur in einem Kondolenztelegramm am Sonntag. "Unsere Gedanken sind bei den Opfern und deren Familien. Ich bitte Sie, den Angehörigen unser Beileid und Mitgefühl auszurichten und den Verwundeten rasche Genesung zu wünschen." Die deutsche Regierung stehe im Kampf gegen den Terrorismus weiter eng an der Seite der Türkei.

NATO stellt sich hinter Bündnispartner Türkei

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die jüngsten Terroranschläge in der Türkei scharf verurteilt. "Wir stehen in dieser schwierigen Zeit in Solidarität vereint mit unseren türkischen Verbündeten", erklärte Stoltenberg am Sonntag in Brüssel. "Wir bleiben fest entschlossen, Terrorismus in all seinen Formen zu bekämpfen."

Nach tödlichen Attentaten auf türkische Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen hatte am Samstag ein Anschlag auf eine Hochzeit in Gaziantep mindestens 51 Menschen in den Tod gerissen. Die türkische Regierung vermutet hinter dieser Tat die Terrormiliz "Islamischer Staat".

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A woman is comforted during a funeral for a victim of last night's attack on a wedding party that left 50 dead in Gaziantep in southeastern Turkey near the Syrian border on August 21, 2016. At least 50 people were killed when a suspected suicide bomber linked to Islamic State jihadists attacked a wedding thronged with guests, officials said on August 21. Turkish President Recep Tayyip Erdogan said the IS extremist group was the "likely perpetrator" of the bomb attack, the deadliest in 2016, in Gaziantep late Saturday that targeted a celebration attended by many Kurds. / AFP PHOTO / ILYAS AKENGIN

USA: "Barbarische Tat"

Indes hat die US-Regierung den Anschlag von Gaziantep als "barbarische Tat" verurteilt und Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus bekundet. "Wir stehen bei der Verteidigung der Demokratie gegen alle Arten von Terrorismus an der Seite des türkischen Volkes", erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Ned Price, am Sonntag. Die USA stünden in engem Kontakt mit den türkischen Behörden.

Vizepräsident Joe Biden werde bei seinem geplanten Besuch am Mittwoch in der Türkei ebenfalls bekräftigen, "dass wir der Zusammenarbeit mit der Türkei, unserem geschätzten NATO-Partner und Verbündeten (...) verpflichtet sind".

20. August 2016: Bei einem Anschlag während einer kurdischen Hochzeitsfeier in der südöstlichen Millionenstadt Gaziantep sind mindestens 50 Menschen getötet und fast 100 verletzt worden. Hinter dem mutmaßlichen Selbstmordattentat wird die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" vermutet.

18. Juli 2016: Der Vize-Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Sisli wird bei einem Attentat getötet. Unbekannte sind in das Büro von Cemil Candas eingedrungen und haben dem Politiker der CHP-Partei in den Kopf geschossen. Über die Hintergründe der Tat wurde nichts bekannt.

28. Juni 2016: Drei Attentäter greifen den Eingangsbereich am internationalen Terminal des Istanbuler Atatürk-Flughafens an. Nach einer Schießerei sprengen sich alle drei in die Luft und töten dabei 45 Menschen. Rund 240 Personen werden verletzt. Die Regierung vermutet den IS hinter der Tat.

7. Juni 2016: Die Explosion einer ferngezündeten Autobombe tötet im Zentrum Istanbuls sechs Polizisten und fünf Passanten, 36 Menschen werden verletzt. Die TAK, eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, bekennt sich zu der Tat.

19. März 2016: Ein Attentäter sprengt sich auf der zentralen Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal in die Luft und reißt vier Menschen mit in den Tod, 39 werden verletzt. Drei der Todesopfer sind Israelis, eines ist aus dem Iran. Laut türkischer Regierung hatte der Attentäter Verbindungen zur sunnitischen Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).

13. März 2016: Bei einem Anschlag im Zentrum der Hauptstadt Ankara sterben mindestens 37 Menschen. Mehr als 120 weitere werden verletzt. Eine Selbstmordattentäterin hatte sich mit einem Auto nahe einer belebten Bushaltestelle in die Luft gesprengt. Die aus der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hervorgegangene militante Splittergruppe "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) bekennt sich zu der Tat.

17. Februar 2016: Bei einem Bombenanschlag auf einen Militärkonvoi im Regierungsviertel von Ankara sterben 30 Menschen, darunter der Selbstmordattentäter. Später bekennt sich die TAK zu der Tat. Die türkische Regierung macht die PKK und ihren syrischen Ableger YPG für den Anschlag mitverantwortlich.

12. Jänner 2016: Bei einem Anschlag im historischen Zentrum Istanbuls werden zwölf deutsche Touristen getötet. Der Angreifer sprengt sich mitten in einer deutschen Reisegruppe in der Umgebung der Hagia Sophia und der Blauen Moschee in die Luft. Der Attentäter gehörte nach Angaben der türkische Regierung dem IS an.

10. Oktober 2015: Am Rande einer regierungskritischen Demonstration in der Hauptstadt Ankara reißen zwei Sprengsätze mehr als 100 Menschen in den Tod. Die Staatsanwaltschaft macht den IS verantwortlich.

10. August 2015: Bei einem Bombenanschlag und einem anschließenden Angriff auf eine Polizeiwache in Istanbul werden mindestens vier Menschen getötet. Zwei Frauen greifen zudem das US-Konsulat an, eine wird festgenommen. Sie soll Mitglied der linksextremen Terrororganisation DHKP-C sein.

20. Juli 2015: Im südtürkischen Grenzort Suruc reißt ein Selbstmordattentäter 33 pro-kurdische Aktivisten mit in den Tod. Die Behörden machen den IS verantwortlich, die sich allerdings nie zu der Tat bekennt.

6. Juni 2015: Zwei Tage vor der türkischen Parlamentswahl verüben Unbekannte in der südosttürkischen Kurden-Metropole Diyarbakir einen Sprengstoffanschlag auf eine Veranstaltung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP. Mindestens vier Menschen sterben.

11. Mai 2013: Bei der Explosion zweier Autobomben in der Grenzstadt Reyhanli werden mehr als 50 Menschen getötet. Die Regierung beschuldigt türkische Linksextremisten mit Kontakten zum Regime im benachbarten Syrien.

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