50 Jahre danach hat man das Taschentuch noch einmal aus dem örtlichen Museum geholt, für ein Theaterstück, das heute, Sonntag, in Derry Premiere hat. Noch einmal, so erzählen die Theatermacher, wollten sie versuchen, an den Schrecken des Blutsonntags und all die Folgen, die dieses Verbrechen hatte, zu erinnern.
Doch diese Erinnerung hängt ohnehin auch heute drückend über den Straßen von Derry und über ganz Nordirland. Der Brexit und das begleitende, nie zu Ende gedachte Abkommen über die Grenze zwischen Irland und Nordirland reißt die notdürftig zugeschütteten Gräben wieder auf. Auf den Straßen von Derry kochte im Vorjahr wieder die Gewalt hoch. Pro-britische Jugendbanden ließen ihrer Frustration über die Lage in Nordirland freien Lauf. Heute sind es sie, die Angst vor der Zukunft ihrer Heimat haben – und um ihre eigene.
Wirtschaftlich bleibt Nordirland das Armenhaus Großbritanniens. Nur eine aufgeblähte Bürokratie, erhalten von ständigen Geldflüssen aus London, maskiert die dramatischen Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Dass man auf einmal hinter einer EU-Außengrenze lebt, von der keiner weiß, ob sie demnächst auf oder zugeht, verstärkt das Gefühl der Isolation. Man fühlt sich als Teil einer bedrängten britischen Minderheit auf der irischen Insel, die früher oder später – da sind sich Experten einig – nur zusammenwachsen kann.
Ob sie das in Frieden tut, hängt vom langen Schatten ab, den der Bürgerkrieg immer noch wirft. Denn die Aufarbeitung der Verbrechen, auch des Bloody Sunday, stockt. Blockiert wird sie von der lokalen Politik, in der auf beiden Seiten immer noch die Radikalen das Sagen haben und nichts als täglichen Kleinkrieg zustande bringen.
Auch in London versucht Boris Johnsons konservative Regierung, die Morde des Bürgerkriegs vergessen zu machen, als sich dieser Schuld zu stellen. Noch immer ist keiner der Täter des Bloody Sunday ordentlich verurteilt worden. Ein neues Gesetz soll die Aufarbeitung sämtlicher Verbrechen aus diesen Jahren quasi unmöglich machen.
Für die katholische Bevölkerung in Nordirland ist das nur ein weiterer Beweis dafür, dass man in Großbritannien ohnehin keine Zukunft hat. Das Vertrauen in die britische Politik haben ohnehin beide Seiten inzwischen verloren. Gerade einmal vier Prozent der Nordiren trauen London vernünftige Lösungen für ihre Heimat zu.
Vor 23 Jahren, am Karfreitag des Jahres 1998, schien man diese Lösung gefunden zu haben. Das damals geschlossene Friedensabkommen ist zwar formal umgesetzt, kommt aber im politischen Alltag nicht übers Papierformat hinaus. Der Frieden scheint so brüchig wie schon lange nicht, und was längst Geschichte sein sollte, lässt auch in Derry die Menschen nicht los. Schon gar nicht Kay, die heute 75-jährige Schwester des Ermordeten. 50 Jahre sei Jackie jetzt schon beerdigt, erzählt sie dem Guardian, „ich würde ihn gerne endlich ruhen lassen“.
Kommentare