Berliner Nachtleben: Die Party ist vorbei, und was jetzt?

Berliner Nachtleben: Die Party ist vorbei, und was jetzt?
Die Stadt, die keine Sperrstunde kennt, hat jetzt alles dicht gemacht: Lokalbetreiber, Veranstalter und Künstler bangen um ihre Existenz.

"Die Partys sind das, was Berlin zu bieten hat. Mal sehen, wie die nächsten Wochenenden werden. Ersetzen kann das gerade halt nichts."

Rebekka, Mitte dreißig, macht sich so ihre Gedanken für den Abend. Sie verbringt den späten Nachmittag am Tempelhofer Feld, ein ehemaliges Flughafenareal, für viele Berliner ein erweiterter Balkon. Nach draußen gehen, Joggen, Skaten oder die Sonne genießen, das gehört für viele gerade zur letzten Freiheit. Denn alles andere, was Berlin so ausmacht, wurde mittlerweile geschlossen: Theater, Bars, Restaurants, Clubs.

Wer dieser Tage durch die Stadtviertel von Schöneberg, Mitte, Kreuzberg bis Friedrichshain spaziert, sieht überall die gleichen "Wir haben zu, bleibt gesund"-Schilder. Die einzigen, die offen haben: Supermärkte und "Spätis" (Spätkauf) – also, kleine Läden, die alles von Fertigpizza, Katzenfutter bis Zigaretten und Alkohol verkaufen. Und gerne als Ersatz-Kneipe genützt werden.

Während die sonst belebte Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg fast in der Dunkelheit versinkt, blinken die Spätis wie Glühbirnen raus. Doch bis auf den Verkäufer ist kaum wer zu sehen. "Die Touristen sind weg, und die Leute haben Angst", sagt der Mann hinter der Theke. Und ist nicht erfreut, dass er nun oft Besuch von Reportern bekommt. Vor einer Woche kursierten Bilder von Spätis, die nach den Bar-Schließungen von Feierfröhlichen zu Trinkhallen umfunktioniert wurden. Jetzt wird streng kontrolliert, Polizeiautos rollen langsam die Straßen entlang. Nicht mehr als zwei Personen dürfen sich zusammen draußen aufhalten, Ausnahme: Familien.

"Wir schaffen es" steht vor der Friedhofsmauer

Hört man sich unter Berlinern um, gibt es kaum wen, der die Maßnahmen groß kritisiert. Da fällt zwar der Hinweis, dass es tiefe Eingriffe in die individuelle Freiheit sind, aber man ist pragmatisch. Da müssen wir durch, in einem Monat ist hoffentlich alles vorbei, meint eine Bekannte. Von Optimisten wurde wohl auch der Banner an einer Friedhofsmauer im Bergmannkiez angebracht: "Wir schaffen es" hat jemand auf ein weißes Tuch gemalt.

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Polizeikontrollen in Parks

Bei anderen kommt wiederum der innere Corona-Cop durch. Sie strafen mit bösen Blicken, wenn der Abstand in der Supermarkt-Schlange nicht exakt eingehalten wird oder warnen vorsorglich im Park: Lesen auf der Decke ist nicht erlaubt. Man persönlich habe ja nichts dagegen, aber die Polizei ist streng und wird das sicher ahnden.

Dann gibt es auch jene, die sich ganz praktisch um ihre Mitmenschen kümmern: So hängen für Wohn- und Obdachlose an mehreren Orten der Stadt Sackerl mit Dosen, Tomaten, Keks-Packungen, Seifen und anderem Waschzubehör.

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Das SO36 hat geschlossen.

Clubs sammeln Spenden

In Gedanken ist man aber auch beim Kneipier ums Eck oder dem Lieblingsrestaurant. Leute wie Rebekka nützen deren "To-Go-Angebote", also Essen zum Mitnehmen, um sie zu unterstützen. Sie hofft auch, dass die Clubs überleben. "Es gibt Spendenaufrufe, aber ich hab keine Ahnung, ob das reicht." Viele Betreiber verweisen vor ihren geschlossenen Türen auf Plattformen, wo man sie unterstützen kann, etwa durch das Kaufen von Gutscheinen und Eintritten, die man später konsumieren kann – solange der Laden nicht pleitegeht.

Auch der bekannte Kreuzberger Punk/Rock-Club SO36 muss um seine Existenz bangen und sammelt Spenden. Sie müssen aktuell schauen, wie sie mit ihren Leuten verfahren, erklärt Pasqual vom Club-Team. Über 80 Menschen arbeiten bei ihnen, darunter Festangestellte, Mini-Jobber, Auszubildende und Freiberufliche - "für viele nicht fest Angestellte brechen von heute auf morgen Einkünfte weg". Zwar gibt es vom Bundetag und Bundesrat eine Neuregelung für Kurzarbeitergeld, aber bis das Geld fließt, kann es noch dauern. Da helfen die Spenden der Fans und Stammkunden durchaus, so Pasqual. Überhaupt berührt es ihn, wie viel Zuspruch sie erhalten, "bei manchen Mails bekommt man Gänsehaut".

Bei aller Solidarität hat er dennoch große Sorgen vor der drohenden Schließung: "Um weiter über die Runden zu kommen, muss sofort etwas passieren", sagt er und erklärt: Für mittelständische Betriebe gibt es keine Sofortzuschüsse. Zwar kann man leichter einen Kredit aufnehmen, aber damit verschulden sie sich. Und gerade jetzt können sie nichts erwirtschaften. Es fallen ihnen mit April und Mai die Einnahmen aus ihrer Hauptsaison aus – "damit konnten wir bisher immer die Sommermonate überbrücken, wo die Menschen lieber draußen auf Festivals feiern".

Wo die Leute jetzt, wo alles zu hat, überhaupt feiern? Vielleicht zu Hause vor dem PC. Einige Clubs bieten DJ-Sets an, streamen Live-Musik und Performances. Zum Teil auch für den guten Zweck, wie bei der Initiative der Berliner Clubcommission und des Reclaim Club Culture Netzwerks. Bei #UnitedWeStream können die Besucher der Seite freiwillig Spenden, das Geld geht an unter Coronavirus-Quarantäne notleidende Clubs und Künstler, ein Teil auch an die zivile Seenotrettung im Mittelmeer.

Telefonzellen-Disko

Und da gäbe es einen Club, der vielleicht einzige in Europa, der offen hat: Eine goldene Telefonzelle in Friedrichshain. Für zwei Euro kann man auf einem Bildschirm sein Lied auswählen und tanzen – an der Decke kreist eine Discokugel. Zwei bis drei Leute passen rein. "Manche geben sich gleich vier bis fünf Sessions", berichtet Tommy, einer der Betreiber. Die Idee zur Disko in der Telefonzelle entstand einst aus einer Notwendigkeit - "für jene, die zu jeder Zeit tanzen wollen, sobald sie ein Kribbeln spüren".

Da sich die Tanzpartner in der Regel sehr vertraut sind, hätte er keine Bedenken. Ohnehin spüren sie, dass die "Tele-Disko" derzeit von deutlich weniger Tanzfreudigen benutzt wird. Sie steht in der Nähe von Clubs, die ja alle geschlossen sind. "Das Nachtleben ist tot", stellt Tommy fest. Welche Folgen das für die Berliner Szene haben wird, lässt sich derzeit schwer abschätzen. "Es hängt von der Dauer der Maßnahmen ab, die erste Finanzspritze gab es bereits, wie lange das hilft, weiß keiner."

Freiberufliche, Soloselbstständige und Firmen mit höchstens zehn Mitarbeitern können seit Freitag Mittag Anträge aus den Zuschussprogrammen einfordern. Je nach Betriebsgröße gibt es bis zu 15.000 Euro Soforthilfe. Das Problem: Die IT-Infrastruktur war nicht auf den Ansturm vorbereitet. Die Server brachen zusammen. Auch das ist Berlin.

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