Martin Schulz wechselt nach Berlin

Martin Schulz
Bei der Suche nach einem SPD-Kanzlerkandidaten gilt Schulz als mögliche Alternative zum mäßig beliebten Parteivorsitzenden Gabriel.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wechselt nun tatsächlich in die deutsche Bundespolitik. Das bestätigte er dem ARD-Europastudio nach Angaben des Senders in der Nacht auf Donnerstag. Am Donnerstagvormittag hielt Schulz schließlich eine Pressekonferenz, um seine Entscheidung in aller Form bekannt zu geben. In seinem Statement gab er an, auch in Zukunft "für das europäische Projekt kämpfen" zu wollen. Er bedankte sich bei seinen Mitarbeitern und Wegbegleitern, besonders bei seinem "Freund Jean-Claude Juncker, ein großer Europäer, für die Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren".

Schulz wird bei der nächsten Bundestagswahl auf Platz eins der SPD-Landesliste für Nordrhein-Westfalen kandidieren. Offen ist, ob er Außenminister, SPD-Kanzlerkandidat oder sogar beides wird. Ein einfaches Bundestagsmandat wird ihm wohl nicht reichen. Die Entscheidung seiner Kandidatur ist am Mittwochabend in Kreisen der Landespartei kommuniziert worden. Lange hatte es geheißen, Schulz kämpfe um eine weitere Amtszeit an der Spitze der EU-Volksvertretung, die heute ihre monatliche Plenartagung in Straßburg abschließt.

Karas könnte auf Schulz folgen

Nach der Europawahl 2014 hatten die beiden großen Fraktionen im Europaparlament vereinbart, jeweils zweieinhalb Jahre den Präsidentenposten zu besetzen. Nach dem Sozialdemokraten Schulz soll nun im Jänner ein Abgeordneter der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) gewählt werden. Als möglicher Anwärter auf den Posten des EU-Parlamentspräsidenten gilt auch ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas.

Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament Manfred Weber hat Parlamentspräsident Martin Schulz nach dessen angekündigten Wechsel nach Berlin als leidenschaftlichen und durchsetzungsfähigen Politiker gewürdigt. Das EU-Parlament habe "enorm von seiner Führung und seinem Einsatz profitiert". Zur Schulz-Nachfolge hielt sich Weber am Donnerstag in Straßburg bedeckt.

Wünschenswert wäre ein "gemeinsamer Konsenskandidat" mit den proeuropäischen Kräften des EU-Parlaments, "aber es ist klar, dass die EVP als größte Fraktion den Wählerauftrag erhalten hat und deshalb auch den Führungsanspruch im Haus hat". Weber wollte auf die Frage, ob er selbst als Kandidat für den Präsidenten zur Verfügung stehen würde, nicht antworten. "Wir müssen miteinander reden", es gehe darum, dass der neue Präsident "Stabilität garantiert und den Einfluss der Extremisten ausschließt". Die Entscheidung der EVP werde in der Sitzungswoche des EU-Parlaments im Dezember fallen.

Lob von konservativer Seite

Zu Schulz stellte Weber fest, er danke dem Präsidenten für die "herausragende Arbeit und das Engagement für Europa. Schulz ist auch für uns ein kraftvoller, durchsetzungsstarker Europäer und hat mit Leidenschaftlichkeit und Deutlichkeit bis heute gekämpft. Das ist außergewöhnlich, dafür haben wir viel Respekt". Es sei Schulz auch gelungen, "in den vergangenen zweieinhalb Jahren einen Beitrag zu leisten, dass die Große Koalition der Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Volkspartei gemeinsam mit den Liberalen stabilisiert" werden konnte.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat den Wechsel von Schulz nach Berlin bedauert. Vor Beginn des EU-Ukraine-Gipfels in Brüssel am Donnerstag sagte Juncker auf die Frage, was er vom Abgang von Schulz halte: "Ich bedaure das".

Die Suche nach dem SPD-Kanzlerkandidaten

Die SPD will trotz des Wechsels von Martin Schulz aus Brüssel in die deutsche Bundespolitik am Zeitplan bei der Kanzlerkandidatenfrage festhalten. Es bleibe dabei, dass die Kanzlerfrage Ende Jänner auf einer Vorstandsklausur entschieden werde, sagte ein Sprecher von Parteichef Sigmar Gabriel am Donnerstag in Berlin.

Bei der Suche nach einem SPD-Kanzlerkandidaten gilt der amtierende EU-Parlamentspräsident Schulz als mögliche Alternative zu Gabriel. Schulz wird in der SPD für die Nachfolge von Außenminister Frank-Walter Steinmeier favorisiert. Steinmeier soll am 12. Februar in der Bundesversammlung auf Vorschlag von CDU, CSU und SPD zum neuen Bundespräsidenten gewählt werden. Als weiteren Aspiranten hierfür nennt die Süddeutsche Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz.

Vizekanzler Gabriel hat als SPD-Chef das erste Zugriffsrecht in der "K-Frage". Er ist aber noch unentschieden, ob er antritt. Sollte Gabriel wie schon im Jahr 2013 wegen seiner mäßigen Beliebtheitswerte verzichten, könnte die Stunde von Schulz schlagen. Er hatte bei der Europawahl 2014 als gesamteuropäischer Spitzenkandidat der Sozialdemokraten einen Achtungserfolg in Deutschland erzielen können.

Schulz laut Umfrage beliebter

In Deutschland hätte ein Kanzlerkandidat Martin Schulz laut einer aktuellen Umfrage bessere Chancen gegen Amtsinhaberin Angela Merkel als SPD-Chef Sigmar Gabriel. Dies geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Erhebung von TNS Emnid im Auftrag der Funke Mediengruppe hervor.

Danach glauben 42 Prozent, der scheidende Präsident des Europäischen Parlaments könnte sich bei der Bundestagswahl im September 2017 gegen die CDU-Vorsitzende Merkel durchsetzen. 35 Prozent halten den gegenwärtigen Vize-Kanzler Gabriel für aussichtsreicher. Deutlicher ist das Ergebnis unter den SPD-Anhängern: Hier sprachen sich 54 Prozent für Schulz aus und 41 Prozent für Gabriel. Für die Emnid-Erhebung wurden am Dienstag und Mittwoch 1008 Personen befragt.

Entscheidung im Jänner

Die SPD wollte sich durch die erneute Kanzlerkandidatur von Angela Merkel nicht unter Druck setzen lassen und erst Ende Jänner entscheiden, wen sie gegen die CDU-Amtsinhaberin ins Rennen schickt. Diese Frage solle - wie schon geplant - auf einer Vorstandsklausur geklärt werden, beschloss die SPD-Spitze am Montag einstimmig. Auch die Festlegung auf einen Nachfolger für Steinmeier im Auswärtigen Amt ist für die zweite Januarhälfte avisiert. Fraglich ist, ob eine mögliche Vorentscheidung nicht schon vorher durchsickert.

Kürzlich machte eine Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Runde, Schulz wolle nur dann die Nachfolge von Steinmeier antreten, wenn er die Zusage für die SPD-Kanzlerkandidatur bekomme. Mit Empörung wiesen das die Parteizentrale und Schulz zurück. Nach dpa-Informationen bot Gabriel seinem alten Weggefährten an, das Außenamt für die acht Monate bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 zu übernehmen.

Von Aachen nach Brüssel nach Berlin

Schulz gilt als leidenschaftlicher Europapolitiker und ist seit 1974 SPD-Mitglied. In dem kleinen Ort Würselen bei Aachen war er von 1987 bis 1998 Bürgermeister und Buchhändler. Dann begann in Brüssel der Aufstieg von "Mister Europa", der ihn bis an die Spitze des EU-Parlaments führte, dem er seit 2012 vorsteht.

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