Bergamo drei Jahre nach Corona: Erschrecken bei jeder Ambulanz-Sirene
Vor drei Jahren schlug Corona auch in Österreich auf. In Norditalien schon die Tage zuvor. Die Symbolstadt der Pandemie heute – eine Reportage.
24.02.23, 18:00
Von Andrea Affaticati
Anfang März 2020. Der Friedhof der norditalienischen Stadt Bergamo. Davor eine Kolonne von Militär-Lkw, beladen mit den Särgen der Covid-19-Opfer. Ein Foto, das um die Welt ging – und das die Angst vor der Pandemie mitbegründet hat.
Seitdem sind drei Jahre verstrichen, aus der Pandemie ist eine Endemie geworden, und der Alltag ist zurück. Auch in Bergamo. In den Einkaufsstraßen herrscht reges Treiben, alles scheint beim Alten zu sein.
„Bergamo wurde bekannt, weil es die Stadt war, die am härtesten vom Covid-19 Virus getroffen wurde“ sagt Bürgermeister Giorgio Gori dem KURIER. „Daraus haben wir versucht, Kraft zu schöpfen, um wieder auf die Beine zu kommen und in die Zukunft zu blicken.“ Geholfen habe die Ernennung von Bergamo und dem nahe gelegenen Brescia, das auch viele Covid-19 Opfer zu beklagen hatte, zu den italienischen Kulturstädten 2023. „Kultur steht für Freiheit und Emanzipierung“ sagt Gori. „Kultur ist das beste Mittel gegen Angst.“ Und die beste Art, der Opfer zu gedenken.
Ein Rundgang durch die höher gelegene und mit einer Drahtseilbahn erreichbare Altstadt bestätigt seine Worte. Es sind regelrechte Massen, die sich durch die Gassen schieben, um die Lichtinstallationen zu bewundern. Maske trägt fast niemand mehr.
Vor einem Jahr, als der damalige Premier Mario Draghi zum zweiten Gedenktag nach Bergamo kam, war das noch ganz anders. Er trug auch bei der Einweihung des Bosco della Memoria, des Gedenkwaldes für die Covid-19-Opfer, Mundschutz.
Der Wald befindet sich im Parco della Trucca, gleich gegenüber dem städtischen Spital Papa Giovanni XXIII. Im Moment sind die Bäume noch jung und klein. Umso mehr sticht die Skulptur des Künstlers Giuseppe Penone ins Auge. Ein weißer Marmorblock mit einem Geflecht von Adern und Wurzeln. Eine ältere Frau sitzt auf einer nahen Bank und genießt die Wintersonne. „Ja es war eine schwere Zeit, die in mir bis heute Spuren hinterlassen hat“ sagt sie. „Zum Beispiel erschrecke ich noch immer, wenn ich die Sirene einer Ambulanz höre.“
Im Schneckenhaus
Don Matteo diente während der Pandemie als Priester in Nembro, einer Vorstadtgemeinde. Jetzt ist er in Bergamo. Damals wie heute beschäftigt er sich sehr mit Jugendlichen. „Es gibt zwei Gruppen. Die einen, die sich während der Pandemie engagiert haben, ob bei der Lebensmittelverteilung oder ob sie Wege für ältere Leute erledigten, die engagieren sich weiter“ erzählt er. Die anderen, die sich damals aus Angst zurückgezogen hatten, würden sich weiter schwertun, aus ihrem Schneckenhaus zu kommen.
Und dann sind da noch die ganz Jungen. Manola Fenu ist Lehrerin in Nembro. Ihre Schüler sind zwischen 11 und 12 Jahre alt. „Wie sehr manche Kinder noch immer leiden, ist mir erst in diesem Jahr, wo es wieder normalen Unterricht gibt, so richtig bewusst geworden“ erzählt sie dem KURIER. „Die zwei größten Probleme sind Beziehungsschwierigkeiten und Konzentration. Sie sind aggressiver und können nicht mehr als fünf, maximal zehn Minuten bei einer Sache bleiben.“ Außerdem seien sie viel emotionaler. „Sie haben eine übertriebene Angst vor Schularbeiten, brechen oft in Tränen aus. Ich muss ich immer wieder in die Mama-Rolle schlüpfen, um sie zu beruhigen.“
Im Spital Papa Giovanni XXIII. ist noch immer die Wandmalerei zu sehen, auf der eine Krankenschwester mit Mundschutz Italien in den Armen hält. Darüber die Schrift: „Euch allen ... Danke!“ „Damals nannte man uns die Engeln der Nation“ sagt Doktor Stefano Fagiuolo dem KURIER. Er hatte die Koordinierung des Krisenstabs über. Eines der prägendsten Bilder, die er aus jener Zeit mit sich trägt, sind die anfangs im Krisensaal aufgestellten Tafeln. Darauf standen die mit Covid-19 Patienten belegten und noch freien Zimmer und Betten. „Am 22. Februar waren es 12 Zimmer und 24 Betten, alle in der Infektionsstation. Am 20. März waren es ganze 8 Stockwerke mit je 48 Betten und insgesamt 500 Patienten. Wir hörten, auf die Tafeln aufzustellen.“
Mittlerweile ist auch im Spital wieder Alltag. Im letzten Jahr sei kein geimpfter Patient mehr wegen Covid-19 eingeliefert worden.
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