Mossul: Die neue Gefahr droht aus dem Untergrund

Ein Peschmerga-Kämpfer untersucht einen der Tunnel.
Im Großraum Mossul wird der "Islamische Staat" immer mehr in die Enge getrieben. Befreite Dörfer offenbaren eine weitere Gefahr: Die Islamisten haben umfangreiche Tunnelsysteme angelegt.

Bis zu 4000 Kämpfer der Terrororganisation "Islamischer Staat" sollen sich noch in der nordirakischen Stadt Mossul befinden. Seit gut einer Woche befreit die Anti-IS-Koalition Vorort um Vorort, um der dschihadistischen Miliz den Garaus zumachen. Doch so schnell wie es sich die Koalition vorgestellt hat, wird es wohl nicht gehen. Davor warnt unter anderem der Terrorismus- und Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Guido Steinberg, der dem RBB-Inforadio sagte: "Die eigentlichen Kämpfe haben noch nicht begonnen". Wie recht er damit haben könnte, zeigt ein Blick in die befreiten Dörfern. Dort entdecken die Befreier immer wieder weitläufige Tunnelsysteme.

Tunnel zeugen vom unglaublichen Planungsvermögen

Unter anderem berichtet Spiegel Online aus dem Dorf Chakuli, das etwa 30 Kilometer östlich von Mossul liegt. Es ist mittlerweile von der Terrormiliz befreit, ehemalige Bewohner dürfen hinter den Minenräumern zurück in ihr Dorf – oder was davon übrig ist. In den Ruinen ihrer Häuser wurden mit Presslufthämmern türgroße Öffnungen in die Natursteinmauern getrieben und Tunneleingänge in den Boden. In etwa vier bis fünf Metern Tiefe unter dem Dorf befindet sich ein wahres Labyrinth. Die Tunnel ziehen sich quer durch das Dorf, Ausgänge soll es in etwa einem Dutzend Häusern geben. Dazu noch Ausgänge ins Freie, zu Vorratskammern, zur Strom- und Wasserversorgung sowie eine Kommandozentrale.

Es ist ein System, dass nicht von heute auf morgen gegraben werden kann. Und auch nicht mit Schaufel und Hacke. Chakuli wurde im August 2014 vom IS überrannt und eingenommen. Es wird angenommen, dass die Terrormiliz bereits kurz nach der Eroberung mit dem Tunnelbau begonnen hat. Da im Dorf weder Presslufthämmer noch sonstiges Werkzeug gefunden wurde, dürfte das ganze schwere Gerät bereits weggeschafft worden sein. Das alles beweist einmal mehr, der IS ist eine straff organisierte Gruppe mit einem großem militärischen Planungsvermögen.

Mossul: Die neue Gefahr droht aus dem Untergrund
Peshmerga forces stand around a tunnel used by Islamic State militants on the outskirts of Bartila, east of Mosul during an operation to attack Islamic State militants in Mosul, Iraq, October 19, 2016. REUTERS/Azad Lashkari

Tunnel-Autobahn unter Mossul?

Über zwei Jahre war Chakuli mit seinen etwa 240 Häusern Teil der Frontlinie. Kurdische Peschmerga feuerten regelmäßig Mörsergranaten auf die IS-Kämpfer. Dennoch schaffte es die Terrormiliz, sich unterirdisch einzurichten. In einer Kommunikationszentrale fanden sich Spiegel Online zufolge noch laminierte Karten mit 66 Codenummern für Gefechtssituationen sowie ein Dienstplan für die 75-Minuten-Wachschichten. Gegenüber dem Nachrichtenportal sagte Atto Zibari, der örtliche Perschmerga-Kommandeur: „In Mossul haben sie vermutlich Autobahnen gebaut.“ Für Zibari ging die Befreiung von Chakuli fast schon zu leicht, er ist sich sicher: „Die hätten uns hier viel länger Widerstand leisten können. Aber am Ende waren nur eine Handvoll Männer geblieben, die dann draußen gekämpft haben und erschossen wurden. Die meisten hatten sich samt ihrer Anführer offenbar vorher abgesetzt.“

Wie die Situation in Mossul tatsächlich ist, weiß im Moment nur der IS. Dass die Vororte bereits in unterirdischen Festungen verwandelt wurden, lässt keine einfache Eroberung erwarten. Nicht nur in Chakuli wurden verschachtelte Tunnelsysteme gefunden, auch im irakischen Rammadi, Sindschar und Bartella, sowie im syrischen Manbij. Auch stellt sich der IS offensichtlich auf Kämpfe in den Tunnel ein, denn hin und wieder sollen diese im Zickzack-Verlauf angelegt worden sein – damit wird die Einnahme erschwert.

Zusätzlich versteckte die Terrormiliz – die angeblich auch im Irak „Schläferzellen“ hat - tausende Sprengfallen. An jedem Weg, in jedem Haus.

Mossul: Die neue Gefahr droht aus dem Untergrund
A member of Peshmerga forces walks with his weapon on the outskirts of Bartila east of Mosul during an operation to attack Islamic State militants in Mosul, Iraq, October 19, 2016. REUTERS/Thaier Al-Sudani

Bomben gegen die Dschihadisten

Während sich Bodentruppen Ort für Ort vorkämpfen, hagelt es Bomben auf Mossul. Alleine zwischen 17. und 23. Oktober wurden bei 32 Angriffen 1776 Bomben abgeworfen, bestätigte der Sprecher der Anti-IS-Koalition John Dorrian. Laut dem Sonderbeauftragten der US-Regierung für den Kampf gegen den IS, Brett McGurk, wurden bei den Angriffen „alle Ziele erreicht“. Dabei seien unter anderem 136 Kampfpositionen des IS, 18 Tunnel und 26 Fahrzeuge mit Sprengvorrichtungen zerstört worden. Die nackten Zahlen wirken wie ein Tropfen auf den heißen Stein, betrachtet man das umfangreiche Tunnelsystem alleine in Chakuli. Will die Koalition den IS im Irak tatsächlich bezwingen, werden Bomben alleine nicht reichen.

Anti-IS-Koalition tagt in Paris

Um über die weitere Strategie zu beraten, trifft sich am Dienstag in Paris die internationale Anti-IS-Koalition. Erwartet werden zahlreiche Ressortchefs, darunter auch die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Ein Vertreter des Iraks ist dieses Mal nicht dabei. Am Nachmittag (17.00 Uhr) wollen der französische und der amerikanische Verteidigungsminister, Jean-Yves Le Drian und Ashton Carter, die das Treffen leiten, vor die Presse treten.

Mehr als 60 Länder haben sich seit September 2014 zusammengetan, um die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu bekämpfen. Militärisch kommt das Bündnis gut voran. Der Kampf ist jedoch noch lange nicht vorbei - und einige Fragen bleiben offen.

Welche Länder beteiligen sich an der Bekämpfung des IS?

Nachdem der IS sich im Sommer 2014 in Syrien ausbreitete, beschlossen zehn Länder auf einer Nato-Konferenz ein Bündnis gegen die Terrormiliz. Heute gehören mehr als 60 Staaten zu der Allianz, darunter neben den USA auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die Türkei. Saudi-Arabien und andere arabische Staaten wie Jordanien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar haben sich dem Bündnis ebenfalls angeschlossen.

Wie geht die Allianz gegen die Terrormiliz vor?

Derzeit bekämpft die Allianz den IS vor allem in Syrien und im Irak, wenngleich sich der IS auch in Libyen festgesetzt hat. Nach eigenen Angaben hat die Koalition mehr als 12 000 Luftangriffe auf IS-Stellungen geflogen. Die USA bilden im Irak Soldaten der Armee und kurdische Kämpfer aus, Deutschland liefert Waffen und Ausrüstung für kurdische Peschmerga und leistet mit sechs Tornado-Flugzeugen Aufklärungsarbeit.

Welche Erfolge kann die Allianz vorweisen?

Die Dschihadisten sind in Syrien und im Irak massiv unter Druck geraten. Seit Beginn vergangenen Jahres hat der IS mehr als ein Drittel seines „Kalifat“ genannten Herrschaftsgebietes eingebüßt. Vor allem die Kurden haben den Extremisten mit Hilfe internationaler Luftunterstützung im Norden beider Länder große Gebiete abgenommen. Der irakischen Armee gelang es, den IS aus wichtigen Städten wie Ramadi und Falludscha zu vertreiben. Außerdem haben die Luftschläge die Ölinfrastruktur unter IS-Kontrolle stark zerstört, weshalb die Extremisten laut Analysten unter Finanzproblemen leiden. Dennoch beherrscht der IS noch große Gebiete in Syrien und im Irak.

Welche Rolle spielt die Türkei?

Um die Rolle der Türkei gibt es Streit. Die Türkei stellt seit Sommer vergangenen Jahres ihren Luftwaffenstützpunkt Incirlik der Allianz für den Luftkampf gegen den IS bereit. Ankara hilft auch bei der Ausbildung und hat nach eigenen Angaben kurdische Peschmerga bei der Großoffensive auf Mossul mit Artillerie unterstützt. Die Regierung in Bagdad lehnt eine türkische Militärpräsenz im Irak allerdings ab. Die türkische Führung wiederum weigert sich, ihre Soldaten abzuziehen.

Wie lange wird es dauern, bis Mossul befreit ist?

Das ist schwer zu sagen, zumal die eigentlichen Kämpfe um die Stadt noch nicht begonnen haben. Bei dem Koalitionstreffen in Paris geht es jedoch schon darum, die politischen Weichen für die Zeit nach dem IS in Mossul zu stellen. Das Gesellschaftsgefüge ist fragil in Iraks zweitgrößter Stadt. Während die meisten Iraker Schiiten sind, ist die Mehrheit der Bevölkerung in Mossul sunnitisch wie der IS. Zudem lebten viele Christen dort. Der sunnitische türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte bereits, dass nach dem Ende der Kämpfe keine Schiiten mehr in der Stadt leben sollten.

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