Beben in Türkei und Syrien: Experte rechnet mit bis zu 67.000 Toten

Beben in Türkei und Syrien: Experte rechnet mit bis zu 67.000 Toten
Erdbeben dürfte zu den 20 tödlichsten weit 1900 gehören.

Die Zahl der Toten nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien könnte nach Einschätzung von Fachleuten erheblich steigen. "Schnelle Hochrechnungen auf Basis empirischer Schadensmodelle lassen zwischen 11.800 bis rund 67.000 Todesopfer erwarten", erklärte Andreas Schäfer vom Geophysikalischen Institut am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft, am Donnerstag.

Das werde unter anderem aus historischen Vergleichen, aktuellen Daten zu Gebäudeinfrastruktur und zur Bevölkerung sowie Faktoren wie der Tageszeit berechnet. Die Erdbeben dürften demnach wahrscheinlich zu den 20 tödlichsten Erdbeben weltweit seit 1900 gehören, teilte das KIT mit. Schon elf der 100 tödlichsten Erdbeben seitdem hätten sich in der Türkei ereignet.

Sachschaden: 10 Mio. Dollar

Gerade die Region um die Stadt Antakya, die früher Antiochia hieß, sei in der Vergangenheit öfter von schweren Beben betroffen gewesen. "Dieses Gebiet ist geologisch sehr instabil", erklärte Schäfer. Hier träfen drei tektonische Platten aufeinander. Das letzte ähnlich starke und zerstörerische Beben habe an ähnlicher Stelle im Jahr 1114 stattgefunden. "Damit konnten sich über 900 Jahre lang Spannungen an den Plattengrenzen aufbauen, die sich jetzt entladen haben", erläuterte der Experte.

Ähnliches lasse sich über die südlich angrenzende Störungszone des Toten Meeres sagen, in der sich ebenfalls zuletzt im 12. Jahrhundert mehrere sehr schwere Erdbeben ereigneten. "Es ist absehbar, dass diese Verwerfung erneut brechen wird und schwere Schäden von Aleppo bis nach Jerusalem anrichten könnte - je nachdem, welcher Abschnitt der Störungszone seine Energie freisetzt", teilte Schäfer mit. Unklar sei nur, wann es so weit ist. Das lasse sich nicht vorhersagen.

Eine Gruppe des Centers for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) am KIT hat jetzt mit der Risklayer GmbH, einer Ausgründung aus der Universität, einen ersten Schadensbericht zu den Erdbeben vorgelegt. Demnach dürfte der Sachschaden infolge der Beben mehr als zehn Milliarden US-Dollar betragen.

In der Nacht auf den 7. Februar hatte es den Fachleuten zufolge neben zwei Haupterdbeben mehr als 270 Nachbeben mit einer Stärke von mindestens 4,0 gegeben. "Viele dieser Beben führten zu weiteren Schäden, da viele Gebäude bereits durch eines der beiden Hauptbeben vorgeschädigt waren", heißt es in dem Bericht. "Nachbeben können über Wochen, Monate und sogar Jahre andauern. Sie nehmen jedoch an Häufigkeit ab je länger das Hauptbeben zurückliegt."

Das CEDIM ist eine interdisziplinäre Einrichtung des KIT und forscht zu Katastrophen, Risiken und Sicherheit. Zuletzt hatte die Forschungsgruppe im Jahr 2021 einen Bericht zum Hochwasser in Mitteleuropa - unter anderem in Deutschland im Ahrtal - vorgelegt.

Termin für Wahl wackelt

Das verheerende Erdbeben lässt auch den Termin für die Wahlen im Mai wackeln. Der Unmut über das Katastrophenmanagement wächst und es werden Zweifel laut, ob die Präsidenten- und Parlamentswahl überhaupt stattfinden kann. Ein Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte, sprach angesichts der Ausmaße des Bebens von "ersten Schwierigkeiten" für die im Mai geplanten Wahlen. Dies gilt als ein erster Hinweis, dass eine Verschiebung erwogen wird.

"Es ist wirklich zu früh, um über die Wahl zu sprechen", sagte der Gewährsmann. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte den Wahltermin vorigen Monat festgelegt. Laut Meinungsumfragen, die noch vor dem Erdbeben veröffentlicht wurden, muss er sich auf seine bisher wohl härteste Wahlschlacht einstellen. Erdogans Popularität hat angesichts steigender Lebenshaltungskosten und der schwächelnden Landeswährung Lira bereits gelitten. Jetzt sieht er sich auch mit einer Welle der Kritik konfrontiert, wie seine Regierung auf das verheerendste Erdbeben in der Türkei seit 1999 reagiert hat.

Unabhängig von den politischen Folgewirkungen der Katastrophe ist es eine große logistische Herausforderung, Wahlen in den betroffenen Gebieten abzuhalten. In der von den Beben betroffenen Region leben etwa 13 Millionen Menschen, und Hunderttausende sind obdachlos geworden, nachdem ihre Gebäude durch das Beben zerstört oder baufällig geworden sind.

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